sobota, 4 stycznia 2025

Erich Hasse → "Chronik der Stadt Reichenbach im Eulengebirge" (1929) → Teil 4 von 16 → "Im Zeitalter der Reformation unter österreichischer Regierung"

 
Abschnitt 3 « » Abschnitt 5 

 

4. Abschnitt

Im Zeitalter der Reformation unter österreichischer Regierung

Das Jahr 1526 bedeutet auch äußerlich einen gewissen Wendepunkt. Kaiser Maximilian I. aus dem Hause der Habsburger hatte im Jahre 1507 mit Wladislaus von Ungarn und Böhmen einen Erbvertrag abgeschlossen, der seiner Hausmacht schneller als erwartet großen Länderzuwachs bringen sollte. Ludwig II., der letzte männliche Spross aus der in Ungarn und Böhmen herrschenden Familie der Jagiellonen, verlor am 29. August 1526 im Kampfe gegen die Türken bei Mohacz die Schlacht und sein Leben. Schlesien kam damit als böhmisches Kronland an das Haus Habsburg, unter dessen Herrschaft es mehr als zwei Jahrhunderte verbleiben sollte. Segensreiche Friedensjahre waren im 16. Jahrhundert der Stadt Reichenbach beschieden. In ihnen vollendete sich in verhältnismäßig kurzer Zeit das große Werk der in ganz Deutschland begonnenen Kirchenreformation.

Schnell verbreitete sich die Glaubenslehre Luthers in Schlesien. In den Städten mit ihrem höher und selbständiger entwickelten Gemeinschaftsleben fanden die Verkünder der neuen Glaubensrichtung allenthalben Anhänger. Die geschichtlichen Nachrichten über die Art, in der die lutherische Lehre in Reichenbach Eingang fand, widersprechen sich. Protestantische Überlieferungen berichten, dass die Einwohner nach dem Beispiel der Nachbarstädte fast geschlossen zu dem neuen Bekenntnis übertraten, ohne dass sich von gegnerischer Seite ernsthafter Widerstand erhob. Demgegenüber wird in einer anderen Quelle bekundet, dass die Annahme des lutherischen Glaubens nicht ganz friedlich gewesen sei. Die Widersprüche in den Quellen erscheinen bei der leidenschaftlichen Parteinahme jener Zeit verständlich. Sicher wird die Lehre des Wittenberger Reformators von der katholischen Geistlichkeit nicht unwidersprochen hingenommen worden sein, denn die Glaubenssätze Luthers richteten sich in ihrem Grundgedanken nicht nur gegen kirchliche Missbräuche, sondern letzten Endes gegen die Kirche und gegen das Papsttum selbst. Sicherlich wird die neue Lehre in den ersten Jahren auch in Reichenbach Gegenstand lebhafter Auseinandersetzungen in Wort und Schrift gewesen sein. Aber zu Gewalttaten im eigentlichen Sinne wird es deshalb kaum gekommen sein. Die einmal entstandene kirchliche Bewegung schritt vielmehr stetig und unaufhaltsam fort. Die freiheitlich gesinnten Zünfte, die große Masse der Bürgerschaft, folgte dem allgemeinen Zuge ihrer Zeit und erhoffte von der kirchlichen Erneuerung eine ebensolche im öffentlichen und wirtschaftlichen Leben. Die Geschichte der nächsten Jahrzehnte beweist jedenfalls, dass die kirchliche Entwicklung der Stadt in dieser Bahn verlief. Am Ausgange des 16. Jahrhunderts und zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges war die Einwohnerschaft Reichenbachs überwiegend protestantischen Glaubens. Lutherische Kirchenlieder wurden in den Gottesdiensten gesungen. Der Gottesdienst selbst aber fand im Wesentlichen noch unter den althergebrachten Gewohnheiten statt, bis es später auch in den äußeren Formen zu einer deutlichen Trennung beider christlichen Bekenntnisse kam.

In den hier geschilderten Jahrzehnten liegt auch ein wichtiges Stück stadtgeschichtlicher Entwicklung. Das von den Augustinermönchen verlassene Kloster wurde von seinem Besitzer, Bitschin aus Peiskersdorf, an den Rat der Stadt verkauft. Die Kirche stand unbenutzt und öde. Dagegen wurde ein Teil des Klosters als Malzlagerhaus benutzt, in dem das städtische Brauhaus und die brauberechtigte Bürgerschaft ihren Bedarf aufspeicherten. Der Werdegang des früheren Gotteshauses spricht deutlich dafür, dass schon zu dieser Zeit die Glaubensveränderung größeren Boden gewonnen haben muss und das Tätigkeitsfeld der katholischen Geistlichen bereits erheblich eingeschränkt war. Aus dem Jahre 1526 rührt die Stiftung der Witwe Margarethe Schleißer her. Sie vermachte der damals noch katholischen Stadtpfarrkirche ein namhaftes Kapital mit der Bestimmung, dass wöchentlich das Salve Regina gesungen werde. Diese Verpflichtung übernahm die Züchnerzunft gegen eine jährliche Vergütung von 4.5 Mark aus den Zinsen der Stiftung. Die Abrechnung hierüber erfolgte durch den Rat der Stadt.

