Chronik der katholischen Gemeinde zu Reichenbach in Schlesien
„Festschrift“ zum 750-jährigen Jubiläum ihres Bestehens
von W. Schwedowitz (Oberkaplan)
Kommissionsverlag von Heege & Güntzel (P. Wiese)
Der katholischen Gemeinde Reichenbach und ihrem derzeitigen Pfarrer Herrn Robert Huck gewidmet.
Vorwort
Die katholische Gemeinde Reichenbach in Schlesien steht vor der Feier ihres 750-jährigen Bestehens. Damit schien ein geeigneter Anlass gegeben zu sein, den Katholiken Reichenbachs und ihren andersgläubigen Mitbürgern eine Chronik der katholischen Gemeinde darzubieten, eine Aufgabe, die infolge Mangels größerer Vorarbeiten ziemlich schwierig zu sein schien. Durch einen glücklichen Zufall fiel mir aber bei meinen Arbeiten eine lang vergessene, vom Pfarrer Zoller gegen 1730 in lateinischer Sprache abgefasste, geschriebene Chronik der katholischen Gemeinde Reichenbach in die Hände, der ich einen großen Teil bisher noch nicht bekannter Nachrichten über Gemeinde und Gotteshaus verdanke. Außer dieser und einer später angelegten Pfarrchronik wurden bei Abfassung des vorliegenden Büchleins benutzt:
Grünhagen, Geschichte Schlesiens I. und II.,
Neuling, Schlesische Kirchorte, 2. Auflage,
Lutsch, Verzeichnis der Kunstdenkmäler Schlesiens,
A. Paul, Geschichte der Stadt Reichenbach,
Weinhold-Stier, Festschrift der evangelischen Kirchengemeinde zu Reichenbach in Schlesien 1898.
Möge die Darstellung der wechselvollen Schicksale der Georgskirche die Liebe und Verehrung der katholischen Gemeinde für ihr altes Gotteshaus lebendig erhalten und vermehren, möge die Erinnerung an die Steigerung des religiösen Lebens innerhalb der letzten Jahrzehnte auch die heutigen Gemeindemitglieder zu gleichem Streben ermuntern, möge endlich der Gedanke an die traurigen Zeiten der Glaubenskämpfe im 17. Jahrhundert katholische und nichtkatholische Christen in wahrhaft christlicher Toleranz einen, zumal in einer Zeit, welche wie die heutige so zahlreiche Gegner des Christentums sehen muss.
Reichenbach in Schlesien, im Juli 1909
Der Verfasser
1. Zeitraum
(Bis zur Einführung der Kirchenneuerung)
Wann das Christentum zum ersten Male in der Gegend des Eulengebirges verkündet worden ist, lässt sich mit einiger Sicherheit nicht mehr feststellen. Möglicherweise haben diese Gebiete gegen Ende des 9. Jahrhunderts zu dem Großmährischen Reiche gehört, wo dann vielleicht auch Schüler der Slavenapostel Methodius und Konstantinus wie in Böhmen und Mähren Bekehrungsversuche1 zum Christentum gemacht haben; jedoch dürften die Erfolge dieser ersten Bekehrungsversuche noch nicht allzu groß gewesen sein. Einer anderen Überlieferung2 nach soll Ludwig der Fromme 830 einen Kriegszug gegen Polen und Schlesien unternommen haben, um dem Christentum Eingang in diese Lande zu verschaffen, und es heißt, dass er damals den Befehl erlassen habe, die Kultstätten der Heiden, besonders das Heiligtum in Bolkenhain und in dem nicht allzu weit davon entfernten Reichenbach, zu zerstören; doch wird auch dieses Eingreifen Ludwigs, falls es wirklich stattgefunden, nicht von großem Erfolg begleitet gewesen sein. Schneller breitete sich das Christentum in Schlesien erst aus, als der Polenherzog Mesko I. sich im Jahre 966 auf Veranlassung seiner christlichen Gemahlin hatte taufen lassen; zur Beschleunigung der Christianisierung seines Landes soll er auch den Befehl gegeben haben, am Sonntag Lätare des Jahres 968 alle Götzenhaine und Götzenbilder in Schlesien zu zerstören. Auch das heidnische Heiligtum Reichenbachs, welches angeblich auf der Stelle der heutigen Pfarrkirche sich erhoben hat, soll von diesem Befehl betroffen und in ein christliches Gotteshaus umgewandelt worden sein — so, dass von ihm jene Worte gelten würden, die Papst Leo I. einst von Rom gebrauchte: „quae erat magistra erroris, facta est discipula veritatis.“ (Sie, die einst Lehrerin des Irrtums war, ist nunmehr eine Schülerin der Wahrheit geworden).
