Volkstümliches vom und am Zobten, aufgelesen durch Studiosus Iuris R. Riedel aus Kaltenbrunn am Zobten
Sagen vom Zobten
Von altersher ist es dem Schlesier erlaubt, neben seiner Riesin „Schneekoppe" auch seinen „Vater Zobten" zu nennen und zu preisen, den Augenpunkt, das Wahrzeichen und den Wetterpropheten der Schlesischen Ebene. Herrlich in der Tat ist es, in seine duftigen Waldungen sich zu vertiefen; nie möchtest du dich trennen von den Gefühlen, die da in deiner Brust sich regen; stundenlang kannst du von seinem Gipfel hinaus in die gesegneten Fluren deiner Heimat schauen und immer kehrst du gern wieder zu ihm zurück.
Wenig Freude zwar verursacht die Wahrnehmung, dass er mehr und mehr seines Waldesschmuckes entkleidet wird. Wie vieles Schauerliche und Erfreuliche, wie vieles Wunderbare selbst könnte er dir erzählen aus der Zeit, wo sein dunkler Mantel noch schützend weithin die Umgegend umfing! Hier versammelten sich in grauer Vorzeit die Stämme, um in seinem Heiligtum hoch oben auf dem Gipfel ihrem Gott zu huldigen; hier wurde das Wahrzeichen des Mittelalters, eine Burg, aufgebaut zu Schutz und Schrecken der Talbewohner; hier strömen noch jetzt am ersten Sonntag des Juli die Anwohner zusammen, ein christliches Volksfest zu feiern!
Freilich hat die Zeit viel des Eigentümlichen an ihm und um ihn ausgemerzt, doch nicht alles ist unter ihrem eisernen Flügelschlage verweht worden. Noch manches birgt sich unbeachtet und unscheinbar in der Zobtener Halde, sei es in Redensarten oder in Gebräuchen. Und derartiges wollen wir hier zusammenzustellen versuchen, die Kritik jedoch um milde Beurteilung bittend. Alles ist aus erster Hand oder selbst Erlebtes, und hoffentlich darum als sicherer, unverschönter Stoff geeignet, an Wert zu ersetzen, was ihm an zierlicher Einkleidung gebricht.
Wir sind vollkommen derselben Ansicht und drucken auch diejenigen wenigen Stücke ab, welche schon anderweit bekannt sind. Durch sogenannte verschönernde Einkleidung und Zutat kann der sagenstoffliche Wert stets nur verlieren; unveränderte Mitteilung ist gerade das erste Erfordernis, auch da, wo die Sachen zusammenhanglos und abstrus scheinen.
Hier zuerst eine Sage, welche ich von Leuten vernommen habe, von denen durchaus anzunehmen war, dass sie dieselbe einzig und allein durch mündliche Überlieferung — wie sie auch selbst versicherten — überkommen hatten. Einige Schritte südlich den Gipfel des Berges herabgehend gelangt man zu dem bekannten Brunnen, von dem aus bis hinauf zur Altane man eine Masse loser, bunt zusammengewürfelter Steine, wie die Überreste eines zerstörten Bauwerkes, liegen sieht. Vor langer Zeit bestieg ein Wanderbursch den Zobten und kam zu jener Quelle, deren kristallenes Wasser stets frisch aus den bewaldeten Felsen dringt. Siehe, da saß davor eine wunderbar schöne und liebliche Jungfrau. Ihre blonden Locken waren gehalten von einem Blütenkranze und ihr blaues Gewand war geschmückt mit den Blumen des Maien. Der fremde Jüngling blieb, von dem entzückenden Anblick wie versteinert, stehen. Erst ihre ermutigenden Worte brachten ihn aus seinem stummen Staunen wieder heraus: „O wie gut ist es, dass du kommst! Wie lange schon habe ich auf dein Erscheinen warten müssen!" — Neue Verwunderung für den Fremdling: Ihn sollte man in diesem wildfremden Lande erwarten? Doch bald erhielt er nähere Aufklärung. Nachdem er sich niedergelassen auf dem moosigen Gestein, eröffnete ihm das schöne Fräulein mit großer Freundlichkeit, dass er sie zu erlösen vermöge von einem bösen Zauber, der sie schon Jahrhunderte lang umstrickt halte. Wer sie davon befreien wolle, müsse zu ganz bestimmter Stunde geboren und stets reinen, schuldlosen Herzens geblieben sein. Er