czwartek, 30 stycznia 2025

Das Blutgericht (1844)


 

Współczesna wersja niemiecka: 

DAS BLUTGERICHT

Hier im Ort ist das Gericht,
Viel schlimmer als die Femen,
Wo man nicht mehr ein Urteil spricht,
Das Leben schnell zu nehmen.

Hier wird der Mensch langsam gequält,
Hier ist die Folterkammer,
Hier werden Seufzer viel gezählt
Als Zeugen vom dem Jammer.

Die Herren Zwanziger die Henker sind,
Die Dierig, ihre Schergen,
Davon ein jeder tapfer schind't,
Anstatt was zu verbergen.

Ihr Schurken all, ihr Satansbrut!
Ihr höllischen Kujone!
Ihr freßt der Armen Hab und Gut,
Und Fluch wird euch zum Lohne!

Ihr seid die Quelle aller Not,
Die hier den Armen drücket,
Ihr seid's, die ihr das trockne Brot
Noch von dem Munde rücket.

Was kümmert's euch, ob arme Leut
Kartoffeln kauen müssen,
Wenn ihr nur könnt zu jeder Zeit
Den besten Braten essen?

Kommt nun ein armer Webersmann,
Die Arbeit zu besehen,
Find't sich der kleinste Fehler dran,
Wird's ihm gar schlecht ergehen.

Erhält er dann den kargen Lohn,
Wird ihm noch abgezogen,
Zeigt ihm die Tür mit Spott, und Hohn
Kommt ihm noch nachgeflogen.

Hier hilft kein Bitten, hilft kein Flehen,
Umsonst sind alle Klagen;
Gefällt's euch nicht, so könnt ihr gehn,
Am Hungertuche nagen.

Nun denke man sich diese Not
Und Elend dieser Armen;
Zu Hause keinen Bissen Brot
Ist das nicht zum Erbarmen?

Erbarmen? Ha! ein schön Gefühl,
Euch Kannibalen! fremde;
Ein jeder kennt schon euer Ziel:
Es ist der Armen Haut und Hemde.

O! Euer Geld und euer Gut,
Das wird dereinst zergehen
Wie Butter an der Sonne Glut,
Wie wird's um euch dann stehen?

Wenn ihr dereinst nach dieser Zeit,
Nach diesem Freudenleben,
Dort, dort in jener Ewigkeit
Sollt Rechenschaft abgeben?

Doch ha! sie glauben an keinen Gott,
Noch weder an Höll und Himmel,
Religion ist nur ihr Spott,
Hält sich ans Weltgetümmel.

Ihr fangt stehts an zu jeder Zeit,
Den Lohn herabzubringen,
Und andre Schurken sind bereit,
Eurem Beispiel nachzuringen.

Der Reihe nach folgt Fellmann nach,
Ganz frech ohn' alle Bande,
Bei ihm ist auch herabgesetzt
Der Lohn, zur wahren Schande.

Die Gebrüder Hofrichter sind,
Was soll ich ihnen sagen?
Nach Willkür wird auch hier geschind't,
Dem Reichtum nachzujagen.

Und hat auch einer noch den Mut,
Die Wahrheit nachzusagen,
Dann kommt's so weit, es kostet Blut,
Und dann will man verklagen.

Herr Cammlott, Langer genannt,
Der wird dabei nicht fehlen,
Einem jeden ist es wohl bekannt,
Viel Lohn mag er nicht geben.

Wenn euch, wie für ein Lumpengeld,
Die Ware hingeschmissen,
Was euch dann zum Gewinne fehlt,
Wird Armen abgerissen.

Sind ja noch welche, die der Schmerz
Der armen Leut bewegt,
In deren Busen noch ein Herz
Voll Mitgefühle schlägt.

Die müssen, von der Zeit gedrängt,
Auch in das Gleis einlenken,
Der andern Beispiel eingedenk
Sich in dem Lohn einschränken.

Ich sage, wem ist's wohl bekannt,
Wer sah vor zwanzig Jahren
Den übermüt'gen Fabrikant
In Staatskarossen fahren?

Sah man dort wohl zu jeder Zeit
Paläste hoch erbauen?
Mit Türen, Fenstern, prächtig weit,
Ist's festlich anzuschauen!

Wer traf wohl dort Hauslehrer an
Bei einem Fabrikanten?
In Livreen Kutscher angetan,
Staats-Domestiken, Gouvernanten!

 

W czasie powstania śpiewano zazwyczaj tylko kilka pierwszych zwrotek.

pozostałości ---> video/audio/txt (pierwotna wersja niemiecka, wersje angielska oraz polska)

 

Zachęcam do posłuchania sobie, bo pieśń fajowa i wpadająca w ucho. Autor tekstu nieznany, a melodia "zerżnięta" z bardzo popularnej niegdyś piosnki "Es liegt ein Schloss in Österreich", której najwcześniejsze wersje pochodzą z XVI stulecia (pobierz audio). 

Aha, Zwanziger i Dierig to kapitalistyczne indywidua, czyli właściciele zakładów włókienniczych w Pieszycach oraz Bielawie

Mało znany jest natomiast fakt, że powstanie miało miejsce również w innych sowiogórskich lokalizacjach typu Lutomia oraz Glinno (Modlęcin), gdzie akurat nie było ofiar w ludziach.

Dokładniejszy opis powstania znajduje się między innymi w kronice Hassego.

Doczytaj także koniecznie totoż.

 

(Marcin Perliński)

Erich Hasse → "Chronik der Stadt Reichenbach im Eulengebirge" (1929) → Teil 9 von 16 → "Reichenbach während der Befreiungskriege und im Zeitalter wirtschaftlicher Umwälzungen"

 

Abschn. 8 « » Abschn. 10  

 

 

9. Abschnitt

Reichenbach während der Befreiungskriege und im Zeitalter wirtschaftlicher Umwälzungen

Das Jahrhundert der großen technischen Erfindungen begann ohne sonderlich bemerkenswerte Ereignisse. Ein Brand in der Frankensteiner Vorstadt am 22. März 1801 bedrohte infolge starken Windes den ganzen Stadtteil, konnte aber glücklich eingedämmt werden. Der um das Stadtwohl hochverdiente Ratsälteste und Oberkirchenrat Streckenbach starb am 1. Oktober des gleichen Jahres und wurde seinem Wunsche gemäß in aller Stille auf dem katholischen Kirchhofe an der Pfarrkirche beigesetzt. Mehrere Brände ereigneten sich auch im Jahre 1802, doch blieben sie auf ihren Herd beschränkt. Am 1. Oktober trat der katholische Stadtpfarrer Franz Schilg sein Amt an. Die seit Längerem gehegte Absicht, ein neues Armenhospital zu erbauen, musste auf Veranlassung der Regierung verschoben werden, da die Baumittel nicht gereicht hätten. In diesem Jahre wurden das Rathaus und dessen Turm ausgebessert. Ferner erbaute der Kaufmann Kellner an der Ringecke der Klosterstraße sein Haus von Grund auf völlig neu und ließ es mit einem Aussichtsturm versehen. Die Webwarenfabrikation in der Stadt begann bereits zu dieser Zeit unter Absatzstockungen zu leiden, die ihre Ursache in den kriegerischen Verwicklungen in Europa hatten.

Mit strenger Kälte fing das Jahr 1803 an. Das Thermometer blieb mehrere Wochen 20 Grad unter Null. Das folgende Jahr brachte am 13. Juni ein großes Hochwasser. Die Peile überschwemmte die Hausgärten und richtete an den Häusern längs der Ufer beträchtliche Schäden an. Die Schützengilde verkaufte ihre 13 silbernen Königsschilder und eine Medaille zum Einschmelzen, um den Grundstock für den geplanten Schießhausneubau zu vermehren. König Friedrich Wilhelm III. reiste am 19. August 1804 mit seinem Bruder, dem Prinzen Wilhelm, durch die Stadt. Die erste Industrieschule wurde in einem Gebäude auf der Friedrichstraße am 21. April 1805 eröffnet. Ihr Besuch war sehr zahlreich, zeitweilig wies sie an 140 Schüler und Schülerinnen auf, die in der Webwarenherstellung, im Stricken und Nähen unterrichtet wurden. Leider ging sie in späteren Jahren unter der Ungunst der Wirtschaftslage wieder ein. Die steinerne Staupsäule auf dem Ringe wurde in der Walpurgisnacht zum 1. Mai von unbekannter Hand umgestürzt und zertrümmert. In der im Vorjahr eingerichteten Stadtbuchdruckerei von Ernst Müller erschien am 1. Juni 1805 die erste Reichenbacher Zeitung unter dem Titel „Wochenschrift für die Gegend des Eulengebirges“. Sie war von kleinstem Format und enthielt nur selten ein Inserat. Schon im folgenden Jahre stellte diese Zeitung ihr Erscheinen ein.

In der Textilindustrie gestalteten sich nun die Verhältnisse immer ungünstiger. Da die Absatzschwierigkeiten fortdauerten, trat Arbeitsmangel ein, der bei der gleichzeitigen Teuerung der Lebensmittel die arme Bevölkerung sehr hart traf. Die von Kirchen und mildtätigen Menschenfreunden gesammelten Spenden reichten bald nicht aus, um die ständig wachsende Not wirksam zu lindern. Am 23. Juli 1805 kam es auf dem Wochenmarkte zu einem Tumult, und die Menge der hungernden Weber traf Anstalten, die Verkaufsstände und Geschäfte zu plündern. Durch Absperrung der Stadttore wurde das Eindringen auswärtiger Arbeitsloser verhindert und die Absicht der Aufrührer vereitelt. Man schaffte aus dem königlichen Magazin in Schweidnitz Mehl und Zwieback in die Stadt und verteilte dieselben unter die Notleidenden. Auf die Dauer konnte auch dies nichts helfen. Zu den Schwierigkeiten des Warenabsatzes gesellte sich später der Kampf der Maschinenweberei gegen die Handarbeit. Nur langsam vollzog sich die Umstellung der Betriebe auf die neue Fabrikationsart, weil die Fabrikunternehmer selbst nicht immer über die Mittel zur Anschaffung der kostspieligen Maschinen verfügten und weil auch die große Menge der Handweber sich nur schwer von der veralteten Herstellungsweise der Handspinnerei und Weberei trennte.

