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9. Abschnitt
Reichenbach während der Befreiungskriege und im
Zeitalter wirtschaftlicher Umwälzungen
Das Jahrhundert
der großen technischen Erfindungen begann ohne sonderlich bemerkenswerte Ereignisse.
Ein Brand in der Frankensteiner Vorstadt
am 22. März 1801 bedrohte infolge starken
Windes den ganzen Stadtteil, konnte aber glücklich eingedämmt werden. Der um
das Stadtwohl hochverdiente Ratsälteste und Oberkirchenrat Streckenbach starb am 1.
Oktober des gleichen Jahres und wurde seinem Wunsche gemäß in aller Stille auf
dem katholischen Kirchhofe an der Pfarrkirche beigesetzt. Mehrere Brände
ereigneten sich auch im Jahre 1802,
doch blieben sie auf ihren Herd beschränkt. Am 1. Oktober trat der katholische Stadtpfarrer Franz Schilg sein Amt an. Die seit Längerem gehegte Absicht, ein
neues Armenhospital zu erbauen, musste auf Veranlassung der Regierung
verschoben werden, da die Baumittel nicht gereicht hätten. In diesem Jahre
wurden das Rathaus und dessen Turm ausgebessert. Ferner erbaute der
Kaufmann Kellner an der Ringecke der Klosterstraße sein Haus von Grund auf
völlig neu und ließ es mit einem Aussichtsturm
versehen. Die Webwarenfabrikation in der Stadt begann bereits zu dieser Zeit
unter Absatzstockungen zu leiden, die ihre Ursache in den kriegerischen Verwicklungen
in Europa hatten.
Mit strenger
Kälte fing das Jahr 1803 an. Das Thermometer
blieb mehrere Wochen 20 Grad unter
Null. Das folgende Jahr brachte am 13.
Juni ein großes Hochwasser. Die Peile
überschwemmte die Hausgärten und richtete an den Häusern längs der Ufer
beträchtliche Schäden an. Die Schützengilde
verkaufte ihre 13 silbernen
Königsschilder und eine Medaille zum Einschmelzen, um den Grundstock für den
geplanten Schießhausneubau zu
vermehren. König Friedrich Wilhelm III.
reiste am 19. August 1804 mit seinem Bruder, dem Prinzen Wilhelm, durch die Stadt. Die
erste Industrieschule wurde in einem
Gebäude auf der Friedrichstraße am 21. April 1805 eröffnet. Ihr Besuch war
sehr zahlreich, zeitweilig wies sie an 140
Schüler und Schülerinnen auf, die in der Webwarenherstellung, im Stricken und Nähen
unterrichtet wurden. Leider ging sie in späteren Jahren unter der Ungunst der Wirtschaftslage
wieder ein. Die steinerne Staupsäule
auf dem Ringe wurde in der Walpurgisnacht zum 1. Mai von unbekannter Hand umgestürzt und zertrümmert. In der im
Vorjahr eingerichteten Stadtbuchdruckerei
von Ernst Müller erschien am 1. Juni 1805 die erste Reichenbacher Zeitung unter dem Titel „Wochenschrift für die Gegend des
Eulengebirges“. Sie war von kleinstem Format und enthielt nur selten ein Inserat.
Schon im folgenden Jahre stellte diese Zeitung ihr Erscheinen ein.
In der
Textilindustrie gestalteten sich nun die Verhältnisse immer ungünstiger. Da die
Absatzschwierigkeiten fortdauerten, trat Arbeitsmangel ein, der bei der gleichzeitigen
Teuerung der Lebensmittel die arme Bevölkerung sehr hart traf. Die von Kirchen
und mildtätigen Menschenfreunden gesammelten Spenden reichten bald nicht aus,
um die ständig wachsende Not wirksam zu lindern. Am 23. Juli 1805 kam es auf dem Wochenmarkte zu einem Tumult, und die
Menge der hungernden Weber traf Anstalten, die Verkaufsstände und Geschäfte zu
plündern. Durch Absperrung der Stadttore wurde das Eindringen auswärtiger
Arbeitsloser verhindert und die Absicht der Aufrührer vereitelt. Man schaffte
aus dem königlichen Magazin in Schweidnitz
Mehl und Zwieback in die Stadt und verteilte dieselben unter die Notleidenden.
Auf die Dauer konnte auch dies nichts helfen. Zu den Schwierigkeiten des
Warenabsatzes gesellte sich später der Kampf der Maschinenweberei gegen die
Handarbeit. Nur langsam vollzog sich die Umstellung der Betriebe auf die neue
Fabrikationsart, weil die Fabrikunternehmer selbst nicht immer über die Mittel
zur Anschaffung der kostspieligen Maschinen verfügten und weil auch die große Menge
der Handweber sich nur schwer
von der veralteten Herstellungsweise der Handspinnerei und Weberei trennte.