nun sei der lang ersehnte Erretter, ihn bitte sie inständig um Erlösung. Zum Dank wolle sie ihm danach ihre Hand geben und so ihn zum Herrn eines gleichfalls verzauberten prächtigen Schlosses auf dem Gipfel des Berges machen. — Nur, um ihren Retter, wenn er sich nahe, zu benachrichtigen, werde sie des Zaubers auf kurze Zeit erledigt. Und, fügte sie hinzu: „In welcher Gestalt ich auch immer erscheinen mag, zage nicht, denn ich tue dir nichts zu Leide — ich komme in Gestalt einer Schlange mit einem Bund Schlüssel am Schweife; auf diesen musst du unverzagt treten, damit die Schlüssel in deine Gewalt kommen." — Nachdem die Schöne ihm noch vieles von all der zu hoffenden Herrlichkeit erzählt und ihn so ermutigt hatte, verschwand sie in der nahen Waldung.
Des andern Tages zur bestimmten Stunde nahte sich der fremde Jüngling den
steinernen Stufen auf dem Plateau des Berges. Siehe, da fuhr mit furchtbarem
Geräusch ein gräulicher Drache dieselben herunter auf ihn zu. Den Anblick des
weit geöffneten Rachens konnte derselbe doch nicht ertragen. Er floh bebend
nach der entgegengesetzten Richtung. Da hielt das Ungetüm plötzlich inne und
gleichsam klagend rief es ihm nach:
,,Hier sind meine Schranken! O weh, wieder muss ich Jahrhunderte warten, bis
ein neuer Retter mir geboren wird!" — Der Wanderbursch aber sah nichts
mehr und kehrte betrübt und reuevoll in seine ferne Heimat zurück.
Aus derselben Quelle stammt folgende Erzählung. Eine Frau litt mit ihrem einzigen Kinde große Not. Da träumte ihr, sie solle am Karfreitag während der „Passion" auf den Zobten gehen, dort werde ihrem Kummer abgeholfen werden. Sie ging zur bestimmten Zeit hinauf auf den Berg, in ihrer Verzweiflung selbst dem Traumgesicht Glauben beimessend. Angekommen auf dem Gipfel, das Kind auf dem Arme, fand sie einen früher nie bemerkten Eingang, trat ein, und in der Wölbung fortschreitend gelangte sie an ein mit Kupfer beschlagenes Tor. Auf ihr Klopfen tat es sich auf; an der Schwelle im Innern aber lag ein pechschwarzer Hund mit feurigen Augen und Rachen. Im Saale selbst saßen stumm an einem Tische von Eichenholz mehrere Greise in altertümlicher Tracht, mit Schreiben beschäftigt. — Seitwärts standen Truhen voll blinkender Gold- und Silbermünzen aller Art. Der Hund rief dreimal: raff, raff, raff! Da nahm sie dreimal mit der Hand von den Schätzen und eilte zur Tür hinaus; diese fiel sofort hinter ihr mit großem Getöse in das Schloss. Nun wurde sie aber erst inne, dass sie ihr Kind drinnen gelassen habe, welches sie, um Geld zu nehmen, auf den Eichentisch niedergesetzt hatte. Wehklagend wollte sie zurückkehren, doch der Eingang war verschwunden, und sie musste jammernd heimkehren. So verlebte sie ein volles Jahr in tiefer Trauer und Bangigkeit um ihr geliebtes Kind. — Am nächsten Karfreitag aber „unter der Passion" eilte die betrübte Mutter zu derselben Stelle, von einer Traumerscheinung dazu aufgefordert. — Jetzt fand sie den Eingang ohne Schwierigkeit wieder auf. Abermals tönte es nach ihrem Eintritt: raff, raff, raff! Aber die Freudige sah nur ihr Kind, das gesund und lächelnd noch auf dem Tische saß, spielend mit roten Äpfeln, und seine Händchen ihr entgegenstreckte. Des Goldes nicht achtend eilte sie mit dem Kleinen beglückt hinaus. Wieder flog hinter ihr die Tür heftig krachend zu, aber sie hörte, wie der Hund kläglich heulte, weil sie es versäumt hatte, von den schimmernden Schätzen zu nehmen und so die Geister drinnen zu erlösen. Jedoch wie erschrak die eben noch so frohe Mutter, als ihr Kind tot in ihren Armen lag. Es vermochte nicht weiter in dieser dichten irdischen Luft zu leben, nachdem es ein ganzes Jahr in der Gesellschaft der Geister zugebracht hatte.