Das Jahr 1530 bringt der Stadt die Bestätigung ihrer bisherigen Privilegien durch eine besondere Urkunde des Königs Ferdinand IV. von Böhmen, der nachmals als Ferdinand I. die deutsche Kaiserwürde erlangte. Das Recht der Begnadigung bei gewissen Straftaten und die Gültigkeit der Stadtsiegel sind darin besonders hervorgehoben. Von der im Laufe der Jahrhunderte erworbenen Freiheit der Selbstverwaltung machte die Stadt öfter Gebrauch. So überließ sie 1536 der Fleischerzunft gegen eine jährliche Pacht von 15 Mark am Mittelring 30 Fleischbänke, die in sich abgeschlossen beieinander lagen. Über diese Verkaufsstände konnte die Zunft nun frei verfügen. Gleichzeitig überwies die Stadt den Fleischern unentgeltlich die Viehweide zur Unterbringung der Schlachttiere. In dem hierüber abgeschlossenen Vortrage wird erstmalig das Vorhandensein eines Schießstandes erwähnt. Wenn auch die Schützenkompagnie in ihrer späteren Form zu dieser Zeit noch nicht nachweisbar ist, so geht doch aus dem Vorhandensein eines Schießstandes mit Sicherheit hervor, dass schon damals eine Vereinigung von Bürgerschützen bestanden haben muss, die sich regelmäßig im Waffenhandwerk übte, um im Ernstfalle sich und ihr Hab und Gut gegen äußere Gewalt wehrhaft verteidigen zu können. Als Waffe diente ihnen die Armbrust, denn Handfeuerwaffen waren damals noch sehr selten.

Für die Instandhaltung der herzoglichen Burg war in letzter Zeit wenig geschehen. Sie begann zu verfallen. Da sie jedoch für die Verteidigung der Stadt von Bedeutung werden konnte, ließ sich der Rat der Stadt ihre Ausbesserung angelegen sein und setzte seit dem Jahre 1541 für diesen Zweck einen Betrag von jährlich 8 Mark aus. Zwei Jahre später vermachte ein gewisser Blasius Hosper und eine Witwe namens Scholtz der Fleischerzunft eine Erbschaft von 70 Mark. Die Zunft wurde durch die für damalige Verhältnisse erhebliche Summe in die Lage versetzt, sich eine Innungs- oder Testamentslade anzuschaffen, die prächtig ausgestattet war und in der späterhin die Statuten, Testamente, Zunftbriefe und ähnliche Urkunden Aufbewahrung fanden. Zu den bereits bestehenden Märkten traten im Jahre 1549 zwei weitere Jahrmärkte hinzu, die der Stadt von Ferdinand I. verliehen und im Frühjahr und Sommer eine Woche lang vor dem Palmensonntage und nach Peter und Paul abgehalten wurden.

Bei den ständig wachsenden Aufgaben der Stadtverwaltung musste der Rat auf eine Verbesserung der Einkünfte bedacht bleiben. Deshalb wurden Teile städtischen Besitzes außerhalb der Stadtmauern an die benachbarten Grundherrschaften verpachtet. So erwarben im Jahre 1550 die Brüder von Pogrell in Niederpeilau die Nutzung der beiden Fischteiche und der Viehweide in Höfendorf auf die Dauer von zehn Jahren für 500 ungarische Goldgulden. Die Stadt hatte sich das Wiederkaufsrecht vorbehalten und machte davon auch bei Ablauf der Zeit Gebrauch. Im folgenden Jahre wurden unter gleichen Bedingungen die städtischen Wiesen und Äcker am Zeisigberge bei Peilau an die Brüder von Böcke in Güttmannsdorf vergeben und später ebenfalls zurückerobert. In der Stadt ereignete sich im März des gleichen Jahres der seltene Fall, dass drei Kinder eines Leinwebers vom Veitstanz befallen wurden und sich neun Tage hindurch unter Krämpfen bis zur Erschöpfung im Kreise drehten. Da man sie nach dem Aberglauben der damaligen Zeit für verhext ansah, nahm der Pfarrer an ihnen Teufelsbeschwörungen vor und betete für ihre Seelen. Am Abend des neunten Tages erlöste der Tod die armen Wesen. Noch einmal forderte die Pest viele Opfer in der Stadt. In den Jahren 1552 und 1553 starben mehrere hundert Einwohner an der entsetzlichen Seuche.

Eng verknüpft mit der verheißungsvollen Entwicklung der Stadt war die wachsende Ausbreitung der Zünfte. Streng war die handwerkliche Tätigkeit durch Statuten und Verwaltungsordnungen geregelt. Wer in die Zunft seines Handwerks aufgenommen werden wollte, musste zahlreiche und schwierige Bedingungen, was Lehrzeit und Leistungen, aber auch Herkunft anbetraf, erfüllen. Im Jahre 1554 wurde zu den bereits vorhandenen 15 Statuten ein weiteres vom Rat der Stadt, von den Schöffen, Zunftältesten und den beteiligten Handwerksmeistern gemeinschaftlich erlassen. Es befasste sich u. a. auch mit der Regelung des Hauswesens und bestimmte, dass böswillige Verlassung der Ehefrau als vorliegend anzusehen sei, wenn sie länger als ein Jahr von ihrem Ehegatten getrennt wohnte. Sie verlor damit das Recht auf spätere eheliche und häusliche Gemeinschaft, gleichzeitig aber auch jegliche Erbansprüche beim Tode des Ehemannes.

