wtorek, 28 października 2025

"Die Tanzwütigen zu Reichenbach" → eine wahre Begebenheit aus dem 16. Jahrhundert (Niederschlesien)


Die Tanzwütigen zu Reichenbach

Die Volkskrankheit der Tanz- und Springewut, die man im Mittelalter St. Veits- und St. Johannistanz nannte, und die sich oft in entsetzlicher Weise zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Gegenden offenbarte: die Tänzer zu Kolbeck (Kolbig) im Jahre 1021, der Erfurter Kindertanz nach Arnstadt (1237), Tänzer zu Utrecht (1278), die auf einer Brücke tanzten, welche brach, so dass sie alle ertranken; die Aachener Tanzfahrt (1374), die sich im ganzen Niederland verbreitete, die gleichzeitig Tanzwütenden zu Köln und zu Metz, wo Sinnenwut und Sinnenglut vereint schamlos walteten; die Tanzplage zu Straßburg (1418) und an andern Orten, die Adamstänzer in Böhmen usw. — Diese Volkskrankheit kam noch im sechzehnten Jahrhunderte zur Erscheinung, und zwar zu Reichenbach, zwei Meilen von Schweidnitz. Dort war ein Mann des Namens Vierscherig, der hatte fünf Kinder, davon die ältesten, ein Mägdlein, Barbara mit Namen, dreizehn Jahre alt, ein Knäblein neun und wieder ein Mägdlein sieben Jahre alt waren. Die wurden am Palmsonntag 1551 allzumal von der Tanzwut erfasst, begannen wunderlich und seltsam zu tanzen und zu springen, wie noch niemand erhört und ersehen und in unbegreiflicher Weise, und tanzten Tag und Tag sieben bis acht Stunden in die Quere und in die Länge hin und her, in alle Winkel, aus der Stube in das Haus und aus dem Haus in die Stube immer springend und drehend, dass sie grausam müde wurden, schnaubten und keuchten, so dass es niemand verwundert hätte, wenn sie auf der Stelle tot niedergefallen wären. Und wenn sie vor Ermattung nicht mehr stehen konnten, drehten und wirrten sie mit den Köpfen an der Erde, als wenn sie auf denselben tanzen wollten; endlich haben sie dann eine Zeitlang geschlafen und gelegen wie für tot. Wenn sie wieder erwachten, heischten sie bisweilen etwas zu essen, dann begannen sie wieder zu hüpfen und zu springen und zu tanzen, Tag und Nacht, wie es sie ankam, redeten wenig und lachten unterweilen alle zugleich. Ein Pfarrer wollte ihnen von der Sucht helfen mit geistlichem Zuspruch und nahm sie neun Tage zu sich in das Haus, es war aber ganz vergebens.


Quelle: Ludwig Bechstein „Deutsches Sagenbuch“, Leipzig 1853, Seite 543 (Text Nr. 651)

Texterkennung und Anpassung an neue Rechtschreibregeln: Marcin Perliński (2025)


vgl. Erich Hasse „Chronik der Stadt Reichenbach im Eulengebirge“,
Reichenbach 1929, S. 52, in der OCR-Rekonstruktion von 2025 auf S. 30

 

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