Friedrich Sadebeck, Reichenbachs namhaftester Fabrikant, hatte aus eigenen Mitteln auf einem Teile der abgetragenen Totenschanze einen Friedhof anlegen lassen, der in seiner idyllischen Lage noch heute eine Sehenswürdigkeit der Stadt bildet. Im Mittelpunkt des Begräbnisplatzes, der am 9. Oktober 1805 feierlich eingeweiht wurde, erhebt sich die kuppel- und säulengeschmückte Familiengruft des Stifters. An den Seiten des Platzes befinden sich die gemauerten Grüfte zahlreicher alter Bürgerfamilien. Ein eigenartiges Schicksal wollte es, dass schon wenige Wochen nach der Einweihung ein Familienmitglied des Stifters die Reihe der Toten eröffnen sollte. Sadebecks dritter Sohn, Friedrich Reinhold, starb plötzlich und wurde am 30. Dezember feierlich in dem neuen Erbbegräbnis beigesetzt.

Als im Jahre 1806 der Krieg zwischen Preußen und Frankreich ausbrach, musste die Stadt größere Lieferungen an Waffen und Ausrüstungsstücken nach Schweidnitz leisten. Die hierfür aufgewendeten Kosten von über 1600 Talern wurden erst 1820 zurückerstattet. Nach der verlorenen Schlacht bei Jena kamen die feindlichen Truppen bald nach Schlesien. Am 10. Januar 1807 trafen württembergische reitende Jäger in Reichenbach ein. Sie wurden am 25. Januar von preußischen Husaren überrumpelt und vertrieben, aber am folgenden Tage besetzten wiederum Württemberger, diesmal die übel berüchtigten schwarzen Jäger unter Oberst von Scharfenstein, die Stadt, die eine Kontribution von nahezu 10 000 Talern auferlegt erhielt. Überhaupt glichen die gestellten Bedingungen nahezu einer Plünderung. Bis ins Frühjahr hinein wechselten Bayern und Württemberger in der Besatzung ab. Am 30. April erschienen plötzlich von Silberberg her preußische Husaren und Jäger in der Stadt. Es entspann sich ein heftiger Straßenkampf. Zwei Bürger wurden schwer verwundet. Kugeln schlugen in die evangelische Kirche ein, in der gerade die Konfirmation stattfand. Die Preußen erbeuteten die gegnerische Bagage. Beide Parteien verloren mehrere Tote. Am 16. Juli traf endlich die Nachricht des Friedensschlusses zu Tilsit in der Stadt ein, von der Bürgerschaft mit Jubel begrüßt. Doch noch 14 Monate dauerte die feindliche Besatzung. Bald waren es Bayern, bald Württemberger, dann wieder polnische Ulanen und französische Infanterie, die in Reichenbach ungebeten Quartier nahmen. Die Franzosen betrugen sich nach zeitgenössischen Berichten noch am vorteilhaftesten, dagegen wurde über die Zügellosigkeit der Württemberger viel geklagt. Alles atmete auf, als am 23. November 1808 die letzten feindlichen Truppen abzogen.

Noch am 3. Dezember desselben Jahres erging ein Aufruf, alles Metall zusammenzubringen, dem die Bürgerschaft freudig nachkam. Durch freiwillige Geldspenden wurde ferner ein Betrag von 836 Talern gesammelt. Die Stadt ließ in Breslau eine dreipfündige Kanone gießen und machte sie dem preußischen Könige zum Geschenk. Das Geschützrohr war mit dem Reichenbacher Stadtwappen geschmückt und trug die Aufschrift „Optimo regi grata civitas, Reichenbach 1808“ (Ihrem guten König die dankbare Bürgerschaft).

Ein Vierteljahr später traf vom König Friedrich Wilhelm III. folgendes Schreiben beim Kommandierenden der Festung Glatz, dem Oberst Graf Götzen, ein:

 

„Mein Lieber Obrist Graf Götzen!

Ich erkenne mit Dank den rühmlichen Patriotismus, welcher die guten Einwohner der Stadt Reichenbach in Schlesien veranlasst hat, dem Staate eine dreipfündige Kanone zum Geschenk zu machen, und ersuche Euch, der Stadt darüber Mein besonderes Wohlgefallen mit dem Beifügen zu erkennen zu geben, dass der Minister des Innern die Anweisung erhalten habe, den treuen Einwohnern Reichenbachs für die Vaterlandsliebe ein förmliches Belobigungspatent auszufertigen.

Ich bin Euer wohlgeneigter König.

Königsberg, 10. April 1809. Friedrich Wilhelm“

 

Die Kanone kam nach Neisse und wurde im September 1809 vom König in Augenschein genommen, worauf noch ein besonderes Belobigungsschreiben beim Magistrat einging. Die Stein-Hardenbergsche Reform hatte bereits im Frühjahr die Wahlen der Stadtverordneten und des Magistrats gebracht. Die neue Städteordnung wurde am 29. Juni 1809 in feierlicher Form eingeführt. Im folgenden Jahre reiste der König am 3. September durch Reichenbach und wurde von der Einwohnerschaft freudig bewillkommnet.

Die Seidenraupenzucht hatte keine Erfolge gezeitigt. Man beschloss deshalb, die Maulbeerpflanzungen auf den Stadtwällen durch Obstbäume zu ersetzen. Jeder neue Bürger übernahm die Verpflichtung, dort einen Obstbaum anzupflanzen; viele alte Bürger taten es freiwillig. Im Jahre 1811 zählte die Stadt 3469 Einwohner, wovon zwei Drittel evangelisch waren. Die Propsteikirche zu St. Barbara in der Frankensteiner Vorstadt wurde am 24. Januar 1811 in feierlicher Form für immer geschlossen.

Der Feldzug Napoleons I. gegen Russland bescherte der Stadt neue Einquartierung. Am 3. Mai 1812 marschierten 100 französische Soldaten mit 300 Artilleriepferden durch. Am 18. Dezember trafen unter preußischem Geleit über 500 russische Kriegsgefangene ein, die mangels anderer Sammelquartiere in der Propstei-, Kloster- und Begräbniskirche untergebracht wurden. Obwohl Fabrikation und Handel in Reichenbach damals sehr daniederlagen, suchte die Einwohnerschaft das Los der Gefangenen durch Spenden von Geld, Lebensmitteln und Bekleidung nach Kräften zu verbessern.

Als am 3. März 1813 der Ausruf „An mein Volk“ erging, fand er in Reichenbach freudigen Widerhall. Zahlreich meldeten sich aus allen Kreisen der Bevölkerung Freiwillige, ihre Ausrüstung wurde durch Geldsammlungen aufgebracht. Als kurze Zeit später die Landwehr aufgeboten wurde, zeigte sich erneut die Opferbereitschaft der Reichenbacher Einwohner. Viele Bürger verließen Familie und Beruf und zogen hinaus in den Befreiungskampf.

Noch einmal sollte Reichenbach weltgeschichtliche Bedeutung erlangen. Mit Stolz wird immer die Stadt auf die in ihren Mauern geschlossenen Bündnisse zurückblicken können, die zur Befreiung Preußens und Deutschlands vom Joch des korsischen Eroberers und schließlich zu seinem Sturze führten. Bald sah die Stadt die großen Staatsmänner der verbündeten Mächte bei sich zu Gaste. Die bekanntesten Freiheitsdichter verfassten hier ihre begeisternden Verse und flammenden Streitschriften.

Am 1. Juni wurde das russische Hauptquartier nach Reichenbach verlegt. Anfangs bemächtigte sich der Einwohner eine begreifliche Furcht vor den fremden Kriegsscharen, die in Sitten und Gebräuchen recht wenig mit deutscher Kultur gemein hatten. Zahlreiche Familien verließen die Stadt vorübergehend und begaben sich nach Böhmen. Im Ringhause Nr. 148 hatte der russische Oberbefehlshaber Feldmarschall, Barclay de Tolly, Quartier genommen. Nicht weniger als 2400 Köpfe zählte des gewaltigen Heeres Stab, darunter allein 70 Generäle. Sie alle wohnten in Reichenbach. Nahezu 4000 Pferde waren in den Ställen, Höfen, Gärten und Scheunen untergebracht. Marktplatz und Straßen waren durch große Düngerhaufen fast unwegsam gemacht. In den verlassenen Wohnungen hausten die landfremden Soldaten nicht gerade zum Besten. Zwei Tage nach dem am 4. Juni 1813 abgeschlossenen Waffenstillstand traf der russische Kaiser Alexander I. im Schlosse zu Peterswaldau ein. Dort hatte sich vorher Prinz Wilhelm, der spätere Kaiser Wilhelm I., mit seinem Bruder Carl aufgehalten. In der Folgezeit wohnte er in dem Lehngut von Schöps in Reichenbach-Altstadt, dessen Nachkommen im Jahre 1886 von dem greisen Kaiser ein huldvolles Handschreiben und ein mit eigener Unterschrift versehenes Bild als Gedenken an die in den Befreiungskriegen gewährte Gastfreundschaft erhielten.

König Friedrich Wilhelm III. wohnte unweit von Reichenbach im Schlosse zu Neudorf. Das Haus Nr. 126 war das Absteigequartier des russischen Herrschers, wenn er zu den Verhandlungen nach Reichenbach kam. In dem Gebäude des Pastors Tiede vor dem Tränktore (Trenktore) aber wohnte der geistige Kopf des Befreiungskampfes, der preußische Staatsminister Freiherr vom Stein. Dort liefen alle Fäden zu jenem großen, europäischen Bündnisse zusammen, in dessen Netz sich Napoleon I. bald verstricken sollte. Noch heute gemahnt eine einfache Gedenktafel an dem Hause Pulverstraße Nr. 1 an diese historische Stätte. Hier wurde am 14. Juni der wichtige Vertrag zwischen England und Preußen geschlossen, dem am 15. Juni der englisch-russische zu Peterswaldau folgte. Das Bündnis vom 27. Juni krönte das Werk der preußischen Diplomaten; Österreich trat dem Schutz- und Trutzbündnis der europäischen Mächte bei. Den Vertrag unterzeichneten die anwesenden Staatsminister Stadion, Kesselrode und der preußische Kanzler Hardenberg, der damals in Nieder-Peilau wohnte. Daneben hielten sich noch in Reichenbach die bekannten Diplomaten Lord Castlereagh, Pozzo di Borgo, Wilhelm von Humboldt, Schön und Niebuhr auf. Die preußischen Feldherrn Blücher, Gneisenau und Grolman wählten oft die Stadt zum Quartier. Sie öffnete ihre Tore den Freiheitssängern Ernst Moritz Arndt, Theodor Körner und Max von Schenkendorf, die hier längere Zeit beieinander weilten.