Im Jahre 1555 ist die Stadtpfarrkirche zu St. Georg mit Sicherheit im Alleinbesitz der Protestanten gewesen. In diesem Jahre wurden an der Kirche bedeutsame, bauliche Veränderungen vorgenommen. Auf dem alten Bruchsteinfundament wurden die Mauern in Ziegelwerk erheblich höher geführt, und im folgenden Jahre wurde das ganze Gebäude, das vorher nur einen Dachstuhl aus Gebälk getragen hatte, nach dem Beispiel großer Kirchen gewölbt. Dieser Umbau der schlichten Steinkirche zu einem hochragenden gotischen Dome fällt in die Blütezeit städtischen Lebens im Mittelalter. Er ist eine Ruhmestat der protestantischen Bürgerschaft. Noch heute ist am äußeren Mauerwerk der Kirche zu ersehen, wie umfangreich die Vergrößerung und Erweiterung des Gotteshauses war, die von den Protestanten unter erheblichen Kosten vorgenommen wurde.

Im Jahre 1559 wird neben Gansau erstmalig die Bettelgasse urkundlich erwähnt. Die Gansau zu beiden Seiten der Peile, links der Landstraße nach Langenbielau, diente als Weideplatz für die Gänse der städtischen Bürger. In einem Entscheid der Stadtschöffen erhielt der Bürger Ambrosius Hübner das Recht zugesprochen, zur Verbindung seiner dort in der Vorstadt gelegenen Gärten und Teiche, einen Fußsteg über den damals schon vorhandenen Mühlgraben zu legen. Trotz des Wechsels des Bekenntnisses war die Kommendatur an der Stadtpfarrkirche bei Maltesern verblieben. Im Jahre 1561 wird Martin Betthammer als Kommendator genannt.

Unheil bedrohte im Frühling des Jahres 1562 Leben und Eigentum der Bürgerschaft. Am 29. März brach Feuer in einem Malzhaus aus, das an der Ringecke der Frankensteiner Straße lag. Bei den mangelhaften Löscheinrichtungen der damaligen Zeit griff es rasch weiter um sich. Flugfeuer trug den Brand in die Vorstadt und bis zu  den Stadtscheunen vor dem Breslauer Tore. Als schließlich der Brand erloschen war, lagen 53 Wohnhäuser in der Stadt, 63 Gebäude in der Frankensteiner und Breslauer Vorstadt und mehrere Scheunen in Trümmern und Asche. In vielen Fällen hatten die Bewohner nichts als das nackte Leben retten können. Es dauerte viele Jahre, bis aus den Ruinen wieder neue Häuserreihen entstanden waren.

Machtvoll breitete sich die Zunft der Tuchmacher in den nächsten Jahrzehnten aus. Bereits im Jahre 1563 erwarb sie durch Kauf gegen 4 Mark erblichen Jahreszinses von Sigmund von Peterswaldau die Walkmühle und baute sich am Mühlegraben vor dem Tränktore (Trenktore) eine eigene Färberei. Ebenso kräftig war das durch alte Privilegien begünstigte Braugewerbe aufgeblüht. Im Jahre 1564 wurden allein in der Stadt 144 Gebäude gezählt, auf denen das Braurecht ruhte. Eine Schätzung des städtischen Grundvermögens ergab trotz des Brandschadens einen Wert von 16 750 Talern. Bei solchem Wohlstand ließ es die protestantische Einwohnerschaft nicht an Verbesserungen ihres Gotteshauses fehlen. Im Jahre 1567 wurde das Mauerwerk des Turmes der Stadtpfarrkirche höher hinaufgeführt.

Seltsam berührt die damalige Art der Rechtsauffassungen. Diebstahl und Bettelei wurden in vielen Fällen mit der Todesstrafe geahndet. Wegen eines solchen Deliktes wurde im Jahre 1569 eine ganze Familie — Mann, Frau, zwei Söhne und der Bruder der Frau — hingerichtet.

Nach dem großen Brandt gingen die geschädigten Bürger mit Unterstützung der Stadt mutig an das schwere Werk, sich auf den Trümmern ihrer früheren Wohnstätten neue zu erbauen. Bereits im Jahre 1570 zählte man wieder 358 Häuser innerhalb der Stadtmauern und 102 in den Vorstädten. Eine große Blütezeit für die Tuchmacherei und Weberei begann. Es wurde ein umfangreicher Außenhandel getrieben, und Polen war das hauptsächlichste Ausfuhr- und Absatzgebiet. Der Ruf der Reichenbacher Erzeugnisse war schon damals weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt geworden, und mit jedem Jahre wuchs der Umfang der Ausfuhr, gleichzeitig aber auch der allgemeine Wohlstand der Stadt. Länger als ein halbes Jahrhundert dauerte der verheißungsvolle Zustand an, bis die Stürme des Dreißigjährigen Krieges dieser Blütezeit heimatlichen Gewerbefleißes ein jähes Ende bereiteten.

In dieser Zeit guter Erträge war die Stadt auf eine vorbildliche Armenpflege bedacht. Ihr Plan, die unbenutzte Propsteikirche zu einem großen Kranken- und Versorghaus auszubauen, scheiterte allerdings an dem Widerstande des Kreuzherrnstifts zu Neisse, dem die Kirche gehörte. In dem hierüber entstandenen Streit entschied schließlich durch Urkunde vom 25. Oktober 1570 der Bischof zu Breslau zugunsten des Stifts, dem die Kirche verblieb. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht blieb die Stadtverwaltung nicht mäßig. In Ernsdorf wurde die sogenannte „Neue Mühle“ errichtet, über deren Verwirtschaftung der Rat im Jahre 1571 ein Statut erließ. Die in den Jahren 1571 bis 1573 infolge von Dürre eingetretene allgemeine Teuerung und Hungersnot machte sich auch in Reichenbach fühlbar. Trotz umfangreicher Fürsorge war die Sterblichkeit in den ärmsten Familien damals sehr groß.