Was aber das Gold anbetrifft, so müssen davon möglichst viele fromme Spenden gemacht werden, damit eine möglichst große Zahl von „Bezahl' es Gott" dafür gewünscht werde. Je zahlreicher diese Dankesworte ertönen, desto mehr verwunschene Geister werden von dem bösen Zauber befreit, denn es gibt auf dem Zobten deren mehr als „Steine auf dem Berge sind!"
Ähnliches gibt die folgende Erzählung. Vor einiger Zeit kam ein Italiener aus Venedig nach Zobten zum Gastwirt zum „Blauen Hirsch“. Er wurde bald mit ihm bekannt und eröffnete ihm, er sei aus so großer Ferne hierher gekommen, um Gold zu holen. Auf dem Berge gäbe es einen unterirdischen Gang, den man am Karfreitagabend mit Vorteil betrete. Falls er Lust habe, könne er ihn begleiten. Es werde ihn gewiss nicht gereuen. Es dürfe aber auf der ganzen Tour kein einziges Wort gewechselt werden, noch dürfe man sich umschauen, möge im Rücken vorgehen, was da wolle; sonst sei alles vergeblich.
In der angegebenen Zeit machten sich beide auf den Weg und kamen glücklich oben auf dem Berge an. Auf der linken Seite der zur Kirche hinaufführenden Stufen, da wo mächtige, uralte Ahornbäume emporragen, fanden sie eine finstere Höhlung. Der Italiener zündete eine geweihte Wachskerze an und erleuchtete, soweit er es imstande war, den dunklen Raum. Er brachte da verschiedene ganz unscheinliche Gegenstände zum Vorschein als Scherben, Schollen, Ziegelsteine... und überreichte auch dem nüchternen Zobtener Bürger, der staunend ihm zuschaute, einige große Stücke. Er selbst nahm deren soviel er tragen konnte, dann machten sich beide auf den Rückweg. Wiederum kamen sie trotz mannigfacher Anfechtungen — das eine Mal ließ sich von verschiedenen Seiten ein lautes Hohngelächter hören — glücklich und vorschriftsmäßig am Fuße des Berges an. Dies war übrigens gar nicht so leicht, denn in der Dunkelheit fortwandernd, sahen sie häufig ganz bekannte Gestalten, wie in größter Eile, auf sich zukommen und fragen, ob sie nicht N. N. (wieder ganz bekannte Namen, deren Träger soeben vorübergeeilt waren) hätten vorbei gehen gesehen.
Endlich brach der Fremde selbst das Schweigen und zeigte triumphierend dem Wirte seinen Reichtum: Die Steine waren sämtlich zu purem Golde geworden! Er frug den Wirt, wo er seine Schätze habe. Dieser platzte verdrossen und ärgerlich heraus: „Ich dachte oben, was sollen dir die schweren Ziegelstücke! ich warf sie hinweg." Der Italiener: „Ihr Schlesier bleibt schon die dummen Arbeitsesel, die nicht wissen, wie sie reich werden können in kürzester Zeit, trotzdem dass ihr die unversieglichste Quelle der Schätze in eurer Mitte habt! — So kommt es, dass der Berg in der Ferne weit berühmter und geschätzter ist als in diesem beschränkten Lande. Doch aus Mitleid will ich Ihnen einige Goldbarren schenken, denn ich habe ohnehin Geld genug! ich wollte nur sehen, ob der Ruhm des Zobten und die sprichwörtliche Beschränktheit der Schlesier auf Wahrheit beruhen."