Der Sohn Meskos I., der gewaltige Boleslaw Chrobry, der ihm 992 folgte, breitete seine Herrschaft über die schlesischen Gaue bis zur Lausitz aus, und als der deutsche Kaiser Otto III. im Jahre 1000 seine Wallfahrt nach Gnesen zum Grabe des heiligen Adalbert unternahm, empfing ihn Boleslaw in Eulau bei Sprottau an der Grenze seines Landes. Diese Zusammenkunft Ottos III. mit Boleslaw hatte den bedeutsamen Erfolg, dass nunmehr für ganz Polen und Schlesien ein großer Metropolitanverband geschaffen wurde, der seinen Mittelpunkt in Gnesen hatte; diesem neuen Erzbistum wurde dann das einige Jahre vorher gestiftete Bistum Breslau unterstellt, zu dem auch die Gegend des heutigen Reichenbach gehörte; der erste Breslauer Bischof hieß Johannes3, nach Zollers Mitteilungen Gotefredus; er residierte in Schmogau bei Namslau und soll auch bald den ersten Pfarrer in Reichenbach eingesetzt haben, sei es, weil diese Stadt bereits auf ein größeres Alter zurückblicken konnte oder weil sie durch ihre Größe damals unter den anderen Städten Schlesiens hervorragte.
Fast alle diese Nachrichten haben jedoch auf geschichtliche Glaubwürdigkeit keinen unbedingten Anspruch, und man muss sagen, dass die ersten Anfänge der katholischen Gemeinde Reichenbach im Dunkel einer Zeit begraben liegen, aus der keine diese Gemeinde betreffenden sicheren geschichtlichen Nachrichten vorhanden sind; denn die älteste Urkunde, worin der Name der Gemeinde Reichenbach genannt wird, stammt aus dem Jahre 1258 und enthält die Mitteilung, dass am 13. Februar dieses Jahres Bischof Thomas zu Breslau die Kapelle in Peterswaldau von der Pfarrkirche zu Reichenbach unter Zustimmung ihres Pfarrers Heinrich abgelöst hat.4
Bei der Bedeutung, die Reichenbach bereits im 11. Jahrhundert besaß5, ist es außerordentlich wahrscheinlich, dass die Gemeinde, wie auch berichtet wird, damals bereits ein Gotteshaus hatte; allerdings soll dieses Kirchlein, als gegen Ende der Regierung des Herzogs Boleslaw III. in den Jahren 1132-1134, als die Böhmen in Schlesien einfielen und auch Reichenbach zerstörten, ein Raub der Flammen geworden sein. 1146 kam nach Vertreibung seines Bruders Wladyslaw II., Boleslaw Crispus in Schlesien zur Regierung, ein Fürst, welcher der Stadt Reichenbach seine besondere Fürsorge zuwandte, und ihm soll es auch zu verdanken gewesen sein, dass im Jahre 1159 sich am höchsten Orte der Stadt ein Kirchlein für die Gemeinde erhob.