Die Bäckerzunft erstrebte ebenso wie die Tuchmacher eine Verbesserung ihrer Verkaufsgelegenheiten. Im Jahre 1572 erwarb sie für 500 Taler von der Stadt das Recht zur Einrichtung von 30 Verkaufsständen auf dem Marktplatz. Sie erhielten den freien Platz vor dem Leinwandhause an der Nordseite zugewiesen. Ebenso erwarben die Schuhmacher das Recht zur Einrichtung von 30 Verkaufsbänken und erbauten sich ihre Stände selbst vor dem Rathausturm an der südöstlichen Ringseite. Für den Platz und die darauf errichteten Bänke mussten sie einen Jahreszins von 9 Talern an die Stadt entrichten.

Eine neue Brandkatastrophe suchte Reichenbach im Jahre 1574 heim. Der Blitz war in ein Brauhaus eingeschlagen, und bald standen die angrenzenden Gebäude gleichfalls in Flammen. 59 Wohnstätten wurden ein Opfer des entfesselten Elements. Auch dieses Unglück überwand die Stadt in kurzer Zeit durch rege Neubautätigkeit. Aus dem Jahre 1576 wird berichtet, dass sich der damalige Malteserkommendator in Reichenbach, Martin Uthoma, nach seinem bereits früher erfolgten Übertritt zum Bekenntnis Luthers und nach dessen Beispiel mit Katharina Hoffmann aus Jauer vermählte.

Der erste Begräbnisverein in Reichenbach, der sich „Commune“ nannte, ist nach älteren Angaben bereits im 16. Jahrhundert entstanden. Er stellte eine Sterbekasse der Tischlerzunft dar, der sich verschiedene kleinere Zechen anschlossen. In der Lade dieses Vereins fanden sich auch mehrere alte Verwaltungsordnungen der Stadt vor, so z. B. aus den Jahren 1561 und 1577. In ihnen, sowie in einer aus dieser Zeit stammenden Polizeiverordnung, werden das Brauwesen, der Aufwand bei Hochzeiten, die Dauer der Tanzlustbarkeiten u. a. m. genau geregelt. Wirtshausstreitigkeiten werden unter strenge Strafen gestellt. Das Glücksspiel wird verboten und hart bestraft. Die Feiertagsruhe in Handel und Hauswirtschaft wird festgelegt. Auch in die Erbschaftsverhältnisse greifen diese Verordnungen ein. Witwer und Witwen dürfen erst dann heiraten, wenn sie mit ihren Kindern die Erbschaftsteilung vorgenommen haben. Zweikämpfe mit Waffen jeder Art galten als strafbar, wobei der Herausforderer strenger als der Geforderte zur Buße herangezogen wurde. Sogar die Ehrenhaftigkeit und Tugend der Frauen und Mädchen wurde der Aufsicht der Stadtpolizei unterstellt. Übertretung der Sittengesetze wurde mit Gefängnis, Enterbung, Leibesstrafe und sogar mit Verweisung aus der Stadt geahndet. Die Annahme und Entlohnung des Gesindes waren durch einen Lohntarif geregelt. Wilddiebe und Vogelsteller wurden mit harten Strafen bedroht.

Auch die alljährliche Musterung der waffenfähigen Bürger war durch Ortsgesetz geregelt. Am 6. Mai jedes Jahres hatten sich die zur Bürgerwehr gehörigen Einwohner auf dem Musterungsplatz am Schießstand vor dem Breslauer Tore in ordnungsmäßiger Ausrüstung zu stellen. In Gegenwart des Feldhauptmanns und unter Führung der Musterungsherren zog dann die Bürgerwehr zu einer Felddienstübung aus. Sie wurde in Schlachtordnung und in Zügen aufgestellt, musste kolonnenweise exerzieren und ihre Waffen abfeuern. Auf Fahnenflucht stand die Todesstrafe. Wie man sieht, wurde der Bürger jener Zeiten zu einem wehrhaften Manne herangebildet, dazu berufen, seine Familie, sein Hab und Gut und seine Vaterstadt gegen äußere Feinde selbst tatkräftig zu verteidigen. Oft genug haben die Bürger bewiesen, dass sie zu solcher ernsten Tat fähig waren. Erst später, als das Söldnerwesen des Dreißigjährigen Krieges die Oberhand gewann, ging die schönste aller Bürgertugenden mehr und mehr verloren, und die Geschichte Reichenbachs bringt ein Beispiel dafür, dass tapfere Bürgerfrauen ihre Männer in Mut und Entschlossenheit beschämten.

In einer Urkunde vom 31. März 1582 erhielt die Stadt das wichtige Privileg, innerhalb ihrer Bannmeile die Verfertigung von Barchent durch die eingesessene Zweigzunft der Barchentweber allein ausüben zu dürfen. Die Stadtpfarrkirche erfuhr in der Zeit bis zum Jahre 1585 eine erhebliche räumliche Vergrößerung durch den Anbau einer Vorhalle. Ebenso wurde der Chor für die Singschüler an der Ostseite erbaut. Ein Jahr später nimmt der langwierige Streit zwischen der Stadt und der Peterswaldauer Grundherrschaft wegen Ausübung der Braugerechtigkeit seinen Anfang. Sigmund von Peterswaldau bestreitet den Reichenbacher Bürgern das Recht, das Bier nach außerhalb auszuschenken und führt darüber in einem Schreiben an den Rat Beschwerde. Lange Jahre sollte es dauern, bis diese unblutige Fehde um das alte Stadtrecht zu einem für die Stadt befriedigenden Abschluss kam.