Die zwei nächstfolgenden Erzählungen habe ich aus dem Munde eines sehr alten nahen Verwandten, der selten in seinem Leben weit über die heimatliche Halde hinausgekommen ist.
Im Zobten sind die Siebenschläfer; ihre Rosse am Zügel haltend, den einen Fuß im Bügel, den andern auf der Erde, so stehen sie da, Mann und Ross in tiefsten Schlaf versunken. Erwachen sie einst und sitzen sie auf, dann ist das Ende der Welt herangekommen. Ähnlich spricht man, der Zobten werde, als Vorspiel zu dieser grausigen Katastrophe, einstens Feuer speien.
An der Südseite des Zobten erhebt sich der sogenannte Geiersberg. In der Einsenkung zwischen beiden wird, auf verschiedenen, großen und kleinen Wegen, die Kommunikation der diesseitigen und jenseitigen Bewohner vermittelt. Auf der Höhe des Geiersberges steht eine hölzerne Jagdhütte im Schatten der Föhren. Um den größten Teil der Plateauperipherie sollen sich deutliche Überreste eines alten Baues erkennen lassen, welche man „die Ringmauer" nennt. Wenn man nun beim ersten Morgengrauen in den Wald kam, so ward man plötzlich von einer Schar kleiner schwarzer Hündchen umbellt, „kissta, kaffta!", so dass man von großer Angst befallen wurde. Betete man aber das Johannisevangelium (das alle, welche öfter diesen Weg zurücklegen mussten, auswendig hersagen konnten), so blies der wilde Jäger auf der „Ringmauer" laut und deutlich sein schallendes Hüsthorn und rief damit die grausige Jagdmeute sofort hinweg; die Hündchen eilten wimmernd von dannen.
Ein anderer Mann hat den wilden Jäger auf den Feldern dahinreiten sehen, sein schwarzes, schweißtriefendes Ross heftig anspornend und gefolgt von klaffenden Hündchen. In gewaltigen Sätzen dahinstürmend habe er gerufen: Hallo! Hallo! Hallo! — das Ross aber sei eine arme Seele, die Satanas peinigt, weil sie einst auf Erden einem unzüchtigen Wandel fröhnte, ebenso die Hündchen, die in ihrem Winseln gleichsam jammern vor Schmerz und Qual der Hölle.
An die Umgegend des Zobten knüpfen sich folgende Erzählungen
Eine Bauersfrau war öfters des Nachts verschwunden, ohne dass ihr Mann sich darüber Aufklärung verschaffen konnte, denn sein Fragen hatte bei ihr keinen Erfolg. Er musste sich also auf das Beobachten des geheimnisvollen Weibes beschränken. Auf diese Weise schien er mehr Glück zu haben. Er erspähte nämlich, dass sich dieselbe nach obligaten Einreibungen mit einer eigentümlichen Salbe auf eine Tonne zu setzen pflegte, durch welche sie fort in die Lüfte getragen wurde. Dadurch noch neugieriger gemacht, versteckte er sich einstmals in die als Reitpferd dienende Tonne und ward mit hinweggetragen aus den „Hexenplatz". Sie stieg ab und auch er kam zum Vorschein. Sprach sie halb verwundert, halb ärgerlich: „Mann, bist du auch da? Du kannst hier bleiben, doch hüte dich, je den Namen Gottes auszusprechen!"