Arndt hatte in einem alten, halbverfallenen Häuschen an der Stadtmauer mit Mühe eine Unterkunft gefunden. Hier dichtete er das „Lug’ ins Leben aus meinen Nachtwächterhäuschen in Reichenbach“. Später fand er bei dem in der Stadt ansässigen ehemaligen Gesandten Graf Geßler, dem Paten Körners, Aufnahme. Körner suchte hier Heilung von seiner bei Kitzen erhaltenen Säbelwunde. Sie wohnten längere Zeit in dem Ringhause Nr. 19 (früher Nr. 3) beieinander, welches heute das Verlagsgebäude des „Reichenbacher Tageblattes“ ist. Bald sollte das Zusammenleben der drei begnadeten Dichter zerrissen werden. Gegen Ende des Juli begannen die Feindseligkeiten. Wenige Wochen später empfing Arndt die Nachricht vom Heldentode Körners in dem Gefecht bei Gadebusch am 26. August. Aber er erlebte hier auch noch die Kunde von dem großen Siege der verbündeten Waffen in der Völkerschlacht bei Leipzig am 18. Oktober 1813. Kurz darauf verließ er die Stadt, wo neben anderem auch sein bekanntes Gedicht „Lebenstraum, der Künftigen gemalt zu Reichenbach im Sommer 1813“ entstanden war.

Mit dem Beginn des Befreiungskampfes hatte das russische Hauptquartier die Stadt verlassen. Statt dessen lagen in ihr nun ständig russische Truppen. Sie zeigten vor dem Eigentum der Bürger leider wenig Achtung und machten an den Häusern und ihrer Einrichtung viel Schaden. Beispielsweise fielen ihnen auch die städtischen Jahrmarktsbuden zum Opfer, die sie im Winter als Brennholz verbrauchten. Andererseits bot sich den einheimischen Handelsleuten jetzt gute Gelegenheit, bei der Beschaffung der Verpflegungsmittel und Bekleidung für diese Menge von Soldaten ansehnliche Verdienste zu machen. Die Weber fanden in diesem Jahre wieder ausreichende Beschäftigung, weil der Bedarf der kriegführenden Mächte an Stoffen jeder Art ständig stieg. Erst im Sommer 1814 verließen die letzten Russen die Stadt. Für die Frauen und Kinder der im Felde weilenden Mitbürger und zur Unterstützung der Kriegsbeschädigten wurden durch Sammlung unter den Daheimgebliebenen namhafte Beträge aufgebracht.

Besonders aber gedachte man derer, die im Kriege ihr Leben für Deutschlands Freiheit dahingegeben hatten. Die Bürgergarde erließ einen Aufruf zur Errichtung eines Denkmals für die Gefallenen, der so starken Widerhall fand, dass dieses Erinnerungszeichen bereits am 18. Oktober 1814, dem ersten Jahrestage der Leipziger Völkerschlacht, feierlich eingeweiht werden konnte. Es fand seinen Platz auf der Totenschanze neben dem Sadebeckfriedhofe und trägt die Namen von 18 Söhnen der Stadt Reichenbach, die als Freiwillige und Landwehrleute den Tod auf dem Felde der Ehre erlitten hatten.

Als die Rückkehr Napoleons von der Insel Elba einen zweiten Feldzug gegen Frankreich notwendig machte, meldeten sich am 7. April 1815 wieder zahlreiche Einwohner zu den Waffen. Schon drei Monate später konnte der Sieg bei Belle Alliance mit einem festlichen Aufzuge begangen werden, an dem sich das in der Stadt liegende Landsturm-Bataillon beteiligte. Ein halbes Jahr darauf feierte man den endgültigen Frieden.

Im August 1815 war die Nachricht eingetroffen, dass Reichenbach als Sitz der Regierungsbehörde für den neugeschaffenen Gebirgsregierungsbezirk ausersehen sei. Längere Zeit hatte die Wahl des Ministeriums zwischen Frankenstein und Reichenbach geschwankt. Nach einer Besichtigung beider Orte durch den Liegnitzer Regierungspräsidenten Kiekhöfel hatte man sich für das Letztere entschieden, weil es im Mittelpunkt des Industriebezirks lag, und weil man hier ein geeignetes Gebäude gefunden hatte, das der umfangreichen neuen Behörde ausreichenden Platz bot.

Es war dies der Gasthof „Zum Roten Hirsch“ an der Ringecke der Schweidnitzer Straße. In der Stadt herrschte über diese Wahl große Freude, die noch vermehrt wurde, als zu Beginn des Jahres 1816 der Generalstab der Landwehr unter Generalmajor von Stutterheim in der Stadt sein Quartier aufschlug.

Mit dem 1. Mai 1816 wurde Reichenbach Regierungshauptstadt. Am Abend zuvor trat das gesamte Regierungskollegium, dessen Präsident der Baron von Lüttwitz wurde, von den staatlichen Behörden, der Bürgerschaft und der Bürgergarde feierlich willkommen geheißen worden. Der Regierung und dem General von Stutterheim zu Ehren wurde ein Fackelzug mit Musik veranstaltet, und die Festlichkeit beschloss ein Aufruf vor dem Rathaus, der in die Worte ausklang: „Es leben alle, die das Glück haben, unter dem Schutze der königlichen Gebirgs-Regierung zu stehen!“ Dem Präsidenten wurde das Bürgerrecht in einer Urkunde verliehen, deren Siegel in einer Kapsel aus dem Holz eines am Orte gewachsenen Maulbeerbaumes verwahrt war. Zu dem neuen Bezirk gehörten die Kreise Reichenbach, Frankenstein, Münsterberg, Nimptsch, Schweidnitz, Striegau, Jauer, Bolkenhain, Schönau, Hirschberg, Landeshut, Waldenburg, Glatz, Habelschwerdt und Neurode. Schon nach vier Jahren wurde dieser Regierungsbezirk aufgelöst. Reichenbach war nun wieder eine einfache Kreisstadt. Dieser kurzen Zeit einer Sonderstellung verdanken aber Stadt und Kreis viel Förderung, besonders im Ausbau der Landstraßen, der noch an anderer Stelle zusammenhängend behandelt werden soll.

Stadtpfarrer Seidel von der katholischen Kirche war am 12. August 1816 gestorben und wurde seinem Wunsche gemäß neben dem ihm liebgewordenen Gotteshaus beerdigt. Er vermachte der Kirche und der Schule eine ansehnliche Stiftung.

Manche Verbesserung fand jetzt in die neue Regierungshauptstadt Eingang. Im Herbst 1816 wurde die Zahl der Straßenlaternen von 50 auf das Dreifache vermehrt. Bisher ergoss sich das Regenwasser von den Dächern durch Holzröhren, die weit in das Straßenbild hineinkamen, mitten auf die Straße. Alte Häuseransichten geben das eigenartige Bild dieser Art der Wasserableitung noch gut wieder. Nunmehr wurde verordnet, dass jedes Haus mit blechernen Abflussrohren bis zum Erdboden hinab versehen sein müsse. In kurzer Zeit waren die langen Holzröhren verschwunden. Nach alter Sitte waren Selbstmörder an Wegen und Gräben außerhalb der Ortschaft begraben worden. Auf Antrag des Magistrats fiel im Jahre 1817 diese Bestimmung. Die freiwillig aus dem Leben Geschiedenen wurden von jetzt ab auf den Friedhöfen bestattet, jedoch ohne kirchliche Ehren, ein Gebrauch, der sich bis in unsere Zeit erhalten hat. Das der Stadt gehörige Herrenvorwerk am Weg nach Güttmannsdorf wurde für 38 000 Taler an den Kaufmann Gründler in Erbpacht veräußert. An die katholische Kirche wurde am 2. Juli 1817 der Kuratus Sadiel als Geistlicher berufen. Am 1. Dezember (1819) starb in hohem Alter der größte Fabrikant Reichenbachs aus damaliger Zeit, Friedrich Sadebeck. Durch zahlreiche und namhafte Stiftungen und Schenkungen hatte er sich um das Stadtwohl hochverdient gemacht. Bei der am 5. Dezember abgehaltenen Leichenfeier in der Kirche sank seine Gattin entseelt an der Bahre nieder. Beide Ehegatten wurden gemeinsam in der Hauptgruft des Sadebeck-Friedhofes beigesetzt.

In die Zeit der Reichenbacher Regierungstätigkeit fällt die Inangriffnahme großzügiger Straßenbauten, die der Stadt ausgezeichnete Verbindungen zu den Ortschaften der Umgebung und den Anschluss an die Hauptverkehrsstraßen der Provinz brachten. Am 10. Mai 1816 hatte die Regierung den Ausbau der Straße von Reichenbach nach Schweidnitz bis zur Kreisgrenze angeordnet. Er wurde 1818 beendet und kostete 18 000 Taler. Die hölzerne Peilebrücke in Ernsdorf, die den Zugang zur Stadt von der Gebirgsseite herstellte, wurde in der gleichen Zeit durch eine solche aus Steinen ersetzt. Staat, Kreis und Stadt brachten die Kosten von 1750 Talern gemeinsam auf. Der Chausseebau von Reichenbach durch Peilau bis zur Frankensteiner Kreisgrenze wurde im Frühjahr 1819 begonnen und 1822 mit einem Kostenaufwand von 22 000 Talern abgeschlossen. Ferner war der Bau befestigter Straßen von Reichenbach nach Breslau und nach Nimptsch bis zu den Kreisgrenzen unter der Gebirgs-Regierung vorbereitet worden, gelangte jedoch erst in den Jahren von 1824 bis 1832 zur Ausführung.

Die Volkszählung des Jahres 1820 ergab 3568 Einwohner. Die Stadtschulden, welche 1810 die hohe Summe von 55 000 Talern erreicht hatten, wurden durch sparsame Verwaltung der öffentlichen Gelder bis zum Jahre 1820 auf 24 500 Taler herabgemindert. Den Bürgerschützen war in dieser Zeit endlich der Umbau des Schießhauses möglich geworden. Es wurde am 3. August 1821 feierlich eingeweiht. Am 11. Juni 1822 erschien im Verlage der Regierungsdruckerei von E. D’Oench ein neues Lokalblatt „Der Wanderer“ mit dem Untertitel „Wochenblatt zur Erheiterung und Belehrung“. Es bestand 33 Jahre. Am 31. Oktober fand die Einweihung des neuen evangelischen Schulhauses statt, das auf dem früheren Armenhausplatze nahe der Klosterkirche erbaut worden war. Nach dem Ausbau der Landwege machte sich auch die Pflasterung der Vorstadtstraßen notwendig. Die Straßen in der Frankensteiner und Schweidnitzer Vorstadt sowie der Weg zur Ernsdorfer Peilebrücke wurden für 1900 Taler gepflastert.

