Die
Tanzwütigen zu Reichenbach
Die Volkskrankheit
der Tanz- und Springewut, die man im Mittelalter St. Veits- und
St. Johannistanz nannte, und die sich oft in entsetzlicher Weise
zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Gegenden offenbarte: die
Tänzer zu Kolbeck (Kolbig) im Jahre 1021,
der Erfurter Kindertanz nach Arnstadt (1237), Tänzer
zu Utrecht (1278), die auf einer Brücke tanzten,
welche brach, so dass sie alle ertranken; die Aachener Tanzfahrt
(1374), die sich im ganzen Niederland verbreitete, die
gleichzeitig Tanzwütenden zu Köln und zu Metz,
wo Sinnenwut und Sinnenglut vereint schamlos walteten; die Tanzplage
zu Straßburg (1418) und an andern Orten, die
Adamstänzer in Böhmen usw. — Diese
Volkskrankheit kam noch im sechzehnten Jahrhunderte zur
Erscheinung, und zwar zu Reichenbach, zwei Meilen von
Schweidnitz. Dort war ein Mann des Namens Vierscherig,
der hatte fünf Kinder, davon die ältesten, ein Mägdlein,
Barbara mit Namen, dreizehn Jahre alt, ein Knäblein
neun und wieder ein Mägdlein sieben Jahre alt waren. Die wurden
am Palmsonntag 1551 allzumal von der Tanzwut erfasst, begannen
wunderlich und seltsam zu tanzen und zu springen, wie noch niemand
erhört und ersehen und in unbegreiflicher Weise, und tanzten Tag
und Tag sieben bis acht Stunden in die Quere und in die Länge
hin und her, in alle Winkel, aus der Stube in das Haus und aus dem
Haus in die Stube immer springend und drehend, dass sie grausam müde
wurden, schnaubten und keuchten, so dass es niemand verwundert hätte,
wenn sie auf der Stelle tot niedergefallen wären. Und wenn sie
vor Ermattung nicht mehr stehen konnten, drehten und wirrten sie mit
den Köpfen an der Erde, als wenn sie auf denselben tanzen
wollten; endlich haben sie dann eine Zeitlang geschlafen und gelegen
wie für tot. Wenn sie wieder erwachten, heischten sie bisweilen
etwas zu essen, dann begannen sie wieder zu hüpfen und zu
springen und zu tanzen, Tag und Nacht, wie es sie ankam, redeten
wenig und lachten unterweilen alle zugleich. Ein Pfarrer wollte ihnen
von der Sucht helfen mit geistlichem Zuspruch und nahm sie neun Tage
zu sich in das Haus, es war aber ganz vergebens.
Quelle: Ludwig Bechstein „Deutsches Sagenbuch“, Leipzig 1853, Seite 543 (Text Nr. 651)
Texterkennung und Anpassung an neue Rechtschreibregeln: Marcin Perliński (2025)
vgl.
Erich Hasse „Chronik
der Stadt Reichenbach im Eulengebirge“,
Reichenbach
1929, S. 52,
in der OCR-Rekonstruktion von
2025 auf S. 30

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