Nun gewann der Bauer Muße, sich die sonderbare Gesellschaft anzusehen. Da befanden sich darunter eine Menge Frauen, die ihm selbst gut bekannt waren, desgleichen Männer, unter denen er auch den lustigen Pfarrer seines Dorfes bemerkte. Sie alle kümmerten sich in ihrer Geschäftigkeit nicht weiter um ihn, denn sie rüsteten sich, an dem köstlichen Mahle, das auf langen Tafeln serviert ihrer harrte, sich zu ergehen. Alle setzten sich nieder und auch ihm ward ein Plätzchen und zwar dem Pfarrer gegenüber zuteil. Der Speisesaal aber war der grüne Wald selbst. Eine Wiese, rings umgeben von dunklem Waldesgrün, dessen tiefe Schatten herrlich kontrastierten mit dem Licht der rötlich lodernden Fackeln. In den Pokalen perlte der Wein und versetzte die Gesellschaft in die heiterste Laune. Man stieß an auf gegenseitiges Wohlsein, und auch der Pfarrer hielt sein immer volles Glas seinem Visavis, unsrem Bauersmann, hin, um mit ihm anzustoßen. In seiner gewohnten biederen Weise sprach letzterer dabei, uneingedenk der Mahnung seiner Frau: „Segne es Gott, Herr Pfarrer!" und wie mit einem Zauberschlage war alles verschwunden, mit Ausnahme des Bauers. Dieser fand in dem Halbdunkel endlich soviel heraus, dass er hoch oben auf einer Fichte sitze, welche ihrerseits auf einem großen Haufen von Totengebeinen stand. Nachdem er mit Mühe und Grauen hinabgekrochen war und endlich Menschen gefunden hatte, erfuhr er zu seinem Schrecken, dass er an hundert Meilen von seiner Heimat entfernt sei. Nach langer Zeit und unsäglicher Anstrengung sah er sie endlich wieder und fand sein Weibchen recht aufgeräumt und guter Dinge. Ihm aber war es schrecklich ernst, was er auch der liebenswürdigen Ehehälfte sofort durch „schlagende Beweise" kundtat.
Doch diese schien auch keinen Spaß zu verstehen. Aus Rache verwandelte die Hexe ihren heimgekehrten Mann in einen Esel. Traurig die Ohren hängen lassend schlich das menschliche Eseltier in der Nähe seines Heimatortes umher — in allen Stücken ein Esel, nur der Verstand nach Art des menschlichen! Er war überall bekannt und, weil er nichts beschädigte, allgemein beliebt. Wie oft schaute er die, die ihn so liebkosten, vielsagend an, doch der Eselsblick fand nie Verständnis!
Als er nun einst nach löblicher Sitte auf einem Heuschober (auf einer Wiese) schlief, träumte ihm, er werde sein übles Schicksal beenden, wenn er der Magd, welche des andern Tags auf dem Friedhofe das Gras abschneiden werde, einen Puschel, der auf einem gewissen Grabe stehe, aus der Hand fresse, sobald sie ihn abgeschnitten habe. Dies ließ sich der gute Eselsmensch nicht zweimal sagen. Er ging hin und tat, wie ihm befohlen war. Der Esel fraß der Magd das Gras aus der Hand, und der Bauer stand vor ihr! Spricht sie: „Herje, Bauer, seid Ihr's?" Spricht er: ,,Ja, ja, ich bin's! Aber an der will ich mich rächen!" Er ging hin und überlieferte sie dem Richter als Hexe, die auch bald ihren Lohn auf dem Scheiterhaufen davontrug! — Noch heut aber steht als Wahrzeichen der Begebenheit eine steinerne Säule in Stein-Kniegnitz.