War auch der Sinn der Reichenbacher Einwohnerschaft in der Hauptstadt auf gewerbliche und Handelstätigkeit eingestellt, so wurden doch keineswegs die geistigen Interessen vernachlässigt. Davon legen die schwungvollen Festspiele und Gedichte, die bei geeigneten Anlässen von einheimischen Bürgern verfasst, später von August Sadebeck gesammelt wurden und noch heute im Rathaus verwahrt sind, beredtes Zeugnis ab. Zwar bestanden damals noch keine eigentlichen Gesangvereine, aber die Kunst der edlen Frau Musika fand in den Kirchenchören beider Bekenntnisse eine eifrige Pflege. So wurde am 3. Dezember 1822 unter Leitung des Rektors Purschke eine wohlgelungene Aufführung der Haydnschen „Schöpfung“ veranstaltet.

Im Juni 1823 war die städtische Sparkasse eingerichtet worden, die sich bei dem regen Gewerbefleiß bald eines großen Zuspruchs erfreute. Brandstiftung legte zehn Stadtscheunen am 30. Juni in Asche. Pastor Tiede starb am 22. März 1824. An seine Stelle trat Pastor Weinhold, der bereits im Jahre zuvor am 7. August die Antrittspredigt gehalten hatte. In das Jahr 1824 fällt schließlich noch die Einrichtung des neuen Armen- und Krankenhauses auf der Rudelsgasse für das die Mittel nach mehr als drei Jahrzehnten endlich aufgebracht worden waren. Bald sollten der öffentlichen Wohlfahrtspflege durch große Stiftungen von privater Seite die Wege in vorbildlicher Weise geebnet werden. Schon im August des vorgenannten Jahres war dem Magistrat der Stiftungsbrief des Kaufmanns Fraeger (Fräger) über das von ihm errichtete Waisenhaus zugegangen. Am 16. Mai 1825 wurde es eröffnet. Vom 11. April desselben Jahres rührt ferner die Stiftung des Kaufmanns Göhlig (Göhlich) zur Ausstattung tugendhafter armer Bürgerstöchter her. Über diese beiden Wohltäter der Armen soll noch an anderer Stelle die Rede sein.

Die Pforte neben dem Tränktore (Trenktore) war bis zum Jahre 1824 nur bei Feuergefahr geöffnet worden. Nach dem Fortfall der Mahl- und Schlachtsteuer wurde sie dem freien Verkehr übergeben. Die Einfuhrbeschränkungen gegenüber den benachbarten Staaten fielen. Immer stärker trat der Freihandel in den Vordergrund. Dies sollte sich bald auf den Haupterwerbszweig der Stadt, die Webwarenverfertigung und deren Ausfuhr, außerordentlich ungünstig auswirken. Englische Erzeugnisse überschwemmten den Markt und drückten auf die Preise, denn die englische Textilindustrie arbeitete bereits durchgängig mit Maschinen. Die Einfuhr von Maschinengarn machte viele Spinner brotlos. Der Warenabsatz der heimischen Fabrikanten stockte, die Löhne fielen beständig. Hunger und Elend in schlimmster Form hielten in den Weberdörfern ihren Einzug und auch in der Stadt fanden die Notleidenden kaum noch dürftigsten Lebensunterhalt.

Stadtplan von David Brauner aus dem Jahre 1798; der Plan gibt das Stadtbild vor dem Bau der evangelischen Pfarrkirche wieder

Ältestes erhaltenes Stadtsiegel aus dem Jahre 1337

Zu einer großzügigen Umstellung ihrer Betriebe fehlten den Fabrikanten die Mittel. Staatliche Hilfe blieb aus. Um dem größten Elend zu steuern, ließ man auf Vorrat arbeiten, ohne dem Übel damit wirksam und dauernd abhelfen zu können. Versuche, die verarmte Bevölkerung einem anderen Berufe zuzuführen, scheiterten an dem passiven Widerstand der Weber, die lieber darbten, als dass sie ihre verfallenen Häuschen und ihre veralteten Webstühle verlassen hätten. Langsam, aber unabwendbar steuerte die Entwicklung der Dinge dem Unheil entgegen. Die Hungernden nährten sich nach zeitgenössischen Berichten von Hundefleisch und Schweinekartoffeln, ja sogar von gefallenem Vieh. Es begann eine wahrhaft trostlose Zeit, über die selbst manche andere, günstige Wendung im Werdegange der Stadt nicht hinwegtäuschen konnte.

Im Jahre 1826 brachte eine gute Ernte wenigstens niedrige Brotpreise. Göttin Fortuna lächelte der Stadt, als der erste Hauptgewinn der Preußischen Lotterie in diesem Jahre nach Reichenbach fiel. Infolge der eingetretenen Gewerbefreiheit belebte sich der Handel jeder Art. Der Topfmarkt musste deshalb vom Ringe auf den Platz links neben dem Breslauer Tore verlegt werden. Zu diesem Zwecke wurde der stehengebliebene Teil der Totenschanze neben dem Kriegerdenkmal von 1815 eingeebnet. Der Westgiebel des früheren Augustinerklosters, der nach der Anbringung eines niedrigeren Dachstuhls stehengeblieben war, musste wegen Einsturzgefahr schon im Jahre 1820 niedergelegt werden. In das Jahr 1826 fällt noch die Anlage des jüdischen Friedhofes vor der Stadt zwischen dem Frankensteiner und Breslauer Tore.

Mit starker Kälte und gewaltigen Schneestürmen begann das Jahr 1827. Im Frühjahr trat durch die Schneeschmelze Hochwasser ein und riss die Mühlwehre fort. Ein eigenartiges Schauspiel bot am 17. Juni der Artist Kürschner aus Berlin. Er unternahm, angetan mit einem schweren eisernen Harnisch, einen Schnelllauf von dem Gasthof „Zur Sonne“ bis auf den Windmühlenberg neben der Hohen Schanze, legte diese Strecke viermal zurück und benötigte hierzu 48 Minuten. Infolge der ständigen Arbeitslosigkeit in der Textilindustrie wurden jetzt wieder die Webergesellen zur Militärpflicht herangezogen. Hiergegen sträubten sich die ausgemusterten jungen Leute aus Langenbielau. Am Gestellungstage, dem 22. September, trafen sie in geschlossenem Zuge in Reichenbach zur Musterung ein, geführt von einem jungen Burschen, der verbotswidrig eine Tabakspfeife rauchte. Als die Polizeibeamten ihn verhaften wollten, kam es zu einem Tumult. Man befreite den Verhafteten mit Gewalt und misshandelte die Polizisten. Die zusammengerufene Bürgerwehr schritt hiergegen ein, bemächtigte sich der Rädelsführer und unterdrückte den Aufruhr.

Großfeuer vernichtete am 23. August 1828 sämtliche Wohn- und Wirtschaftsgebäude des Dittrichschen Stadtgutes an der Langenbielauer Straße. Der städtische Marstall und die Rossmühle auf dem Klosterplan wurden wegen Baufälligkeit abgebrochen. Das folgende Jahr brachte im März und August wieder Hochwasser, das großen Schaden auf den Feldern vor der Stadt anrichtete. Der Ratsherr Felgenhauer wurde am 13. August 1829 anlässlich seines 50-jährigen Bürgerjubiläums zum Ehrenbürger der Stadt ernannt. Vom einfachen Lohgerber hatte sich dieser Mann zu einer geachteten Stellung emporgeschwungen und für das Wohl der Stadt viel getan. Die durch die neue Städteordnung veränderten kommunalen Verhältnisse brachten die auffallende Tatsache, dass sich in diesen Jahren viele Bürger der Wahl in öffentliche Ehrenämter entzogen und statt dessen lieber ein Drittel mehr Steuern zahlten. Trotz der gedrückten Lage auf dem Webwarenmarkt blieb in den hier geschilderten Jahren die Bevölkerungszahl ständig im Steigen. Im Jahre 1830 zählte man 4352 Einwohner. Gegen 1820 bedeutet das einen Zuwachs von 800 Köpfen. Nach der Verbesserung der Landstraßen erhielt Reichenbach jetzt auch seine regelmäßige Postverbindung nach Schweidnitz, Breslau, Berlin und über das Gebirge nach Böhmen. Die Postlinie wurde am 1. März 1831 eröffnet und ging an jedem Dienstag und Freitag durch die Stadt. Die asiatische Cholera bedrohte bereits im Jahre 1831 die Stadt. Es wurden sofort Vorsichtsmaßregeln ergriffen. Trotzdem erkrankte im August ein Militärinvalide an der Seuche und verstarb bald. Immer weiter verbreitete sich die schreckliche Krankheit und forderte insgesamt 143 Todesopfer. Im gleichen Jahre brannte durch Flugfeuer das Türmchen der Begräbniskirche nieder, die herabstürzende Glocke zertrümmerte das Gewölbe, und der Bau stürzte in sich zusammen. Die dicht daneben stehende evangelische Kirche und Schule konnten mit Mühe vor dem Wüten des Feuers geschützt werden, das in einer zu Ernsdorf gehörigen Wirtschaft vor dem Schweidnitzer Tore ausgebrochen war.

Das Jahr 1832 wäre der rechte Zeitpunkt zu einer Feier des fünfhundertjährigen Jubiläums der Braugerechtigkeit gewesen, die der Herzog Bolko 1332 der Stadt verliehen hatte. Aus den Vorbereitungen hierzu entwickelte sich aber bald ein hitziger und witziger Streit über die Güte des Bieres, das der städtische Braumeister Rother herstellte. Aus der Bürgerschaft wurde ihm durch den „Wanderer“ der Vorschlag gemacht, dem Jubeljahr dadurch Rechnung zu tragen, dass er ein Bier braue, das alle guten Eigenschaften früherer Zeiten besäße. Es wurde daran erinnert, dass ehedem das als Meisterstück gebraute Bier so dickflüssig und ölig sein musste, dass derjenige, der sich auf einen mit dem Getränk begossenen Schemel setze, an diesem klebenblieb und gezwungen war, seine Hose im Stich zu lassen oder die also befestigte Sitzgelegenheit mit sich herumzutragen. Meister Rother verstand den humorvollen Wink nicht, denn sein Bier blieb auch im Jubiläumsjahr dünn und ohne Gehalt, sodass ein anderer Spötter die leichte Bekömmlichkeit lobend hervorhob, die jede Blutstockung verhindere. Ein richtiger Bierkrieg aber entbrannte, als in der Zeitung der Spottvers zu lesen war:

 

„Der alten Deutschen Riesenkraft

Entstand aus ihrem Gerstensaft;

Ein jeder war ein Held.

Was sind dagegen wir?

Das lehret unser Bier! — “

 

Es bildeten sich Parteien für und wider Meister Rothers Gebräu, und beiden gaben hinwiederum die Alkoholgegner Unrecht, die ihren Standpunkt in folgender launigen Erklärung kundtaten:

 

„Zur Zeit der deutschen Riesenkraft —

Wer kannte da den Gerstensaft?!