Diese Kirche soll nach den Mitteilungen Zollers massiv und in gotischem Stile erbaut gewesen sein; jedoch war zweifellos dieser Bau wie alle anderen um jene Zeit in Schlesien errichteten Gotteshäuser nur ein Holzbau6. 1241 fielen die Mongolen in Schlesien ein und auch Reichenbach wurde ein Opfer dieser wilden Horden. Erst nach diesem Jahre dürfte sich ein steinernes Gotteshaus in Reichenbach erhoben haben — so, dass dieser Bau, der den Grundstock zu der heutigen Pfarrkirche gelegt hat, gegen Mitte oder Ende des 13. Jahrhunderts anzusetzen ist. Während die ersten Steinbauten der für die Gemeinden zu Glatz, Schweidnitz und Striegau bestimmten Pfarrkirchen seit der Mitte des 14. Jahrhunderts sich vollständig umgestaltet haben, sind bei der Reichenbacher Pfarrkirche einige Bauteile, die von diesem ältesten Steinbau stammen, noch erhalten. Von diesem ersten Steinbau rührt zunächst die Westwand her, an der man noch heute im Inneren wie im Äußeren die Querschnittsform des ursprünglichen Bauwerkes feststellen kann, da sich der ungeputzte Bruchstein des alten Baues sehr deutlich von dem späteren Ziegelwerk abhebt — Zoller glaubt sogar behaupten zu können, dass der alte Teil der Westwand noch von dem ursprünglichen Heidentempel stammt — und weiter die südliche Arkadenreihe mit den achteckigen Pfeilern aus Quadersandstein, welche heute zwischen dem Hauptschiff und dem südlichen Nebenschiff liegt.
Von diesem ersten Steinbau scheint auch das heute noch an dem Turm befindliche Wahrzeichen zu stammen, welches eine noch unerklärte sitzende männliche Figur nebst einigen unbedeutenden gotischen Zierformen in Sandstein ausgeführt darstellt und zu verschiedenen Sagen Anlass gegeben hat. Die Figur soll danach entweder den Herzog Boleslaw Crispus, den angeblichen Erbauer der Kirche, oder einen Pilger darstellen, der aus gesammelten Almosen die Kosten der Erbauung des Turmes bis zur Höhe des Wahrzeichens zusammenbrachte.
Zu den ältesten Teilen der Kirche gehören angeblich auch der sogenannte Salve-Regina-Altar, dessen Entstehung in das Jahr 1306 verlegt wird, und der St. Annen-Altar.
Bald nach der Errichtung dieses ersten massiven Baues kam eine größere Stiftung an die Kirche. Herzog Heinrich III. von Schlesien, ein Sohn jenes Heinrich, der 1241 den Heldentod im Kampfe gegen die Mongolen gestorben war, trat 1248 in Mittelschlesien die Regierung an und war der Kirche außerordentlich wohlgesinnt. Auch das Reichenbacher Gotteshaus stattete er, wie aus einer dem Jahre 1408 entstammenden und noch vorhandenen Bestätigungsurkunde des Königs Wenzel ersichtlich ist, im Jahre 1262 in vigilia St. Johannis Baptistae mit 7.5 Hufen Ackers in Ernsdorf und einem Garten in der Frankensteiner Vorstadt, am Wege von Reichenbach nach „Lewenstein“ (?) und verschiedenen anderen Einkünften aus, damit die Priester dieser Kirche für ihn beten und aus dem geschenkten Besitz ihren Unterhalt ziehen sollten secundum illud apostolicum: ab altari vivant qui altari deserviunt (nach jenem Apostelworte: Wer dem Altare dient, soll vom Altare leben).
In das Jahr 1272 fällt die Gründung einer Bibliothek, die mit der Pfarrkirche verbunden war und durch Wohltäter bis zum Jahre 1537 zu einer solchen Größe anwuchs, dass ihr Ruhm in ganz Schlesien verbreitet gewesen sein soll. Leider ist dieses schöne Denkmal für die wissenschaftlichen Bestrebungen, die vom Klerus in der Gemeinde Reichenbach gepflegt wurden, in der Zeit der Glaubensneuerung infolge seiner Vernachlässigung von seiten der neuen Besitzer zugrunde gegangen.
