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Der Einwohnerschaft, dem Magistrat und der Stadtabgeordnetenversammlung gewidmet.
Chronik der Stadt Reichenbach im Eulengebirge
von Erich Hasse
Druck und Verlag des „Reichenbacher Tageblattes“
Inhaber: Carl Maetschke
Reichenbach (Eulengebirge)
1929
Die Einbanddecke und die Zeichnungen zu den Illustrationen entwarf Kunstmaler Kurt Arendt in Reichenbach (Eulengebirge). Das Material zu den Lichtbildwiedergaben ist der städtischen Bildsammlung entnommen.
(...)
1. Abschnitt
Unsere Heimat in vor- und frühgeschichtlicher Zeit
Im Anfang war das Eis. Es bedeckte auch das Land, das heute zwischen Zobtenberg und dem Kamm des Eulengebirges grünt und blüht. Endlich wich die ungeheure Eisfläche im Banne urgewaltigen Naturgeschehens nach Norden zurück. Die Strahlen der Sonne zauberten Leben aus der zernarbten Erde. Es wuchs der Wald, und die Wassermassen brausten in silbernen Bächen zu Tal. Der Wald eroberte das Land Stück um Stück bis hinauf zu den Gipfeln der Berge. Er war die Aufenthaltsstätte der Tierwelt, die mit Elch, Auerochs, Bär und den gefiederten Freunden des Waldes hier bald Einzug hielt. Jahrtausende gingen über diesem allmählichen Werden neuen Lebens dahin.
Dann kam der Mensch. Urgeschichtliche Forschungen haben in den letzten Jahrzehnten das Dunkel ein wenig gelüftet, das über dieser ältesten Zeit liegt, in der erstmalig des Menschen Fuß schlesische Erde betrat. Die wissenschaftliche Auswertung der oft nur durch einen Zufall gewonnenen Funde lässt heute mit einiger Sicherheit die Annahme zu, dass das Land zwischen dem Oderstrom und den Sudeten bereits in der jüngeren Steinzeit, die etwa 5000 Jahre vor Christi Geburt ihren Anfang nahm, besiedelt worden ist. Von Süden her, aus den Donauländern sollen diese ersten Ansiedler gekommen sein, doch kann es nur eine spärliche Besiedlung der mit riesigen Waldflächen und teilweise auch mit Steppen, Seen und Sümpfen bedeckten Heimat gewesen sein. Etwa 2000 Jahre später, so nimmt es die urgeschichtliche Forschung an, kamen an der Oder heraus erneut Einwandererzüge, diesmal von Norden her. Sie waren größer als die bisherigen Einwohner des Landes und wiesen in ihrem Körper- und Schädelbau die den Indogermanen eigentümlichen Merkmale auf. Immer reicher wird nun die linke Oderuferseite besiedelt, auch in der Gegend um den Zobten bis hinab an das Peiletal. Langsam dringen diese germanischen Volksstämme im Laufe der Jahrhunderte weiter vor.
Noch ganz einfach ist die Lebensweise des ersten Menschen. Er hauste in dürftigen Wohngruben kaum unterschieden vom Tier, mit dem er die Nahrung des Waldes teilte, und gegen das er den Kampf ums Dasein aufnahm, seit ihm der Feuerstein als erstes Werkzeug menschlichen Geistes eine überlegene Waffe wurde. An den Ufern der Bäche wich der alles bedeckende Wald um ein weniges zurück, eine Folge der Überschwemmungen, die in den Zeiten größerer Regenfälle eintraten. In den flachen Mulden des den Gebirgszügen vorgelagerten Hügellandes bildeten sich Sümpfe und Seen. Überall dort, wo das Wasser, dieses wichtige Lebenselement, zu finden war, siedelten sich die ersten Menschen an und begannen Ackerbau zu treiben. Daneben bildeten Jagd auf die Tiere des Waldes und Fischfang in den Gewässern den Lebensunterhalt der ersten Bewohner. Bald lernte der Mensch, sich die Tiere dienstbar und nützlich zu machen; er begann Viehzucht zu treiben. Nach dem Kampf mit den Tieren des Waldes nahm er den Kampf mit dem Walde selbst auf. Stück um Stück musste der Wald den innegehaltenen Boden dem Menschen freigeben, der mit der Waffe des Steinbeils und des Feuerbrandes Sieger blieb. Der sterbende Wald düngte das an den Menschen abgetretene Land. Erstes menschliches Kulturleben erwachte.