Rein, Wurzeln und ein reiner Quell,

Die Haut bedeckt mit Büffelfell,

Auch eine Keule in der Faust,

Das Haar verworren und zerzaust,

Und furchtbar war der wilde Bart —

Das war der Alten Lebensart.

Wirst Da nun so wie diese leben,

Wird Gott Dir Riesenkräfte geben.“

 

So ging die unblutige Fehde noch eine ganze Weile, und darüber vergaß man, das halbtausendjährige Jubiläum des heimischen Gerstensaftes zu feiern.

Auch sonst brachte das Jahr 1832 wenig Erfreuliches. Das Sinken der Preise aus dem Webwarenmarkt führte zu wiederholten Herabsetzungen der Löhne. Unter der allgemeinen Not litten besonders die Handweber in den kleineren Dörfern. Im benachbarten Dreißighuben rotteten sich die Weber zusammen, um mit Gewalt eine Änderung ihrer misslichen Lage zu erzwingen. Der Aufstand konnte noch einmal im Keime unterdrückt werden. Leider hatte die Regierung für alle Bittgesuche und Vorstellungen der Bevölkerung taube Ohren, und die Wirtschaftsverhältnisse steuerten jetzt unaufhaltsam einer Katastrophe entgegen. Ein orkanartiger Sturm richtete am 18. Dezember 1833 in der Stadt viel Schaden an. Er warf vom Turm der katholischen Pfarrkirche die Spitze mit dem goldenen Stern herab und deckte mehrere Häuser vollständig ab.

Der 6. Januar 1834 ist für die Reichenbacher Protestanten bedeutsam durch den Beitritt der evangelischen Einwohner aus dem benachbarten Ernsdorf und aus dem Gute Klinkenhaus zu dem Kirchengemeindeverband der Stadt. Seit 90 Jahren hatten die Evangelischen dieser beiden Gemeindebezirke die Kirche gastweise besucht und ihre Toten waren seither auf dem kirchlichen Friedhof in der Stadt begraben worden. Nach der jetzt erfolgten Vereinigung erwarben sie gleiche Rechte an Kirche und Kirchhof, aber kaum jemand dachte wohl damals daran, dass Ernsdorf, dereinst auch in der gemeindlichen Verwaltung mit der mauerumwehrten Stadt, zu einer Einheit verschmelzen sollte.

Dem milden Winter folgte ein heißer Sommer, sodass die Peile fast austrocknete und die Wassermühlen lange Zeit stillstanden. Von dem regen Musikleben der Stadt legte ein am 24. April veranstaltetes Vokal- und Instrumentalkonzert Zeugnis ab, das sich starken Besuche erfreute. Theateraufführungen auswärtiger Schauspielertrupps gewährten den Einwohnern häufige Zerstreuung. In der Stadt selbst bestanden zu damaliger Zeit außerdem zwei Theatervereine. Der eine hieß „Harmonie“, der andere gehörte der sogenannten Ressourcen-Gesellschaft an, die lange Zeit der Mittelpunkt des geselligen Lebens in Reichenbach war.

Das Postamt, das in der ersten Zeit in der Frankensteiner Straße untergebracht war, verlegte aus Verkehrsrücksichten am 2. Juni 1835 seine Räume in das Eckhaus an der Schweidnitzer Straße, dessen Platz heute der Gasthof „Zur Stadt Berlin“ einnimmt. Fürstlicher Besitz wurde der Stadt am 14. und 31. August dieses Jahres zuteil, als Prinz Adalbert von Preußen und Erzherzog Franz Karl von Österreich hier durchreisten. Mit dem Bau der großen, schnurgeraden Straße nach Peterswaldau war schon im Vorjahre begonnen worden. Sie wurde im Jahre 1836 fertiggestellt. Zahlreiche erwerbslose Weber fanden dabei einen wenn auch kargen Lohn, denn die Wirtschaftsverhältnisse hatten sich trotz aller Bemühungen der Fabrikanten, auf der Frankfurter und Leipziger Messe stärkeren Warenabsatz zu erzielen, nicht gebessert. Im benachbarten Langenbielau hatte der Fabrikant Hilbert unweit der Hospitalmühle eine große Färberei angelegt. Die Abwässer wurden durch das Rotwasser der Peile zugeleitet und verunreinigten sie so stark, dass das Wasser zum Bleichen und Waschen nicht verwendet werden konnte. Zudem verbreitete sich an warmen Tagen ständig ein übler Geruch auf den längs der Peile liegenden Grundstücken. Auf Beschwerde der Bürgerschaft und auf Anordnung des Landrats musste Hilbert im Jahre 1835 eine Kläranlage einrichten und durfte aus dieser die Abwässer dem Rotwasser erst nach Abfangen des Bodensatzes zuleiten. Mit der Vergrößerung der industriellen Werke verschlimmerte sich der Übelstand in späteren Jahrzehnten immer mehr, sodass von dem einst vielgenannten Fischreichtum der Peile bald nichts mehr übrigblieb. Die jetzige Mohrenapotheke wurde im gleichen Jahr vom Ringe auf die Breslauer Straße verlegt. Bei einem Brande in der Breslauer Vorstadt in der Nacht zum 5. Juli 1836 hatte der Seifensiedergeselle Franz Wagner ein sechsjähriges Mädchen, das man schon verloren gab, aus den Flammen gerettet. Seine opferfreudige Tat wurde später durch die Verleihung der Rettungsmedaille belohnt. Zu der unfreundlichen Witterung dieses Jahres gesellte sich am 5. August ein furchtbarer Hagelschlag, der binnen weniger Minuten die Ernte fast völlig vernichtete. Vom 1. Oktober 1836 ab verkehrte täglich eine Personenpost zwischen Reichenbach und Breslau, die zehn Reisende befördern konnte. Ferner bestanden Postverbindungen mit Neisse, Schweidnitz und Liegnitz. Seit dem 1. Januar 1837 erhielt die Stadt auch regelmäßige Postbeförderung von und nach Langenbielau und Gnadenfrei. In die übrigen Orte der Umgebung gingen Postboten nach Bedarf ab. Im Laufe des Sommers wurde die Postverbindung noch weiter ausgebaut. Nach Peterswaldau gingen die Boten viermal wöchentlich und bereisten dabei auch die benachbarten Orte im Gebirge. Der Grund zu dieser für damalige Verhältnisse sehr häufigen Postbeförderung waren die immer reger werdenden Handelsbeziehungen der heimischen Webwarenindustrie, die einen regelmäßigen und raschen Austausch des Briefwechsels bedingten. Auch das dicht benachbarte Ernsdorf stand in täglicher Postverbindung mit der Stadt. Am 23. Juli 1837 wurde dem Konsistorialrat Wunster, der zu Reichenbach am 7. Januar 1764 geboren worden war, das Ehrenbürgerrecht verliehen. Wunster war geistlicher Erzieher des nachmaligen Kaisers Wilhelm I. gewesen und wohnte später in Breslau. Die Cholera forderte in dieser Zeit wieder zahlreiche Opfer. In der Stadt erkrankten daran nicht weniger als 125 Personen, von denen 46 starben.

Das Jahr 1838 verlief ohne bedeutsame Ereignisse. Der Warenabsatz hatte sich in der letzten Zeit etwas gebessert. Es wurde den Fabrikanten möglich, ihre Weber wieder einigermaßen ausreichend zu beschäftigen, jedoch waren für beide Teile die Verdienstmöglichkeiten bei dem starken Wettbewerbe des Auslandes recht gering. Für das Elend der armen Bevölkerung spricht eine außergewöhnlich große Zahl zumeist geringfügiger Eigentumsvergehen, die aus dieser Zeit berichtet werden. Erwähnenswert ist die Auffindung eines gemauerten Wasserkanals bei Schachtarbeiten auf dem Grundstück neben der ehemaligen Rossmühle am Klosterplan. Seit sich der Arzt Dr. Knop mit der homöopathischen Heilweise befasste, trieb die Nachahmungssucht auf diesem Gebiet seltsame Blüten in der Stadt. Ein Bäckermeister auf der Breslauer Straße verkaufte homöopathische Brezeln und wer ein Freund einer guten Tabakspfeife war, konnte bei dem Kaufmann Liebich homöopathischen Kanaster erstehen. Daneben suchte ein Quacksalber namens Herrmann solche Leute, die ihr gutes Geld zum Schlechten tun wollten, um ein Perpetuum mobile in Gestalt einer Uhr zu erwerben. Sogar den Turm der katholischen Kirche wollte der tüchtige Erfinder mit einer solchen Uhr ausstatten. Da er nicht genügend Dumme fand, richtete er von Berlin aus an die Adresse des „Wanderers“ eine Zuschrift, in der er bittere Klage über die Einfalt der Reichenbacher führte; aber diese behielten lieber ihr gutes Geld und überließen es dem Erfinder, in einer anderen Stadt zahlungsfähige Interessenten für ein Perpetuum mobile zu finden.

In den hier geschilderten Jahren hatte sich die Bautätigkeit wieder belebt. Mehrere Fabrikanten vergrößerten ihre Gebäude. Das Postamt wurde abermals verlegt, diesmal in ein Haus auf dem Ringe. Zwischen den Häusern „Unter den Bauden“ wurde durch Einziehung mehrerer alter Fleischbänke ein Durchgang geschaffen. Die Schützenfeste in dieser Zeit erfreuten sich großer Beteiligung aus allen Kreisen der Bevölkerung. Neben dem vom Kaufmann Kellner gestifteten Schützenstern hatte August Sadebeck der Schützengilde aus dem Familienschatze ein goldenes Medaillon geschenkt, das eine künstlerisch herausgearbeitete Ansicht der Stadt zeigte.

Im Frühjahr 1840 wurden die Postverbindungen mit Langenbielau und Peterswaldau erheblich verbessert. Beide Orte erhielten eine Postexpedition und es verkehrte dorthin eine sechssitzige Personenpost. Das Schützenfest war gerade in vollem Gange, als am 10. Juni die Nachricht von dem Ableben König Friedrich Wilhelms III. eintraf. Das Fest wurde abgebrochen und erst am 27. Juli zu Ende geführt, wobei gleichzeitig die Feier des fünfzigjährigen Jubiläums des in Reichenbach geschlossenen Friedensvertrages stattfand. Am 15. Oktober erfolgte in Berlin die Huldigung für den neuen Herrscher, König Friedrich Wilhelm IV., wobei Reichenbach durch den Kaufmann Kellner vertreten war. Der Tag selbst wurde in der Stadt festlich gefeiert. Die Einwohnerzahl war im letzten Jahrzehnt sehr gestiegen. Im Jahre 1831 waren 4438 Bewohner gezählt worden, 1840 betrug ihre Zahl bereits 5101, wovon 3185 evangelisch, 1857 katholisch und 59 jüdisch waren. Die weibliche Bevölkerung überwog die männliche um mehr als 250 Köpfe. Es waren 437 Wohngebäude, 40 Fabriken, Mühlen und Magazine, 338 Ställe und Scheunen und 25 öffentliche Gebäude des Staates und der Gemeinde, ungerechnet 4 Kirchen und 1 Synagoge vorhanden. Der damalige Bürgermeister Scholtz bekleidete dieses Amt seit einer langen Reihe von Jahren. Seine großen Verdienste um das Stadtwohl fanden ihre Anerkennung durch die Verleihung des Roten Adlerordens IV. Klasse. Landrat des Kreises war von Prittwitz und Gaffron in Hennersdorf.