1282 erhielt das Vermögen der Kirche wiederum einen Zuwachs, als der Herzog Heinrich eine Fundation bestätigte, worin der Erbrichter Konrad dem damaligen Pfarrer Heinrich bestimmte Einkünfte für das Gotteshaus verspricht; auch der Text dieser Fundation ist in der bereits genannten Bestätigungsurkunde von 1408 erhalten. 1311 endlich, am Tage vor Mariä Geburt, gewährte der damalige Herzog von Schlesien, auf Bitten des Reichenbacher Pfarrers ausdrücklich den Gütern der Georgskirche vollständige Abgabenfreiheit.
Ein Beweis für den Bildungseifer der damaligen Gemeinde ist weiter die im Jahre 1337 erfolgte Gründung einer Schule, welche mit der Pfarrkirche in Verbindung stand und nicht unbedeutend gewesen ist; wie dieselbe jedoch eingerichtet war und welche Lehrer in jener Zeit in ihr gewirkt haben, ist nicht überliefert; dagegen werden in der Sadebeckschen Chronik mehrere hervorragende Männer genannt, welche aus dieser Schule hervorgegangen sind.7
In diesen ersten Zeitraum der Reichenbacher Gemeinde fällt auch die Errichtung der heutigen Begräbniskirche. Vor dem Schweidnitzer Tor, an derselben Stelle, wo nach alter Überlieferung der römische Kriegsoberst Luca — von ihm ist angeblich die hiesige Ortschaft um das Jahr 300 zu einem Marktflecken erhoben worden — einen nach ihm benannten heidnischen Tempel erbaut haben soll, wurde 1265 ein Kirchlein errichtet und zu Ehren der glorwürdigsten Gottesmutter eingeweiht.8 Dieses Kirchlein, welches übrigens 1832 vollständig niederbrannte und neu errichtet wurde, besaß in seiner ersten Gestalt eine Länge von 21 und eine Breite von 22 Ellen und war, wie der heutige Bau, achteckig; das früher vorhandene Gewölbe ruhte in der Mitte auf einer einzigen steinernen Säule. Dieses kleine Gotteshaus vor dem Schweidniter Tor war ursprünglich keine Filiale der Pfarrkirche, sondern hatte von Anbeginn seinen besonderen Altaristen, den der Magistrat vermöge des ihm zustehenden Patronatsrechtes einsetzte.
Im Jahre 1298 erbaute der Bischof Johannes III. von Breslau (1292-1301)9 unter Zustimmung des Herzogs Bolko I. von Schweidnitz am Frankensteiner Tor auf dem Platze, den das alte Amtsgericht eingenommen, von den Gütern des bischöflichen Tisches eine Kirche ad sanetum sepulchrum et Sanctam Barbaram (zu Ehren des hl. Grabes und der hl. Barbara) und überwies sie später mit dem dazu gehörigen Krankenhaus und den damit verbundenen Einkünften den Brüdern (Kreuzherren mit dem roten Stern) des St. Marienhospitales zu Neisse. Der Nachfolger des Bischofs Johannes, Bischof Heinrich, bestätigte diese Stiftung seines Vorgängers und fügte ihr mit Zustimmung seines Kapitels noch andere Einkünfte bei. Am 7. Juli 1315 endlich gestattete nach einer noch vorhandenen Urkunde der genannte Bischof Heinrich dem Bruder Lambert, Meister des Neisser Marienhospitales der Brüder vom hl. Grabe, durch den von ihm zum Rektor bestimmten Ordensbruder Arnold in dem von des Bischofs Vorgänger Johannes III. gestifteten Hospital zu Reichenbach nach der Regel des Ordens Gottesdienst feiern zu lassen, die Sakramente zu spenden, die Kranken zu versehen, Begräbnisse zu halten und an Sonn- und Feiertagen zu predigen. Da diese Propsteikirche aber nie Pfarrkirche gewesen ist, durch jenes Privileg jedoch das Recht der Georgskirche arg beschränkt und eine geordnete Pfarrseelsorge sehr erschwert wurde, nahm man nach einer Bemerkung der Pfarrchronik später anscheinend nicht ohne Grund an, dass die ursprüngliche Urkunde von 1315 eine Anzahl Zusätze zu Gunsten der Kreuzherren von fremder Hand erhalten habe.