Im Jahre 1588 war endlich der Bau der Kuppel auf dem Turm der Stadtpfarrkirche soweit gediehen, dass am 7. Dezember die feierliche Aufsetzung des Knopfes und der Wetterfahne mit dem Stern erfolgen konnte. In einer hölzernen Büchse enthielt der Knopf drei mit dem Stadtsiegel beglaubigte Urkunden, von denen zwei auf Pergament, die dritte auf Papier geschrieben waren. Sie enthielten die Unterschriften der damaligen Bürgermeister, Ratsmitglieder, Schöffen und sonstigen Amtspersonen, der Kirchenvorsteher, der Zunftältesten und schließlich auch die Namen des Baumeisters und der an der Aufsetzung beteiligten Handwerker, wobei dem Namen eines Zimmermanns in launiger Weise die lakonische Erklärung hinzugesetzt wurde: „trank gerne einen“. Auf der einen Urkunde ist ausgeführt, dass der Bau in einer Zeit erfolgte, in der „Kirche und Schule in der wahren und unverfälschten evangelischen Lehre und Austeilung der heiligen Sakramente unter einmütigem Beifalle der Bürgerschaft blühten“. Die beträchtlichen Kosten dieser fortdauernden Verschönerungen der Kirche wurden nach Angabe der Urkunden aus freiwilligen Spenden der Bürger und der Zünfte bestritten.

Einen Beweis für den Wohlstand dieser Zünfte bildet die Tatsache, dass nach den Tuchmachern im Jahre 1589 auch die Züchner mit dem Bau eines massiven Meisterhauses begannen, das 1590 vollendet wurde. Gleichzeitig brachten die Züchner auf dem Ringe noch besondere Verkaufsbauden zum Auslegen ihrer Waren zur Ausstellung. Der einfache Anstrich mit dem die Kuppel der Stadtpfarrkirche vordem versehen worden war, wurde im Jahre 1590 durch eine Bedeckung mit Kupfer ersetzt.

Am Ausgang des 16. Jahrhunderts berichtet die Chronik von einer starken Zunahme der Bevölkerung. In den Jahren 1591 bis 1597 erwarben 479 Personen das Bürgerrecht, wobei zu berücksichtigen ist, dass dieses Recht nur erwachsenen und unbescholtenen männlichen Personen verliehen wurde, deren Familienangehörige man noch hinzurechnen muss. Ein derart mächtig emporgeblühtes Gemeinwesen musste sich bei seinem Ausdehnungs- und Betätigungsdrange mit den benachbarten ländlichen Grundherren bald da und dort in Interessenstreitigkeiten verwickeln. Ein solcher Streit entstand im Jahre 1595 mit dem Besitzer des Gutes Klinkenhaus, Heinrich von Raneck, wegen der Wasser- und Fischereirechte in Ernsdorf. Die Angelegenheit kam vor das Manngericht in Schweidnitz, und dieses entschied, dass von Raneck seine Fischerei nur an zwei Tagen der Woche ausüben dürfe, damit die Rechte der städtischen Unterlieger an dem damaligen Fischreichtum der Peile nicht zu sehr beeinträchtigt würden. Friedlicher ging eine Bestrebung der Stadt aus, in Ernsdorf Gelände zu erwerben. Hans von Gellhorn auf Schloss Peterswaldau verkaufte der Stadt im Jahre 1597 seinen Drittanteil an Ernsdorf für 4000 Taler und 200 Floren ungarischen Wertes. Damit gelangten 9 Bauernstellen in den Verwaltungsbereich der Stadt. Sie führten seit jenem Kauf lange Zeit den Beinamen „die Siebenundneunziger“.

Das Begräbniskirchlein vor dem Schweidnitzer Tore war ebenso wie die Stadtpfarrkirche schon vor längerer Zeit in den Besitz der Protestanten übergegangen. Sie nahmen an dem Kirchlein im Jahre 1598 eine gründliche Ausbesserung vor, wobei auch der Turm mit Blei eingedeckt wurde. Ein Jahr später gelangte die Stadt im Tauschwege gegen zwei ihr in Peilau gehörende Bauernstellen in den Besitz der Tränkmühle (Trenkmühle). Leider blieb Reichenbach in den nun folgenden Jahren von allerlei Unglück nicht verschont. Verschiedene Seuchen, vor allem die Pest, riefen eine starke Sterblichkeit unter den Einwohnern hervor. Das Jahr 1600 brachte infolge von Misswuchs eine große Teuerung ins Land. Zwei Brände im Juli und August legten 26 Häuser am Ring und an der Frankensteiner Straße in Asche. Die Zahl der Todesfälle überwog die der Geburten in erheblichem Maße. So standen in diesem Jahre einer Zahl von 1154 Todesfällen nur 599 Taufen gegenüber, wobei freilich zu berücksichtigen ist, dass hierunter auch die benachbarten Dörfer zu rechnen sind, die zum Kirchgebiet gehörten. Aber schon im Jahre 1602 war dieser unheilvolle Zustand wieder glücklich überwunden. Der Gesundheitszustand besserte sich stetig, die Geburten übertrafen bereits wieder die Todesfälle. Immerhin zwangen die zahlreichen Beerdigungen die Stadt zu einer Erweiterung des Begräbnisplatzes. Sie erwarb zu diesem Zwecke zwei vor dem Schweidnitzer Tore liegende zum Burglehen gehörige Häuser mit deren Gärten von Melchior von Gellhorn, legte sie nieder und richtete den Platz als Friedhof ein.