Auf die Organisation des Schützenwesens soll hier ein kurzer Rückblick getan werden. Aus der im Jahre 1811 gebildeten Bürgergarde war 1812 die Bürger-Schützen-Kompagnie entstanden, die damals bereits 61 uniformierte und 81 nicht uniformierte Schützen zählte. Jeder Reichenbacher Bürger war verpflichtet, der Bürgergarde bis zu seinem 60. Lebensjahr anzugehören und dort die nötigen Dienste zu tun. Hierzu gehörten insbesondere Wachen und Transporte. Diese Bürgergarde war in drei Kompagnien eingeteilt und zählte bei der Aufstellung 490 Mann, von denen 119 uniformiert waren. Am 15. Oktober 1840 wurde dann noch eine besondere Grenadierkompagnie gegründet. Das gesamte Schützenwesen war nach militärischem Muster organisiert. Die Schützenkompagnie trug damals grüne Uniformröcke mit Gardelitzen und roten Achselklappen und einen Hut mit linksseitig aufgeschlagener Krempe. Den Hut schmückte ein Federbusch, der bei den Offizieren weiß, bei den Oberjägern schwarz-weiß, bei der Musikkapelle rot und bei den übrigen Schützen schwarz gefärbt war. Die Ausrüstung bestand aus der kurzen Büchse, einem Hirschfänger und schwarzem Lederzeug. Im Jahre 1864 wich diese schmucke Uniform der grauen Joppe mit grünem Besatz und Jägerhut. Die Kompagniefahne war grün. Zu ihr musste früher jeder junge Bürger schwören, wenn er öffentlichen Dienst zu verrichten hatte. Außer dieser Kompagnie bestanden noch zwei weitere Bürgerkompagnien, deren Mitglieder durch Schärpen unterschieden waren. So führte die zweite Kompagnie eine weiße Fahne und orangenfarbene Schärpen und die dritte Kompagnie eine rote Fahne und blaue Schärpen. Im Jahre 1840 wurde diesen drei Einheiten nun die bereits oben genannte Grenadierkompagnie ungegliedert. Sie trug blaue Waffenröcke mit gelben Kragen und Achselklappen, Bärenmützen, Gewehre mit Bajonett und Säbel an weißem Lederzeug. Ihre Fahne war lichtgelb. Diese Ausrüstung glich sich im Jahre 1864 derjenigen der Schützenkompagnie an. Seit 1885 ist auch die Uniformierung der aus der früheren Bürgergarde hervorgegangen Schützengilde eine einheitliche. Die Mitglieder aller Kompagnien sind untereinander durch eine Sterbekasse verbunden. Im Besitze der Schwert- und Grenadierkompagnie befanden sich zwei große Zelte, die alljährlich während des Königsschießens zu Pfingsten aufgebaut wurden.

Der seit Längerem geplante Neubau des Schießhauses wurde nun in die Tat umgesetzt. Aber trotz Veräußerung des Königszwingers zwischen der Breslauer und Schweidnitzer Straße und Verpachtung der sogenannten kleinen Viehweide längs der Bertholdsorfer Straße reichten die Mittel nicht hin, und so übernahm schließlich die Stadt den Schießhausbau, wofür die Schützengilde einen jährlichen Zins von 6 Talern zahlen musste, der im Jahre 1887 auf 10 Taler erhöht wurde.

Der Absatz der Webwaren war in den letzten Jahren wieder erheblich zurückgegangen. Die Lage der Weberbevölkerung hatte sich weiterhin verschlechtert. Wiederholt hatten der Landrat und die städtische Behörde wegen des offenbaren Notstandes eindringliche Vorstellungen bei der Regierung erhoben. Als der Oberpräsident Dr. von Merckel am 29. Juli 1841 die Stadt und den Industriebezirk bereiste, hatte er Gelegenheit, sich an Ort und Stelle von dieser allgemeinen Notlage zu überzeugen, die Fabrikanten und Arbeiter in gleicher Weise traf. Nichtsdestoweniger sandte er später schön gefärbte Berichte nach Berlin, sodass in den folgenden Jahren alle Bitten der Industrie um staatliche Unterstützung ergebnislos blieben, bis die blutigen Ereignisse von 1844 auch den Regierungsstellen die Augen öffneten, freilich zu spät.

Der 22. September 1841 war ein doppelter Festtag. Am Vortag traf der Weihbischof von Kalussek aus Breslau in Reichenbach ein und wurde von der Kirchgemeinde und dem Magistrat festlich begrüßt.

Blick vom Ring auf die evangelische Pfarrkirche, links der „Schwarze Adler“, rechts der „Rote Hirsch“, Ansicht aus dem Jahre 1802

Gleichzeitig verbreitete sich die Kunde, dass König Friedrich Wilhelm IV. auf der Durchreise in der Stadt kurzen Aufenthalt nehmen würde. Alsbald wurden die Häuser beflaggt, die Bürgergarde und die Bürgerschaft bildeten Spalier. Vor dem Sadebeckschen Hause wurde nachmittags um 5 Uhr der König mit seinem Gefolge vom Landrat und den städtischen Behörden unter Glockengeläut begrüßt. Während sich der König vom Reisewagen aus mit ihnen leutselig unterhielt, brach krachend eine der auf dem Ringe aufgestellten Jahrmarktbuden zusammen, auf denen die schaulustige Volksmenge Platz genommen hatte. Der König sprang sofort aus dem Wagen und eilte zu der Unfallstelle. Es ergab sich, dass außer dem Militärinvaliden Klamet niemand verletzt worden war, und auch dieser hatte keinen größeren Schaden genommen. Friedrich Wilhelm stiftete ein namhaftes Schmerzensgeld und meinte, er habe noch niemand so geschickt fallen gesehen. Später äußerte er dann in seiner witzigen Art: „Die Reichenbacher haben recht besondere »Einfälle« beim Empfang ihres Königs“.

Als er tags darauf von Camenz durch Reichenbach zurückreiste, erkundigte er sich nach dem Befinden des Verunglückten. Über die Stadt selbst äußerte sich der König sehr zufriedenstellend und erklärte wiederholt, dass so nett und freundlich wie Reichenbach keine andere sei. Längere Zeit unterhielt sich der Landesfürst auch mit dem anwesenden Weihbischof, der zum Empfange erschienen war.

Der Winter des Jahres 1841 war sehr milde. Noch zu Weihnachten blühten verschiedentlich in den Gärten die Blumen. Erst zu Beginn des neuen Jahres setzte strenge Kälte ein, und in diesen Tagen verlor die Stadt einen ihrer größten Wohltäter. Am 24. Januar 1842 starb der Kaufmann Johann Friedrich Fraeger (Fräger), der Stifter des evangelischen Waisenhauses. Im Geschäft seines Vaters groß geworden hatte er nach dessen Tode im Jahre 1821 die Fabrikation wollener und leinener Waren weitergeführt und das vorhandene Vermögen noch beträchtlich vergrößert. Als dann im Jahre 1824 auch seine Mutter starb, war er Alleinerbe. Da er Nachkommen nicht besaß, errichtete der edle Menschenfreund bald danach jene große, mildtätige Stiftung, die noch heute neben der nach ihm benannten Straße seinen Namen führt und segensreich wirkt. Fraeger (Fräger) eröffnete die erste Waisenanstalt am 16. Mai 1825 mit zwölf evangelischen Waisenknaben in dem ererbten Familienhause auf dem Ringe, das heute die Niederlassung der Deutschen Bank beherbergt. Im Jahre 1827 bestimmte er, dass die Einkünfte aus seinem in der Breslauer Vorstadt gelegenen Gut der Wohltätigkeitsanstalt zufließen sollten. Testamentarisch setzte er dann das Waisenhaus zum Universalerben seines etwa 150 000 Taler betragenden Vermögens ein. Damit war die finanzielle Zukunft der Stiftung endgültig gesichert. Diese wurde von einem eigenen Kuratorium verwaltet, dessen Zusammensetzung der Stifter besonders festgelegt hatte. Nach Fraegers (Frägers) Tode wurden seinem Wunsche gemäß auch Mädchen in die Anstalt aufgenommen. Aber nicht nur diesem einen Zwecke diente des hochherzigen Mannes Sorge. Im Jahre 1829 gedachte er auch der katholischen Waisen durch ein Stiftungskapital von 4300 Talern. Ferner setzte er ein Legat von 6000 Talern aus, dessen Zinsen verschämten Armen zufallen sollten. Daneben bedachte er noch die evangelische und katholische Kirche und Schule sowie die städtische Armenkasse mit namhaften Zuwendungen. Fraegers (Frägers) Ruhestätte befindet sich in der Familiengruft auf dem Sadebeck-Friedhofe. Mit der neueren Entwicklung der Stadt bleibt sein wohltätiges Wirken aufs Engste verknüpft. Als man ihn zu Grabe trug, war die Trauer in der Stadtbevölkerung allgemein. Auch der Staat hat seine Verdienste durch Verleihung des Roten Adlerordens III. und IV. Klasse anerkannt. Bis zum Jahre 1859 verblieb die Waisenanstalt in dem Hause am Ringe. Dann siedelte sie in den stattlichen Bau auf der Schweidnitzer Straße über, in dem sie sich noch heute befindet.

Die evangelische Kirchgemeinde konnte am 30. September 1842 ihr hundertjähriges ungestörtes Bestehen in feierlicher Weise und unter reger Beteiligung aller seither zum Kirchspiel gehörigen Gemeinden begehen. Bei dieser Gelegenheit schenkte der Kaufmann Göhlig (Göhlich) der Kirche das von Bithorn gemalte Altarbild. Am 20. Oktober dieses Jahres hielt der neue Stadtpfarrer Rinke seinen festlichen Einzug in das katholische Gotteshaus.