Herzog Bolko II. von Schweidnitz erweiterte am 3. Januar 1331 die Einkünfte der Kirche und des Klosters durch einen Zins von 11 Ruthen Ackers, welche zur Schölzerei in Harthau gehörten. Die gottesdienstlichen Handlungen in der Barbarakirche wurden, zunächst bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts, von einem Propst und zwei Hilfsgeistlichen vollzogen. Übrigens müssen die Kreuzherren an der Propsteikirche auch in einem allerdings nicht näher bekannten Verhältnis zur Schule gestanden haben; denn in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstand zwischen ihnen und dem Magistrat ein heftiger Streit über die Besetzung der Lehrerstelle. Der für diesen Prozess delegierte Richter, der damalige Abt von Heinrichau, erklärte aber in dem 1380 gefällten Urteile, dass dem Magistrate das jus conferendi regimen Scholarum Suarum gen institvendi Magistrum unbedingt zustehe.
Mit dem Jahre 1338 kommt die St. Georgskirche in den Besitz der Malteser.
Es war im Jahre 1048, da gründeten Kaufleute aus Amalfi in Jerusalem das Hospitium St. Johannis Baptistae zur Aufnahme und Verpflegung der Palästinapilger. Die Brüder, welche dieses Hospital bedienten, erhielten bereits von ihrem zweiten Meister eine neue Aufgabe, den Kampf gegen die Ungläubigen, und wurden Johanniter genannt. Bald breitete sich dieser Ritterorden weiter aus und bekam bei Aufhebung des Templerordens (1512) einen großen Teil der Güter desselben und damit erhöhte Macht und Bedeutung. Der Hauptsitz des Ordens in diesem Zeitraum war Rhodos. Als ihm diese Insel durch den Sultan Soliman II. entrissen wurde, erhielt er dafür von Karl V. Malta (1530) eingeräumt. Die Ritter führten daher auch die Namen Rhodiser und Malteser.
Diesem Malteserorden übertrug nun im Jahre 1338 Bolko II., der letzte Herzog von Schweidnitz (1326-1368) die Reichenbacher St. Georgskirche und das Patronatsrecht über dieselbe, und die Kommendatoren dieses Ordens zu Reichenbach, d. h. die Leiter der dortigen Ordensniederlassung, haben dann dieses Recht auch in ununterbrochener Reihenfolge ausgeübt, bis in der Mitte des 16. Jahrhunderts der Kommendator Martinus Ulthoma (Uthoma) vom Glauben der Kirche abfiel.