In Weiß-Kirschdorf lebte vor einiger Zeit ein Schmied, der wegen seiner glücklichen Kuren an Pferden weit und breit berühmt war. Einst kam zu ihm ein Bauersmann, der, während der Meister mit dem Pferde sich beschäftigte, unterdes in die Wohnstube sich verfügte. Um sich Unterhaltung zu verschaffen, nahm er aus einem Behältnis ein schwarzes Buch und begann darin zu lesen. Da gab es denn so wundersame Dinge, dass er seiner Lektüre mit ungeteiltestem Eifer oblag. Dem Meister aber draußen ward bang zu Mute; er eilt in die Stube, reißt dem Unvorsichtigen das Buch aus der Hand und appliziert ihm drei derbe Maulschellen mit den Worten: „Siehst du sie nicht sitzen?“ — Es saßen aber eine Menge schwarzer Krähen in dem Zimmer. Zu ihnen sprach der Schmied: ,,Gehet hinaus und leset vom ,,Steinberge" die Steinchen sämtlich ab", betete dann wieder zurück oder „rückwärts", und eine Krähe nach der andern flog zum Fenster hinaus. Während also die schwarzen Gäste die Aufgabe ausführten, machte der kundige Meister die Unvorsichtigkeit seines Freundes wieder gut. Dem Bauer hätten die Krähen in kürzester Zeit das Genick gebrochen. — Zum Andenken heißt jener Berg der „Krähenberg" bis auf den jüngsten Tag.
Ein ähnliches Thema behandelt die folgende Geschichte, deren Hauptperson mein Berichterstatter sehr gut gekannt haben will. In Königswalde lebte ein sehr berühmter Arzt, der oft in weitere Entfernung zu Patienten entboten wurde. Sein Hauswesen stand unter der Aufsicht eines Dieners. Sehr oft schon hatte er diesem die Worte eingeschärft: ,,Wenn ich nicht da bin, so lass es dir ja nicht etwa einfallen, in jenem großen Buche zu lesen, es ist dein Unglück, wenn du es tust!" — Da jedoch bekanntlich das Verbotene am meisten begehrenswert erscheint, so konnte sich auch unser Bursche nicht enthalten, in dem schwarzen Buche zu lesen. Er las und las — da kam eine Krähe nach der andern zum Fenster herein, ohne dass er etwas gemerkt hätte. Dem Zauberlehrling hätte es sehr bald das Leben gekostet, wäre nicht hastig und atemlos der Doktor gekommen und hätte wieder ,,rückwärts gelesen", um die schwarzen Teufel zu vertreiben!
Eine eigentümliche ,,Katzengeschichte" hat mir ein Greis erzählt, der sozusagen steif und fest behauptete, sie sei wahr. 1866 noch lebte der, dem sie zugestoßen. Eines Abends, nämlich nach Sonnenuntergang, kam U. (der Erzähler) bei dem vor dem Dorfe Klein Bielau gelegenen sogenannten Brechhause vorbei. Unheimlich lag der alte ruinenhafte Bau auf der kleinen Anhöhe, vom Mondlicht erhellt. Grauenhaft standen die Weidenstümpfe umher und glitzerten und nickten im Nachtwinde mit ihren kurzen Ästen, wie wenn Leben in ihnen wäre. Siehe, als er dem Gemäuer gegenüber seine Straße zog, hörte er aus demselben ein unheimliches Konzert ertönen, als ob allerlei Instrumente zu unharmonischem Lärm sich vereinigt hätten. Von Furcht gelähmt blieb er stehen; da wird er plötzlich aus dem Hause mit Namen gerufen. Es war mäuschenstill geworden und er vernahm deutlich die Worte: „U., U., sobald du nach Breslau kommst, grüße mir den Meermauer in der Blauen Marie!" — und weiter ging es in dem höllischen Konzert, das von einer Masse Katzen herrührte, die sich auf den Flachshürden postiert hatten.
Nach einiger Zeit kam U. nach Breslau und ging in das bezeichnete Gasthaus, seinem unheimlichen Auftrage nachzukommen. Er frug den Wirt, wo der „Meermauer" sei. Lachend wies dieser auf den am Ofen sitzenden Kater: „Hier sitzt er!" Siehe, da sprang plötzlich der Kater „Feuer speiend" zum Fenster hinaus und ward nie wiedergesehen! — „Meermauer" ist wahrscheinlich „Mimiauer“. (...)
Quelle: „Rübezahl der Schlesischen Provinzialblätter“, Band 12, 1873, S. 24...28
Texterkennung und Anpassung an neue Rechtschreibregeln: Marcin Perliński (2025)
Kaltenbrunn = Mysłaków

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