Als am 26. März 1843 die Breslauer Postkutsche in der Stadt eintraf, fiel es auf, dass anstelle des Postillions einer der Passagiere hoch oben auf dem Kutscherbock saß. Bald klärte es sich zur allgemeinen Erheiterung auf, dass der biedere Postillion ein Gläschen über den Durst getrunken hatte, unterwegs sanft eingeschlafen und vor Bertholdsdorf von seinem lustigen Sitz heruntergefallen war, wobei er sich einigen Schaden getan hatte. Ein wolkenbruchartiges Gewitter am 13. Juni brachte plötzliches Hochwasser, das in die Uferhäuser eindrang, den beweglichen Hausrat fortspülte und auch sonst viel Schaden anrichtete.

Immer schwieriger gestalte sich die Lage in der Webwarenindustrie. Die verschiedenen Messen der letzten Jahre hatten nur einen unbefriedigenden Absatz der Erzeugnisse gebracht. Die Frankfurter Messe von 1843 wies so gut wie keinen Umsatz auf. Ständig vergrößerte sich die Zahl der arbeitslosen Handweber. Wer noch Arbeit hatte, konnte nur kümmerlichen Lohn finden. Eine Art von Hungertyphus griff in den Weberfamilien um sich. Diebstähle nahmen in bedenklicher Weise zu. Da und dort kam es unter den Notleidenden zu heimlichen Zusammenkünften, die für die Zukunft nichts Gutes verhießen.

Alle Anträge und Bittgesuche der Fabrikanten und der örtlichen Behörden blieben ergebnislos. Man wollte weder beim Oberpräsidenten in Breslau noch bei dem Ministerium in Berlin an einen solchen Notstand und an eine öffentliche Gefahr glauben und ließ den Dingen ihren Lauf. Im Jahre 1844 kam dann das Unausbleibliche: ein ausgehungertes Volk erhob über Nacht die Fahne des Aufruhrs und richtete die seit Jahren und Jahrzehnten still genährte Wut gegen die Fabrikanten, die der Wirtschaftskrise in gleicher Weise machtlos gegenüberstanden wie ihre brotlosen Arbeiter.

Mit Beginn des Jahres 1844 errichtete A. E. Pape in der Stadt eine neue Buchdruckerei, die er bald erheblich erweiterte, sodass in seinem Verlage im folgenden Jahre eine neue Zeitung erscheinen konnte, das heutige „Reichenbacher Tageblatt“.

Wirtschaftliche Not und elterlicher Widerspruch waren die Ursache zu einer Liebestragödie, von der sich am 4. März die Kunde in der Stadt verbreitete. Der Färbereigehilfe Fellgiebel erschoss seine Geliebte Christiane Aberle, die sich bräutlich geschmückt hatte, und dann sich selbst. Bald sollte sich über viele andere Familien in Stadt und Kreis Trauer hereinbrechen. Vergeblich hatten sich Menschenfreunde aus allen Ständen der Bevölkerung um eine Linderung der Webernot bemüht. Allenthalben wurden mildtätige Sammlungen veranstaltet, um wenigstens dem größten Elend zu steuern, denn der Winter war sehr streng und dauerte bis in den April hinein. Die letzte Frankfurter Messe ließ eine Besserung des Warenabsatzes erwarten, aber dieser Umschwung kam bereits zu spät.

Wenn auch der Aufstand der Weber sich in der Hauptsache in den Nachbarorten Peterswaldau und Langenbielau, also vor den Toren Reichenbachs abgespielt hat, so ist er doch in seiner politischen und wirtschaftlichen Bedeutung mit dem Namen des Reichenbacher Textilbezirks so eng verknüpft, dass eine kurz zusammengefasste Schilderung in der Stadtgeschichte nicht gut fehlen darf, wenn das Bild des Werdeganges dieses Haupterwerbszweiges der Stadt ein vollständiges bleiben soll. In dem Drama „Die Weber“ hat Deutschlands gegenwärtig größter Dichter, der Schlesier Gerhart Hauptmann, diese Webernot über die Grenzen des Vaterlandes hinaus bekannt gemacht. Noch heute erleben wir in seinem Schauspiel oder beim Lesen des Werkes mit Erschütterung und tiefem Mitgefühl die Leiden der hungernden und verzweifelten Handweber in unserer engsten Heimat mit. Und wenn wir bei einer Wanderfahrt in die lieblichen Täler des Eulengebirges noch da und dort einem verhutzelten altersgekrümmten Greis begegnen, der sich vor seinem winzigen Häuschen am Bergrand im Scheine der strahlenden Mittagssonne ein wenig wärmt, dann gleiten unsere Gedanken wohl manchmal zurück zu jenen Ereignissen des Jahres 1844.

Es war zu Beginn des Monats Juni, als sich in abgelegenen Seitentälern des Gebirges da und dort Trupps hungernder Handweber, alte und junge, Meister und Gesellen, zusammenfanden und miteinander geheime Verabredungen führten. Abends erklang dann in jenen Tagen aus den ärmlichen Hütten hin und wieder ein seltsames Lied. Es hieß im Volksmunde „Das Blutgericht“ und wurde nach der Melodie des bekannten Volksliedes „Es liegt ein Schloss in Österreich“ gesungen. Niemand kannte seinen Verfasser. Handschriftlich und in ungelenken Zügen waren seine Strophen auf lose Blätter gekritzelt und in den Weberdörfern verbreitet worden. Noch heute sind einige wenige Originalexemplare davon vorhanden, als heimatkundliche Seltenheit wohlbehütet und sensationshungrigen Fremden unzugänglich.

So reifte in Rede und Lied eine Gärung unter den Webern heran, die am 4. Juli gänzlich unerwartet zu offener Gewalt führte. Zeitgenössische Berichte meldeten über die Ereignisse das Folgende:

Ein Fabrikant in Peterswaldau hatte die Löhne der Handweber erneut herabsetzen lassen, weil bei der fortdauernden Absatzstockung eine Firma die andere in Löhnen und Preisen zu unterbieten gezwungen war. Am 4. Juni begaben sich daraufhin die bei jenem Fabrikanten beschäftigten Handweber auf Vereinbarung in geschlossenem Zuge zu dessen Wohnung und forderten einen besseren Lohn. Ihrem Verlangen wurde nicht entsprochen. Inzwischen hatte sich die Menge der versammelten Weber rasch vergrößert, und offen erklang nun das bereits erwähnte „Blutgericht“. Die Ortspolizei blieb diesem unvorhergesehenen Aufruhr gegenüber machtlos. Steinwürfe auf die Fenster des Fabrikanten eröffneten die Gewalttätigkeiten. Die Fabrikgebäude wurden erstürmt, in blinder Wut zerstörte die Menge sämtliche Einrichtungen, zertrümmerte Webstühle und Möbel und schleppte die Waren fort. Man warf sie in den Dorfbach oder teilte sich in den Raub. Der Fabrikant war indessen mit seiner Familie unerkannt nach Reichenbach geflüchtet und auf die Kunde von dem Aufstand wurde militärische Hilfe aus Schweidnitz erbeten, die sich sofort in Marsch setzte. Indessen fuhr die aufrührerische Menge, der sich, wie immer bei solchen Gelegenheiten, auch unbeteiligte, übel berüchtigte Elemente angeschlossen hatten, mit ihrem Zerstörungswerk bis tief in die Nacht hinein fort. Als es in den Räumen der Gebäude nichts mehr zu zerstören gab, wurden am Morgen des 5. Juni sogar die Dächer abgedeckt. Es fiel kein überflüssiges Wort dabei, jeder trachtete in stummem, lange verhaltenem Grimm danach, den Schaden in unsinniger Weise zu vergrößern. Am Vormittag zog der immer größer gewordene Menschenhaufen mit einer roten Fahne nach Langenbielau. Als mittags das Militär in Peterswaldau eintraf, fand es nur noch die trostlosen Trümmer und da und dort ein paar zurückgebliebene Zerstörer an, von denen einer durch einen Bajonettstich schwer verletzt wurde. Die im Ort verbliebene Bevölkerung sah den Schutzmaßnahmen der Truppen zu, ohne eine Hand zu rühren. Aus den Augen der Weber und ihrer Angehörigen aber blickte den Soldaten Hass und verhaltener Ingrimm, nichts Gutes verheißend, entgegen. Nach Zurücklassung eines Schutzkommandos marschierten die Truppen hierauf nach Langenbielau weiter. Dort hatten die Aufrührer ihr Zerstörungswerk bereits fortgesetzt, an dem sich auch die ortsansässigen Weber beteiligten. Vergeblich versuchte man, die Aufständischen durch Geldgeschenke zu beschwichtigen. Drei große Fabriken waren ihnen schon zum Opfer gefallen, als das Militär einrückte. Die Aufforderung des Militärbefehlshabers, von weiteren Gewaltmaßnahmen abzulassen, blieb unbeachtet. Der gemessene Befehl zum Auseinandergehen stieß auf stummen Widerstand. Als die Truppen mit geladenem Gewehr die Menge abzudrängen versuchten, brach der offene Aufruhr los. Ein Steinhagel beantwortete den Angriff des Militärs, das sich vor der Übermacht zurückziehen musste. Nunmehr gab der kommandierende Hauptmann den Befehl, in Anschlag zu gehen, und drohte mit dem Gebrauch der Feuerwaffe. Es trat eine beklemmende Stille ein, ohne dass die Menge ihre bedrohliche Haltung aufgab. In diesem Augenblick fiel aus einem der geplünderten Gebäude ein Schuss. Es hat sich nicht ermitteln lassen, ob der Täter zu den revoltierenden Webern gehörte, aber die Antwort der Truppen war eine Salve, die mitten in die dichtgedrängte Menge einschlug und mehr als vierzig Personen zu Boden streckte. Zeitgenössische Berichterstattung meldet, dass ein Teil des Militärs in die Luft geschossen habe. Es sollen dies Soldaten gewesen sein, die in der Gegend längs der schlesischen Berge beheimatet waren und die Not der Weber kannten, während die übrigen Truppen in die Menge gezielt hatten. Dreizehn Personen wurden getötet, viele andere teilweise sehr schwer verletzt, wovon später noch einzelne starben. Zu den Erschossenen gehörten auch solche, die nur als müßige Zuschauer teilweise in größerer Entfernung, den Geschehnissen beigewohnt hatten. Das Militär musste in dem nun entstehenden Getümmel zunächst den Rückzug antreten. In den sich hieran schließenden Straßenkämpfen, die schließlich mit einer allgemeinen Flucht der Weber in die schützenden Bergwälder endeten, wurden noch mehrere Aufständische, aber auch einige Soldaten verwundet. Bis zum Abend waren mehr als 70 Verdächtige ergriffen. Sie wurden später nach Schweidnitz abgeführt.