Vielleicht aus Anlass der Übertragung des Patronates über die Kirche an die Malteser ist das Gotteshaus bedeutend erweitert worden. Man beseitigte die Gewölbe und die nördliche Arkadenreihe und gewann auf diese Weise durch Zusammenfassung der beiden nördlichen Schiffe das heutige 11.85 Meter breite Hauptschiff; zugleich wurde auch die Höhe dieses Hauptschiffes um ein Bedeutendes gesteigert. Nach Lutsch, dem diese baugeschichtlichen Angaben entnommen sind10, zogen sich diese Erweiterungsarbeiten am Gotteshaus bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts hin; man wird also kaum den Vorwurf ganz aufrecht erhalten können, den ein Schreiber in der Pfarrchronik den Maltesern macht, dass „sie, die ritterlichen Herren, die oftmals mit mehreren reichen Ordensgütern bepfründet waren, ihren Einfluss und ihre großen Mittel nicht dazu verwandt haben, die ihnen übergebene Kirche samt der damit verbundenen Schule zu verschönern und weiter auszugestalten.“
Andererseits scheinen aber die Kommendatoren auch auf die Vermehrung ihrer Einnahmen recht eifrig bedacht gewesen zu sein; denn bald riss die Gewohnheit ein, dass der jeweilige Kommendator zwar die Einkünfte der Stiftungen bezog, die nach dem Willen der Fundatoren eigentlich zum Unterhalte des Pfarrers bestimmt waren, sich aber in der Ausübung der geistlichen Pflichten seines Amtes von einem Administrator vertreten ließ, der dann von der Stadt besoldet werden musste.
Ihre Residenz hatten die Kommendatoren in dem sogenannten Komturhof, der auf dem Platz des jetzigen katholischen Waisenhauses stand und mit der Kirche durch einen Gang verbunden war, dessen Mündung man heute noch an der Außenseite der Kirche hinter dem Hochaltar erkennen kann. Dieses Gebäude soll bereits vor 1338 gestanden und unter dem Namen „Steinerner Hoff“ den jeweiligen Altaristen als Wohnung gedient haben, bis es von zwei derselben, namens Hermann Hans Kunradt und Reinhold Sarckel 1364 an den damaligen Kommendator Niklas von Lobin verkauft wurde; es wurde von den Kommendatoren nunmehr ausgebaut und scheint einst ein prächtiges Gebäude gewesen zu sein. Seit der Zeit der Kirchenspaltung hielten die Kommendatoren in Reichenbach nicht mehr Residenz; infolge dessen zerfiel der Komturhof allmählich; jedoch waren um das Jahr 1730 noch das Tafelzimmer und einige andere Gemächer vorhanden.
Die Kriegsstürme, die bei den hussitischen Einfällen in Schlesien (1425-1430) im Jahre 1428 auch über Reichenbach brausten und den größten Teil der Stadt in Asche legten, haben der Georgskirche nicht geschadet, angeblich, weil die Hussiten aus besonderer Verehrung gegen den Ritter Georg alle diesem Heiligen geweihten Kirchen verschont haben.
Bezüglich der Begräbniskirche brachen öfters Streitigkeiten zwischen dem Kommendator und dem Magistrate aus. Wie erwähnt, hatte diese Kirche ihren besonderen Altaristen und unterstand dem Patronate des Magistrates. Mag nun der Altarist seine Befugnisse überschritten und die Rechte der Pfarrkirche verletzt haben oder mögen die Kommendatoren eifersüchtig geworden sein auf die materiellen Zuwendungen für die Begräbniskirche, man konnte sich jedenfalls längere Zeit nicht einigen, bis endlich am Tage der hl. Dreifaltigkeit im Jahre 1402 Johannes Bargmann, Menzelinus Wiegandesdorf, Johannes Hayn, Johannes Schlichting und Johannes Zebur, Ratmänner der Stadt Reichenbach, mit Herrn Heinrich von Nevenhause, dem damaligen Kommendator und seinem Stellvertreter, dem Herrn Matthias Lemberg, einen Vertrag schlossen, wonach das Verhältnis zwischen Pfarr- und Begräbniskirche sowohl betreffs des Gottesdienstes wie auch der Zuwendungen für letztere Kirche endgültig geregelt wurde.