Vorgeschichtliche Grabfunde, da und dort im Lande zwischen Zobten und Hoher Eule verstreut, sind die ältesten Zeugen jener langen Entwicklungszeit. Wo sich besonders günstige Lebensmöglichkeiten boten, wo gutes und reichliches Wasser vorhanden war und hinlänglich ebenes Land angrenzte, lagen die menschlichen Siedlungen bald enger beieinander. Das erste Gemeinschaftsleben entwickelte sich. Dort, wo wir heute längs des Peilebaches von Oberpeilau über Reichenbach, Neudorf und Faulbrück hinaus Gemeinwesen an Gemeinwesen gereiht finden, wohnten schon frühzeitig unsere Vorfahren, über deren Abstammung und Herkunft wir im Übrigen ebenso wenig Sicheres wissen, wie über den einst alles bedeckenden Wald.
Von Süden her hatte ehedem das organische Leben in Gestalt von Wald, Tier und Mensch seinen Einzug gehalten. Viele tausend Jahre später kamen aus der gleichen Richtung Kaufleute der römischen Weltmacht ins Land. Römische Überlieferung gibt uns die erste geschichtliche Kunde von den Bewohnern unserer engeren Heimat und bezeichnet sie in lateinischer Sprache als Lygier oder Silinger und zugleich als Glieder des großen, germanischen Volksstammes der Vandalen. Mit dem Zusammenbruch des römischen Weltreichs versiegen für mehrere Jahrhunderte die geschichtlichen Quellen. In den Zeiten der großen, umwälzenden Völkerwanderungen dringen fremde Volksstämme in die Gebiete der Silinger ein. Es sind dies Teile der von Osten und Südosten her einwandernden Slawen. Immer stärker wird ihr Zustrom. Schließlich ergreifen sie völlig von dem Lande zu beiden Seiten der Oder bis an die Hänge der Sudeten Besitz und siedeln sich dort in den Niederlassungen ihrer Vorgänger an. Auch hierüber vergehen Jahrhunderte, während deren sich im Westen des germanischen Landes bereits etwas Neues vollzieht, das bald bestimmenden Einfluss auch auf die jetzt von den Slawen bewohnten Gegenden gewinnen sollte. Es bilden sich die ersten germanischen Staaten. Karl der Große gründet das fränkische Weltreich und rückt dessen östliche Grenzen bis an die Elbe und teilweise darüber hinaus.
Das Jahr 843 n. Chr. bringt im Vertrage von Verdun die für Osteuropa entscheidende Wendung. Das fränkische Reich löst sich in drei Teile auf. Aus Westfranken bildet sich das heutige Frankreich; das spätere Deutsche Reich entsteht aus Ostfranken. Zwischen beiden bleibt zunächst Mittelfranken bestehen, bis es im Verlauf der Entwicklung von den beiden großen Randstaaten aufgesogen wird. Mit der Entstehung und Erstarkung des ostfränkischen Reiches setzt gleichzeitig ein natürlicher Ausdehnungsdrang nach Osten hin ein. Zwangsläufig ergaben sich hieraus Berührungs- und Reibungspunkte mit den zu beiden Seiten der Oder wohnenden Slawen. Diese hatten das Siedlungswerk inzwischen fortgesetzt. Slawische Ortsnamen wie Guhlau, Groß-Ellguth und andere sind in unserer Gegend noch heute ein Beweis dafür. Zu einer größeren Staatenbildung und organischen Zusammenfassung der Volkskräfte war es jedoch nirgends gekommen.
Da traten Geschehnisse ein, die für die weitere Entwicklung des slawisch besiedelten Landes von maßgeblichem Einfluss wurden. Etwa seit dem Jahre 900 n. Chr. verheerten die Einfälle der Hunnen slawisches und germanisches Gebiet. Dieser von Ungarn aus hereinbrechende Volksstamm war seit den Zeiten der Völkerwanderung noch nicht zur Ruhe und Sesshaftigkeit gekommen. Dem Auftauchen der kriegerischen Nomadenscharen standen die an der Ostgrenze des ostfränkischen Reiches wohnhaften Deutschen und die benachbarten Slawen im gleichen Maße machtlos gegenüber. Aber die staatenbildende Kraft der germanischen Volksstämme fand bald Mittel und Wege, den Einfällen der Hunnen zu begegnen. Allenthalben wurden unter Heinrich I. an der Ostgrenze nach dem Muster der westlichen Entwicklung feste Burgen errichtet, die der vorwiegend Ackerbau treibenden Bevölkerung Schutz boten und ein sicheres Bollwerk gegen die räuberischen Überfälle der landfremden Horden waren. Um diese befestigten Plätze an der Ostgrenze Deutschlands drängten sich die vordem weit zerstreuten Niederlassungen zu nahe beieinander liegenden Wohnplätzen zusammen. So entstanden die ersten Städte im Osten des Reiches, zeitlich viel später als die Städte des Westens.