Dies geschah im Jahre 1605, und in dem darauffolgenden Jahre hielt erneut die gefürchtete Pest ihren Einzug in Reichenbachs Mauern. Die von dieser Seuche verursachten Todesfälle waren so zahlreich, dass die Anordnung erging, die Leichen ohne kirchliches Begräbnis nachts in aller Stille zu bestatten, um Ansteckung und weitere Ausbreitung der unheilbaren Krankheit zu verhindern. Am 23. Oktober dieses Jahres erfolgte die feierliche Einweihung der Begräbniskirche, die von den Protestanten „Zur Heiligen Dreifaltigkeit“ benannt wurde. Das Kirchlein war nach dem Beispiel der Stadtpfarrkirche gewölbt worden. Eine steinerne Säule trug das sich bogenförmig zu den Mauern hin ausbreitende Gewölbe. Aus den Jahren 1606 ist schließlich noch ein kleines Stadtsiegel bekannt. Es zeigt als Wappenbild den Drachentöter St. Georg, führt jedoch keine Umschrift. Über der Mauer sind nur die Initialen „C. R.“, das heißt „Civitas Reichenbachensis“ eingetragen. Dieses Siegel ähnelt sehr einem anderen aus dem Jahre 1692, nur wendet sich in diesem der Heilige nach der anderen Seite. Jede heraldische Farbengebung fehlt bei beiden Siegeln.

Am 23. August 1607 schlug während eines schrecklichen Unwetters der Blitz in den Turm der Stadtpfarrkirche, richtete an ihm Zerstörung an und beschädigte auch Orgel und Kanzel. Zum Glück entstand jedoch kein Feuer. Soviel auch Seuchen und Teuerung die Einwohnerschaft heimsuchten, ließ sich diese doch in ihren Vergnügungen nicht stören. Inmitten der ständig den Tod drohenden Gefahren erscheint dieser Drang, des Lebens Genüsse voll auszukosten und die Schrecken der Zeit dabei zu vergessen, verständlich. Jede Gelegenheit war willkommen, die Feste mit Aufwand und allzu lauter Fröhlichkeit zu feiern. Tanzvergnügungen und großes Gepränge standen in seltsamem Gegensatz zu dem Ernst der Tage. Mehrfach schritten der Rat der Stadt und die Geistlichkeit mit strengen Maßregeln gegen dieses Unwesen ein. Steuern, die schon eher einer Strafe glichen, wurden auf jeden Luxus im Haushalt und in der Kleidung, auf Festlichkeiten und Tanzvergünstigungen gelegt, aber erst mit dem Eintritt besserer Jahre wich allmählich diese Zügellosigkeit des Lebenswandels, die darauf schließen lässt, dass der Wohlstand, den der rasch aufgeblühte Handel mit sich brachte, ein großer gewesen sein muss.

Als Beispiel dafür, dass man damals gegen die Sittenverwilderung recht entschieden eingriff, diene folgender Vorfall, von dem aus dem Jahre 1601 berichtet wird. Ein gewisser Andreas Jung aus Neubielau hatte mit einer Reichenbacher Schuhmacherstochter namens Sarah Martin ein Liebesverhältnis, das öffentlichen Anstoß erregte. Auf frischer Tat ertappt, wurde das Liebespaar an zwei Sonntagen in den Hundstock gelegt und so vor allem Volke der Schande preisgegeben. Nachdem die Beiden auf solche Art bußfertig gemacht worden waren, mussten sie am darauffolgenden Sonntag während der Predigt vor dem Altar knien und wurden danach kirchlich getraut und eingesegnet, um von nun an als Ehepaar einander fürs Leben anzugehören. Diese ebenso gewaltsame wie wirkungsvolle Methode entsprach ganz dem Wesen der damaligen Zeit, von der ein Chronist sagt, dass sie „Religionssachen zum Gegenstand der Polizei machte“.

Aus dem Jahre 1609 rührt eine namhafte Stiftung der Witwe des Bürgermeisters Caspar Rädler her. Sie schenkte 100 Taler zum Bau eines kunstvollen Predigtstuhls in der Stadtpfarrkirche, der auch bald angeschafft wurde. Der Stuhl zeigte in erhobener Holzbildhauerarbeit die vier Evangelisten und acht Apostel. Seine feierliche Einweihung erfolgte noch im gleichen Jahre am Sonntag Cantate durch den Pastor Faust. Es wird erzählt, dass sich dem Geistlichen, als er die Kanzel zum ersten Male besteigen wollte, ein feuerschnaubender Drache entgegengestellt habe. Aber der furchtlose Gottesdiener habe das Kreuz geschlagen und ausgerufen „Hebe dich weg, Satan!“ und da sei der Drache mit Wehgeschrei verschwunden. Lange Zeit soll die Stufe der Kanzeltreppe, auf der das Ungeheuer damals gesehen wurde, dessen Abbildung getragen haben, bis sie später bei einer Instandsetzung übertüncht wurde.

Kriegsgefahr drohte im Jahre 1611, als von Passau her Kriegsvolk in Böhmen einfiel und sich den schlesischen Gebirgspässen näherte. Die schlesischen Städte brachten, eingedenk der Hussitengräuel ein Kriegsheer von 1000 Mann auf, und auch Reichenbach musste hier die vorgeschriebene Zahl von wehrhaften Bürgern stellen. Die Kriegsgefahr ging aber noch einmal glücklich vorüber, und noch im gleichen Jahre stellte der Kaiser Matthias, zugleich König von Böhmen, die Ruhe im Lande wieder her. Ihm leisteten am 18. September die schlesischen Stände und die Städte in Breslau die Huldigung und auch Reichenbach war dabei durch einen Abgesandten vertreten. Daraufhin bestätigte Matthias in einer Urkunde vom 12. November der Stadt ihre bisherigen Privilegien.