Von der Klosterkirche, die in einer Urkunde aus dem Jahre 1349 zum ersten Mal11 genannt wird, wissen wir nicht, wann sie erbaut worden ist. Vermutlich fällt ihre Errichtung in den Anfang des 14. Jahrhunderts. Sie gehörte zu einem Kloster des Ordens der Augustinereremiten und war ursprünglich dem hl. Markus geweiht. Unser ganzes Wissen über diese Kirche aus der Zeit vor der Glaubensneuerung beschränkt sich auf zwei Urkunden12; die erste davon besagt, dass im Jahre 1349 sich einige Brüder dieses Klosters behufs Wahrnehmung ihrer Rechte und Privilegien an einer geistlichen Versammlung in Reichenbach beteiligt haben, die zweite aus dem folgenden Jahre teilt nur mit, dass der Prior Johannes del Ponte und der Konvent dieser Augustinereremiten den Bruder Johannes von Micß zu ihrem bevollmächtigten Prokurator bestellt haben.
Das Kloster samt Kirche und dazu gehörigen Grundstücken blieb bis zum Jahre 1525 in den Händen der Augustiner. Es mag die Lehre Luthers, welche damals bereits in Reichenbach Eingang gefunden hatte, auch schon unter den Ordensleuten dieses Klosters zu wirken begonnen haben, und so hören wir, dass am Dienstag nach Reminiscere dieses Jahres der damalige Ordensvikarius namens Pankratius Geyer mit Genehmigung des Augustinerklosters von St. Dorothea in Breslau die zur Kirche gehörigen Grundstücke an einen gewissen Wolfgang Potschin (Bitschin) aus Peisfersdorf verkauft hat — allerdings unter der Bedingung, dass „das Gottesshaus in seinem Stande bleibe und der Gottesdienst darin nicht abgehe.“ Dieser Verkauf wurde vom König Ludwig am Sonntage nach Christi Himmelfahrt bestätigt. Jedoch bereits im nächsten Jahre, 1526, verkaufte Potschin (Bitschin) seine Erwerbung an den Magistrat der Stadt Reichenbach weiter, und von diesem sind wiederum im Laufe der Zeit die einzelnen Grundstücke an Privatpersonen verkauft worden. Da man die Kirche als annexum der verkauften Grundstücke gehalten, so ist der Magistrat im Besitze dieses Gotteshauses geblieben, und die späteren Versuche der Augustiner, die Kirche wieder für sich zu erhalten, sind stets gescheitert. Zufolge der Wirren der Kirchenneuerung ist dieses Gotteshaus wüst und öde geworden; ein Teil davon wurde vom Magistrat sogar zu einem Malzhause, später zu einem Sprizenhause und Unterkunftsplatz für die Garnisonwagen eingerichtet. Die noch heute gut erhaltene Kanzel der Kirche, welche aus dem Mittelalter stammt, gilt mit Recht als ein Kunstwerk, namentlich die vier Evangelisten mit ihren Sinnbildern und die vier Engelsgestalten auf dem Deckel in Form einer Krone, worauf sich die Gestalt des göttlichen Hirten zeigt.
Wie ein Teil der Pfarrchronik, der aus dem Jahre 1784 stammt, berichtet, stand noch in der damaligen Zeit gegenüber dem alten Haupteingange der Kirche, welcher heute vermauert ist, eine steinerne Säule, die oben in Form einer kleinen Kapelle endete und in deren Mitte eine Henkershand, nach anderen Nachrichten ein Henkersschwert und ein Schlüssel eingehauen waren nebst der Jahreszahl 1514. Über die Bedeutung dieser Säule war schon damals nichts Schriftliches vorhanden; nach der mündlichen Überlieferung soll eine Klinkengutsbesitzerin im Jähzorn ihre Dienstmagd mit einem Schlüssel totgeworfen haben und nach damaligen Recht durch das Schwert hingerichtet, jedoch in Erweisung ausnahmsweiser Milde auf dem Kirchhof begraben worden sein.
Über die Neudorfer Kirche, welche heute Filiale der Reichenbacher Pfarrkirche ist, ehemals aber selbständig war, wird berichtet13, dass sie im Jahre 1420 erbaut worden sein soll; nach Lutsch14 lassen allerdings die rohen Formen des auf uns gekommenen Bauwerkes — die Kirche ist 1904 renoviert worden — auf das späteste Mittelalter, wo nicht überhaupt auf den Anfang des 16. Jahrhunderts als Bauzeit schließen.