In Reichenbach, wo die erste Kunde von dem Aufruhr schon am Nachmittag des 4. Juni eintraf, übernahm sofort die Bürgergarde die Bewachung der Stadt, deren Tore geschlossen wurden, um jeden Zuzug auswärtiger Weber zu verhindern. Es kam hier auch zu keiner Ausschreitung.

Am 6. Juni trafen dann noch Truppenteile zweier anderer Infanterieregimenter, eine Batterie und zwei Schwadronen Kavallerie ein, die in der Stadt sowie in Langenbielau und Peterswaldau den Ortsschutz übernahmen. An die Aufständischen wurde ein Aufruf erlassen, wieder friedlich in ihre Wohnungen zurückzukehren. Am gleichen Tage traf auch noch der Oberpräsident von Merckel ein, der sich an Ort und Stelle von der Zerstörung überzeugte und später für die Unruhen zur Verantwortung gezogen wurde. Ähnliche Tumulte waren zu gleicher Zeit in Friedersdorf und Leutmannsdorf ausgebrochen, jedoch kam es nicht zu gleichem Blutvergießen. Jener Truppenteil, der in Langenbielau auf die Weber befehlsmäßig gefeuert hatte, war im Reichenbacher Textilbezirk noch lange Zeit überall missachtet. Nur mit Widerwillen gab man ihm Quartier, und um jede weitere Missstimmung zu vermeiden, ersetzte man diese Truppen später durch ein anderes Regiment.

Hart waren die Strafen, die das in Schweidnitz zusammengetretene Ausnahmegericht über die ermittelten Aufrührer verhängte. 35 Langenbielauer wurden zu ein- bis neunjährigem Zuchthaus und Festungsstrafe, teilweise mit 30 Peitschenhieben verurteilt. Ebenso erhielten Peterswaldauer Gefängnis- und mehrjährige Zuchthausstrafen sowie bis zu 30 Peitschenhieben.

Die Truppen, unter dem Befehl des Generalmajors von Staff stehend, verblieben mehrere Monate in dem bedrohten Gebiet.

Nur langsam kehrten Ruhe und Ordnung in die einst friedlichen Weberorte zurück. Mühsam erholten sich die betroffenen Firmen von den Schäden der Zerstörung, zumal staatliche Hilfe nur unzureichend gewährt wurde. Die Arbeitslosigkeit war zudem noch durch die Vernichtung zahlreicher Maschinenwebstühle gesteigert worden. Zur Behebung der größten Not begann man mit dem Ausbau der Gebirgsstraßen und gab damit einem Teil der Bevölkerung Arbeit. „Hungerstraßen“ nannte sie der Volksmund, jedoch gehen die Meinungen darüber auseinander, ob diese Bezeichnung auf die damaligen Hungerjahre im Allgemeinen oder auf die Hungerlöhne hindeuten sollte, die bei diesen Straßenbauten gezahlt wurden.

Auch in anderer Hinsicht brachte das Jahr 1844 für die Stadt mancherlei Bedeutsames. Wiederholt waren bei Neubauten heidnische Aschenkrüge und Urnen ausgegraben worden. In diesem Jahre wurden reichhaltige Funde unweit des Windmühlenberges vor dem Tränktore (Trenktore) gemacht. Bei Schachtarbeiten in der Nähe des Gasthofes „Zum grünen Berge“, der jetzigen Tivoli-Gaststätte, förderte man Bernstein zutage. Das Füsilierbataillon des 22. Regiments, in der Weberbevölkerung durch sein Vorgehen beim Langenbielauer Aufstand unbeliebt geworden, wurde am 29. August durch ein Bataillon des 11. Regiments abgelöst, das längere Zeit in Reichenbach einquartiert blieb.

Gegen Ende dieses denkwürdigen Jahres fasste in der Stadt eine religiöse Bewegung Platz. Ihr geistiger Urheber war der katholische Priester Johannes Ronge, der durch seine Streitschrift über den Heiligen Rock zu Trier lebhafte Erörterungen unter den Anhängern beider christlichen Bekenntnisse auslöste. Am 15. Mai 1845 kam es nach viel unerquicklichem Wortstreit in öffentlichen Versammlungen zur Bildung einer christlich-katholischen Gemeinde, die mehr als 100 Mitglieder zählte und ihren Gottesdienst in der hierzu überlassenen evangelischen Kirche abhielt. Später wurde ihr die Benutzung der Kirche wieder untersagt, worauf die kirchlichen Versammlungen teils im Freien, teils in der evangelischen Schule stattfanden. Die Bewegung hielt sich einige Zeit, doch verlor sie in den Wirren der Revolution von 1848 bald an Bedeutung.

Am 2. September 1845 erschien in der Buchdruckerei von Alexander Pape eine neue Zeitung unter dem Titel „Sammlung bunter Steine aus dem Gebiete des Wissenswerten Nützlichen und Angenehmen“. Sie war eine Wochenschrift. Aus ihr ist später das „Reichenbacher Wochenblatt“ unser heutiges „Tageblatt“ hervorgegangen.

Die Seifensiederwitwe Bergmann hatte der evangelischen Gemeinde im Testament 3000 Taler zur Errichtung eines neuen Friedhofes vermacht. Nach anfänglichen Schwierigkeiten waren die Arbeiten hierzu schließlich so weit gediehen, dass der Kirchhof am 25. September 1845 eingeweiht werden konnte. Der hinter dem Hotel „Zur goldenen Sonne“ gelegene Gottesacker ist heute bereits wieder geschlossen. In der Nacht zum Weihnachtstage wurde ein großer Diebstahl verübt. Aus der evangelischen Kirchen- und Schulkasse wurden von einem entlassenen Sträfling über 10 000 Taler an Wertpapieren und Bargeld gestohlen. Der Dieb wurde ermittelt. Die Kirchengemeinde erhielt diese Wertpapiere später ersetzt, es blieb aber ein Verlust von 1200 Talern in barer Münze zu beklagen.

Am 7. März 1846 wurde der erste öffentliche Leichenwagen in Gebrauch genommen, den der Kaufmann Kellner der Einwohnerschaft gegen Entgelt zur Verfügung stellte. Der 15. Juni dieses Jahres ist der Todestag des Rittergutsbesitzers August Sadebeck, dessen Namen mit dem Wohle der Stadt, ganz besonders aber mit der Erforschung ihrer Geschichte aufs Engste verknüpft ist. In jahrzehntelanger, mühseliger Arbeit schuf Sadebeck die erste vollständige Chronik der Stadt und des Kreises, die für alle späteren Arbeiten, und so auch für die vorliegende, ein unersetzliches Nachschlagewerk bildete und mehrere handschriftlich hergestellte Bände füllt, die mit zahlreichen Bildern geschmückt sind. Die Stadt darf sich glücklich schätzen, im Besitz dieser wertvollen Manuskripte sowie der übrigen geschichtlichen Quellen zu sein, die Sadebeck sammelte und der Stadtverwaltung vermachte. Seine Chronik reicht bis zum Jahre 1848 und ist von einem anderen Ratsmitgliede bis 1853 weitergeführt worden. Vielseitig war das Lebenswerk August Sadebecks. Er ist auch der Begründer der Kolonie Sadebeckshöh, die heute mit der Gemeinde Schobergrund vereinigt ist. Ferner hat er sich um die Einführung und Züchtung der Immortellen in Schlesien ein bleibendes Verdienst erworben. Güte und Milde, Bürgersinn und Begeisterungsfreude für alles Schöne sprechen aus dem Antlitz dieses edlen Mannes, das uns in einem alten, im Archiv der Stadt verwahrten Lichtbild erhalten geblieben ist. Sadebeck ruht in der Gruft seiner Familie.

König Friedrich Wilhelm IV. reiste am 20. September 1846 durch Reichenbach und labte sich bei dieser Gelegenheit aus dem gleichen Glase, aus dem 46 Jahre zuvor seine Mutter, die Königin Luise, getrunken hatte.

Während die beiden letzten hier geschilderten Jahre eine leichte Besserung der Arbeitsverhältnisse in der Webwarenfabrikation zeitigten, wurde 1847 ein ausgesprochenes Hungerjahr. Die Lebensmittel verteuerten sich, lohnende Arbeit war kaum zu finden. Am 15. Februar kam es zu einer Zusammenrottung der Reichenbacher und Ernsdorfer Webergesellen, die von den Fabrikanten höheren Lohn forderten. Tätliche Ausschreitungen konnten in der Stadt von dem eingerichteten Schutzdienst unterdrückt werden, dagegen ereigneten sich solche wiederum in Langenbielau und Peterswaldau. Man steuerte, so gut es ging, der allgemeinen Not durch mildtätige Sammlungen und verbilligten Verkauf von Brot und Kartoffeln. Vielleicht steht mit dem allgemeinen Notstand in Verbindung, dass in diesem Jahre außergewöhnlich viel Schadenfeuer eintraten, deren Ursache fast stets Brandstiftung war. Von den Bränden in der Stadt ist derjenige des Schießhauskretschams in der Nacht zum 13. März erwähnenswert. Ein Hochwasser am 8. Juli brachte ein Haus am Klinkenwehr zum Einsturz.

Das Fallen eines Meteors wurde am 14. Juli, morgens zwischen 4 und 5 Uhr, beobachtet. Am südwestlichen Himmel erschien eine Feuerkugel von der mehrfarbige Strahlenbündel ausgingen. Die Erscheinung wurde von einem rasselnden Getöse begleitet, das einem Trommelwirbel ähnelte. Es war dies der bekannte Braunauer Meteorfall.

Es schien, als wollte die seltene Naturerscheinung das Kommen unerwarteter Umwälzungen vorauskünden, die im nächsten Jahre über ganz Deutschland hereinbrechen sollten.

Bereits wiederholt war aus den Reihen der Bürgerschaft und durch die Presse die Öffentlichkeit der Stadtverordnetensitzungen gefordert worden. Die Stadtverwaltung entsprach diesem Verlangen, aber nicht, weil kein ausreichender Raum für Zuhörer vorhanden war. Sie sicherte dagegen zu, die Verhandlungen in den örtlichen Zeitungen zu veröffentlichen. Aber auch das unterblieb, sodass es an lebhaften Ermunterungen hierzu nicht fehlte. Die arme Bevölkerung litt immer noch größte Not, der durch mildtätige Sammlungen nur unzureichend gesteuert werden konnte. Vorläufig richtete sich die Unzufriedenheit dieses Bevölkerungsteils nur gegen ihre Brotgeber. Bald sollten die politischen Geschehnisse dieser Strömung eine andere Richtung geben.

 

Rekonstruktion und Anpassung an neue Rechtschreibregeln: Marcin Perliński (2025)
 

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