Im Jahre 1612 erfolgte die Errichtung des zierlichen Türmchens auf dem Dachfirst der Stadtpfarrkirche. Noch heute trägt es das Wahrzeichen der kirchlichen Kommendatoren: das Malteserkreuz. Am 5. Dezember des gleichen Jahres gerieten durch Brandstiftung 13 Stadtscheunen vor dem Breslauer Tore in Brand und wurden mit ihrem Ernteinhalt ein Opfer der Flammen. Recht wacker hielten sich die vier im Jahre 1614 zum Landesschießen nach Breslau entsandten Vertreter der Reichenbacher Bürgerschützen. Sie errangen dort mehrere namhafte Geldpreise. Aus dem Jahre 1615 ist eine Mordtat erwähnt, die sich am 6. März zutrug. Ein Züchnergeselle namens Christoph Morbis erstach den Bürgerwächter Jakob im Verlaufe eines Streites. Der Missetäter wurde bald danach auf dem Galgenberge vor dem Frankensteiner Tore mit dem Schwert zum Tode gebracht, nachdem ihm vorher die rechte Hand abgehauen worden war. Nochmals waren Brandstifter am Werk. Am 22. April wurden wiederum 20 Scheunen eingeäschert. Diesmal wurde man aber des Täters habhaft. Es war der Schmied Georg Niedenführ, der das Feuer aus Rachsucht angelegt hatte. Er endete am Tage vor dem Heiligen Abend am Galgen. Der Altar in der Stadtpfarrkirche hatte dort 115 Jahre gestanden, als er im Jahre 1616 durch einen neuen, prächtigeren ersetzt wurde. Am 13. November fand dessen feierliche Einweihung statt. Wenige Tage danach ging Georg Faust, der seit 1604 als Diakonus, seit 1608 als Pastor in Reichenbach gewirkt hatte, zur ewigen Ruhe ein. Vieles blieb ihm durch seinen frühen Tod erspart. Seinem Nachfolger, Pastor Martin Hiller, sollten nur wenige Jahre friedlichen Wirkens beschieden sein.

Bald raste die Kriegsfurie durch das Land und bereitete ihm in seinem Wirkungskreise ein bitteres Schicksal.

Der Reichenbacher Ring im 17. Jahrhundert. Ansicht von der Schweidnitzer Straße.
Vorher aber war es infolge des Wohlstandes der Stadt noch möglich gewesen, den Turm des Rathauses mit einer neuen Kuppel zu schmücken, die mit zwei Durchsichten versehen und mit Kupfer eingedeckt wurde, während die alte Kuppel nur eine Durchsicht besessen hatte. Die feierliche Einweihung des Rathausturmes erfolgte unter Anteilnahme der gesamten Bevölkerung am 13. Oktober 1616. Eine im Turmknopf niedergelegte Urkunde mit den Unterschriften der Bürgermeister und Ratsherren und mit dem großen Siegel der Stadt gibt hierüber Nachricht. Aus einer weiteren Urkunde des Kaisers Matthias vom 26. Oktober rührt die Schankgerechtigkeit des Ratskellers auf Wein und Branntwein her. Diese Gaststätte erfreute sich seit altersher eines regen Zuspruchs, und der Weinausschank war, wie alte Aufzählungen ausweisen, ständig ein erheblicher. Gehörte es doch schon damals zu den gern geübten Gepflogenheiten der Stadtväter, nach dem Redestreit der Ratsversammlungen einen Schoppen gut gekühlten Weines zuzusprechen und die stadtväterlichen Sorgen in einem fröhlichen Umtrunk ausklingen zu lassen.

Immer mächtiger hatte sich die Zunft der Züchner entwickelt. Längst hatte sie alle anderen Gilden weit überflügelt. Im Jahre 1616 wurden 205 Züchnermeister in der Stadt gezählt, zu denen noch die Witwen der verstorbenen Meister traten, die das Handwerk mit Hilfe von Gesellen weiterführten. Eine im Jahre 1615 vorausgegangene große Dürre hatte eine Missernte verursacht, die erneut zu Teuerung und Hungersnot führte, sodass im folgenden Jahre die Sterblichkeit in der ärmeren Bevölkerung wieder zunahm. Trotz alledem war es aber bereits 1617 möglich, für die Stadtpfarrkirche eine wertvolle Orgel anzuschaffen. Ebenso wurde von den Erben des Pastors Faust dessen Haus durch die Kirchengemeinde angekauft und als Wohngebäude für die Geistlichkeit eingerichtet.

Es schien, als wenn die schicksalsschweren Jahre, die der Stadt nun bald bevorstehen sollten, sich symbolisch in dem am 5. April 1618 vorgenommenen Aufzug der Türmerglocke auf den Turm der Stadtpfarrkirche ankündigen wollten. Bald sollte sie mit ihrem machtvollem Klange nicht mehr die Gläubigen zu gewohnter Andacht rufen und die kleinen, alltäglichen Freuden und Leiden der Gemeinde mit ihrem Geläut begleiten. Gewaltigere Geschehnisse bereiteten sich vor. Nur noch eine kurze Zeitspanne friedlichen Wirkens war der Ruferin droben auf dem hochragenden Turm des Gotteshauses beschieden, bis dann eines Tages ihr metallischer Mund wild und unheildrohend über die friedlichen Dächer weithin ins Land Sturm und Not verkünden sollte. Mit dem Fenstersturz zu Prag begann der längste aller Kriege, die die Weltgeschichte kennt: der Dreißigjährige.