Mehrmals lastete im 14. und 15. Jahrhundert die Hand Gottes schwer auf der Gemeinde, als die Pest ihren todbringenden Einzug in Reichenbach hielt, so in den Jahren 1395 und besonders 1496. Dieser letzteren Pestperiode sollen die kleinen Kapellen, die zum Teil heute noch an verschiedenen Stellen der Stadt vorhanden sind, ihre Entstehung verdanken. Eine derselben steht unter der großen Linde in der Frankensteiner Vorstadt, rechts von der Chaussee nach Peilau, eine zweite in der Gartenmauer eines Besitztumes in der Breslauer Vorstadt am Schießhausplatze, eine dritte befand sich an der Begräbniskirche, weshalb diese Kirche auch Pestkirchlein genannt wurde, eine vierte endlich am Tränktor (Trenktor). Sie enthielt ursprünglich in ihrer unteren Nische eine Abbildung des schmerzvoll leidenden Heilandes, die Nachbildung eines Bildes, welches das Fürstbischöfliche Jungfrauenstift St. Katharina zu Breslau besaß und das aus dem Jahre 1494 stammte. 1880 ließ der damalige Besitzer diese Kapelle fortreißen und dafür eine neue an der südöstlichen Seite seines Gartens errichten, die nunmehr eine Marienstatue enthält.
Da die Quellen über die Zeit vor der Einführung der Kirchenneuerung in Reichenbach nur spärlich fließen, so ist über den Zustand der Gemeinde und ihr religiöses Leben aus dem 14. und 15. Jahrhundert nichts bekannt; jedoch lässt sich annehmen, dass wenigstens im Durchschnitt das religiöse Leben der Gemeinde im 15. Jahrhundert gerade nicht auf der Höhe gestanden haben kann, da sonst die Kirchenneuerung sich in Reichenbach nicht so schnell und tiefgreifend ausgebreitet haben würde. Dass andererseits der Eifer für Religion und Gottesdienst nicht ganz ausgestorben war, beweisen verschiedene Fundationen, die aus dieser Zeit stammen, so zum Beispiel die ewige Lampe vor dem Allerheiligsten, die von einer Klinkenfrau gestiftet sein soll, das Tenebrae am Freitag und das Salve Regina am Sonnabend, beides Fundationen, welche bei Einführung der Kirchenneuerung schon längere Zeit bestanden.
1 Grünhagen I, S. 5.
2 Zoller.
3 Grünhagen I, S. 6.
4 Neuling, S. 255.
5 Paul, S. 11.
6 Vergl. Lutsch, S. 159 ff.
7 Zum Beispiel Johannes der Fromme, Fürstbischof von Salzburg, der Sohn armer Tuchmacherleute, Martinus Mergenthal, des Kaisers Matthias Geheimer Rat, Johannes Ryvius, Dompropst zu Meißen, Johannes Mulbach, des Kaisers Friedrich Barbarossa Kanzler, Maximilianus Beinert, Kaisers Albert I. Rat, Godefridus Aloysius Kinner von Löventhurn, der Hofmeister zweier Erzherzöge von Österreich u. a.
8 Lutsch verwechselt dieses Kirchlein mit der noch zu nennenden Propsteikirche ad S. Barbaram.
9 Nicht Bischof Heinrich, wie die Chronik von Paul sagt.
10 S. 160.
11 Nicht erst, wie die Chronik von Paul sagt; 1525.
12 Neuling, S. 255.
13 Visitationsberichte, herausgegeben von Jungnitz, S. 721.
14 Kunstdenkmäler II, S. 154.
Rekonstruktion und Anpassung an neue Rechtschreibregeln: Marcin Perliński
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