Jahrzehnte vergingen über dieser Entwicklung. Reibungen mit den östlichen Nachbarn, den Slawen, blieben nicht aus. Bedrängt von den Hunnen, hatten die Slawen versucht, sich nach Westen hin auszubreiten und von deutschem Land Besitz zu ergreifen. Wechselnde Kämpfe zwischen den deutschen Siedlern und den slawischen Eindringlingen füllten die nächste Zeit aus. Otto I., Heinrichs Nachfolger, setzte seine ganze Macht im Osten gegen die Slawen ein und schaffte zunächst in Böhmen Ordnung. Dessen Herzog Boleslaus wurde schließlich sein Vasall. Damit war eine wichtige Grundlage für die deutsche Kolonisation im Osten geschaffen. Mit dem deutschen Schwert drang auch das Christentum allmählich ins Land ein. Als im Jahre 963 Otto I., der Große, seine letzte Fürstenversammlung in Quedlinburg hielt, da erschien dort auch der Polenherzog Miesko, der Beherrscher Schlesiens, als sein Tributpflichtiger. Polen und Böhmen, und mit ihnen unsere engere Heimat, standen seit jener Zeit unter deutscher Oberhoheit zunächst freilich nur in der Form einer Tributpflicht.
Die staatenbildende Kraft des Deutschen Reiches griff im Laufe der Zeit auch über die östlichen Grenzen hinaus. Mit der Errichtung des Erzbistums Gnesen erfolgte der erste Schritt hierzu. Aber Hand in Hand damit ging eine Entwicklung, die eigentlich im Gegensatz zu den deutschen Reichsinteressen stand.
Ein neuer Staat entstand aus den bisher nur lose miteinander verknüpften polnischen Herzogtümern, die vordem infolge dauernder Fehden und innerer Erbstreitigkeiten zu keiner Einheit gelangen konnten. Boleslaus II., zu dessen Herzogtum damals schon Polen, Schlesien und Mähren gehörten, stellte Ansprüche auf die Lausitz und schloss gegen den Kaiser Heinrich II. geheime Bündnisse ab. Aber dieser kraftvolle Herrscher ging mit Kriegsgewalt gegen den Ehrgeiz der Polen vor. Im Jahre 1004 wurde der Feldzug eröffnet. Nach der Eroberung Böhmens wurde das polnische Heer durch Schlesien bis an die Oder verfolgt und bei Crossen vernichtend geschlagen. In den sich hieran schließenden Kämpfen auf schlesischem Gebiet berührten erstmalig deutsche Kriegsscharen den Eulengau bei der Belagerung der Veste Nimptsch. Im Jahre 1018 musste Boleslaus II. endlich Frieden schließen. Sein Nachfolger, der Polenherzog Miesko II., blieb zunächst ebenfalls deutschfeindlich.
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Katholische Stadtpfarrkirche zu Sankt Georg, älteste Bauform, 13. Jahrhundert |
Vorbereitet wurde die Besiedlung mit deutschen Kolonisten durch verschiedene Umstände. Bereits im Jahre 979 hatte durch Vermittlung des damaligen Kaisers Otto II. der Polenfürst Miesko eine Tochter des deutschen Markgrafen Theoderich zur Gattin genommen. In der Folge fand dieser Brauch unter den polnischen Herrschern und ihren Lehnsleuten immer mehr Eingang. Diese Verbindungen eröffneten die ersten Gelegenheiten zu einem starken Zuzug deutscher Siedler. Gleichzeitig begann die Ausbreitung des Christentums durch die Mönche der in den Kreuzzügen zahlreich entstandenen kirchlichen Orden. Polen, zu dem Schlesien in dieser Zeit noch gehört, war durch andauerndes inneres Wirren zerrüttet. Als Herzog Wladislaus II. im Jahre 1159 starb, erwies sich keiner der polnischen Teilfürsten als fähig, die Oberherrschaft über den ganzen Staat anzutreten. Mit Unterstützung des deutschen Kaisers Friedrich I. kam schließlich im Jahre 1163 ein Vergleich zustande. Schlesien wurde unter die drei Söhne des Wladislaus geteilt und ein im Wesentlichen unabhängiger Staat, in dem die Herzogfamilie der Piasten zur selbständigen Herrschaft gelangte.
Rekonstruktion und Anpassung an neue Rechtschreibregeln: Marcin Perliński (2024)
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