Bevor wir die Schicksale Reichenbachs während dieses Krieges verfolgen, gilt es, einen kurzen Rückblick zu tun. Vieles hat der langwierige Krieg für immer vernichtet, aber einige Zeugen jener glücklichen Zeit vor 1618 sind uns erhalten, in der die Stadt sich eines allgemeinen Wohlstandes erfreute und Sorgen und Todesnöte die Gemüter ihrer Einwohner noch nicht beschwerten. Da sind zunächst die alten Hausportale zu nennen, die teilweise noch heute die Eingänge einiger Häuser an der Nordseite des Ringes zieren und von denen zwei an der Stadtpromenade bei der Hohen Schanze Aufstellung gefunden haben. Kunstvoll aus Stein gehauen, spiegeln sie den Geist der damaligen Zeit und die Denkungsart ihrer Besitzer wieder. „QUOD TIBI NON VIS FIERI, ALTERI NE FECERI. 1569“ lautet die Inschrift des einen Portals, zu Deutsch: „Was du nicht willst, das man dir tu, füg du auch keinem Anderen zu“. Ein beherzigenswerter Sinnspruch, der für alle Rechtschaffenen auch heute noch Geltung haben sollte. Ein anderer Torbogen, der das Hotel „Zur goldenen Krone“ schmückt, verkündet schlicht und doch nicht ohne ein wenig Stolz: „Gottes Segen macht reich ohne Mühe und Arbeit“. Die Genügsamkeit eines anderen Hausbesitzers gibt der Sinnspruch seines Portals wie folgt wieder: „Mancher bekümmert sich um dies und um das — bau du dir ein Besseres und lass mir das; 1596.“ Dieses Portal, einst zum Ringhause Nr. 44 gehörig und jetzt ein Zierstück der Promenade an der Hohen Schanze, ist auch künstlerisch besonders wertvoll. Von der Mitte seines Rundbogens hängt ein sauber gemeißelter Stirnzapfen herab, ein Motiv, das selten anzutreffen und geradezu ein architektonisches Meisterstück ist. Noch mehr solcher schönen Baudenkmäler ließen sich anführen. Erwähnt sei das Portal des Hauses in der Ringecke der Brauerstraße. Es zeigt Weberschiffchen als Zierrat und Abzeichen der Weberei, die früher in Reichenbach ihren Hauptsitz hatte. Ihr verdankt die Stadt zum großen Teil ihren glanzvollen Aufstieg, denn der ständig wachsende Umsatz der Reichenbacher Webwaren trug ihren Namen weit über die Grenzen des Landes hinaus.

Noch ein zweites Gewerbe machte der Stadt einen guten Namen: die Bierbrauerei. Durch alte Privilegien geschützt erfreute sich der Reichenbacher Gerstensaft in weitestem Umkreis großer Beliebtheit und der jährliche Umsatz war ein sehr beträchtlicher. Eine etwa vier Jahrzehnte lang, von 1589 bis 1628, geführte Statistik beziffert die Bierausfuhr in die umliegenden Dörfer auf durchschnittlich 1300 Viertel im Jahre. Ebenso muss dem Wein gut zugesprochen sein, schenkte doch der Ratskellerwirt im Jahre 1619 für nicht weniger als 2435 Taler schlesischen Geldes davon aus. Bei aller Erwerbstüchtigkeit vergaß der Reichenbacher schon damals nicht, nach des Tages Arbeitsfron die Humpen kreisen zu lassen.

Reichenbach, die Stadt einträglicher Betriebsamkeit verwendete seit jeher ihr besonderes Augenmerk auf ein gut ausgestattetes Schulwesen. In der Volksschule wurde von deutschen Lehrern unterrichtet. Sie versahen daneben auch das Amt des Organisten bei den Gottesdiensten und bildeten als Kantoren die Singschüler aus, deren Chorgesänge zur Verschönerung der Andachten beitrugen. Außerdem gab es in der Stadt noch eine höhere Schule, deren Zöglinge auch Unterricht in der lateinischen Sprache erhielten.

So war Reichenbach aus einer kleinen Siedlung deutscher Kolonisten bei Beginn des 17. Jahrhunderts zu einem stolzen Gemeinwesen aufgeblüht, in sich gefestigt durch den Fleiß und Wohlstand seiner Bürger und außerhalb seiner Mauern, die längs nicht mehr die ständig steigende Zahl der Bewohner zu fassen vermochten, überall mit Achtung genannt und bekannt. Der große Glaubenskrieg unterbrach diese zukunftsreiche Entwicklung. Hart war das Schicksal, das nun der Stadt beschieden war. Brände und Beschießungen zerstörten ihre Mauern und Häuser, Erstürmungen und Seuchen rafften mehr als die Hälfte ihrer Einwohner dahin, und am Ausgange des Krieges gehörte Reichenbachs mittelalterliche Blütezeit unwiederbringlich der Vergangenheit an.

Portal am Ringhaus 53. Errichtet 1569.


Rekonstruktion und Anpassung an neue Rechtschreibregeln: Marcin Perliński (2025)
 
 
Abschnitt 3 « » Abschnitt 5 
 

 

Brak komentarzy:

Prześlij komentarz