Friedrich Sadebeck, Reichenbachs
namhaftester Fabrikant, hatte aus
eigenen Mitteln auf einem Teile der abgetragenen Totenschanze einen Friedhof
anlegen lassen, der in seiner idyllischen Lage noch heute eine Sehenswürdigkeit
der Stadt bildet. Im Mittelpunkt des Begräbnisplatzes, der am 9. Oktober 1805 feierlich eingeweiht
wurde, erhebt sich die kuppel- und säulengeschmückte Familiengruft des Stifters. An den Seiten des Platzes befinden sich
die gemauerten Grüfte zahlreicher alter Bürgerfamilien. Ein eigenartiges
Schicksal wollte es, dass schon wenige Wochen nach der Einweihung ein Familienmitglied
des Stifters die Reihe der Toten eröffnen sollte. Sadebecks dritter Sohn, Friedrich
Reinhold, starb plötzlich und wurde am 30.
Dezember feierlich in dem neuen Erbbegräbnis beigesetzt.
Als im Jahre 1806 der Krieg zwischen Preußen und Frankreich ausbrach, musste die Stadt größere Lieferungen an Waffen
und Ausrüstungsstücken nach Schweidnitz
leisten. Die hierfür aufgewendeten Kosten von über 1600 Talern wurden erst 1820
zurückerstattet. Nach der verlorenen Schlacht
bei Jena kamen die feindlichen
Truppen bald nach Schlesien. Am 10. Januar 1807 trafen württembergische reitende Jäger in Reichenbach ein. Sie wurden am 25. Januar von preußischen Husaren überrumpelt und vertrieben, aber am folgenden
Tage besetzten wiederum Württemberger,
diesmal die übel berüchtigten schwarzen
Jäger unter Oberst von Scharfenstein,
die Stadt, die eine Kontribution von nahezu 10
000 Talern auferlegt erhielt. Überhaupt glichen die gestellten Bedingungen
nahezu einer Plünderung. Bis ins Frühjahr hinein wechselten Bayern und Württemberger in der Besatzung ab. Am 30. April erschienen plötzlich von Silberberg her preußische
Husaren und Jäger in der Stadt. Es entspann sich ein heftiger Straßenkampf.
Zwei Bürger wurden schwer verwundet. Kugeln schlugen in die evangelische Kirche ein, in der gerade
die Konfirmation stattfand. Die Preußen
erbeuteten die gegnerische Bagage. Beide Parteien verloren mehrere Tote. Am 16. Juli traf endlich die Nachricht des Friedensschlusses zu Tilsit in der Stadt
ein, von der Bürgerschaft mit Jubel begrüßt. Doch noch 14 Monate dauerte die feindliche Besatzung. Bald waren es Bayern, bald Württemberger, dann wieder polnische
Ulanen und französische Infanterie,
die in Reichenbach ungebeten Quartier
nahmen. Die Franzosen betrugen sich
nach zeitgenössischen Berichten noch am vorteilhaftesten, dagegen wurde über
die Zügellosigkeit der Württemberger
viel geklagt. Alles atmete auf, als am 23.
November 1808 die letzten feindlichen Truppen abzogen.
Noch am 3. Dezember desselben Jahres erging ein
Aufruf, alles Metall zusammenzubringen, dem die Bürgerschaft freudig nachkam.
Durch freiwillige Geldspenden wurde ferner ein Betrag von 836 Talern gesammelt. Die Stadt ließ in Breslau eine dreipfündige
Kanone gießen und machte sie dem preußischen
Könige zum Geschenk. Das Geschützrohr war mit dem Reichenbacher Stadtwappen geschmückt und trug die Aufschrift „Optimo regi grata civitas, Reichenbach 1808“
(Ihrem guten König die dankbare Bürgerschaft).
Ein Vierteljahr
später traf vom König Friedrich Wilhelm
III. folgendes Schreiben beim Kommandierenden der Festung Glatz, dem Oberst Graf Götzen, ein:
„Mein Lieber Obrist Graf Götzen!
Ich erkenne mit Dank den rühmlichen Patriotismus,
welcher die guten Einwohner der Stadt Reichenbach in Schlesien veranlasst hat,
dem Staate eine dreipfündige Kanone zum Geschenk zu machen, und ersuche Euch,
der Stadt darüber Mein besonderes Wohlgefallen mit dem Beifügen zu erkennen zu
geben, dass der Minister des Innern die Anweisung erhalten habe, den treuen
Einwohnern Reichenbachs für die Vaterlandsliebe ein förmliches
Belobigungspatent auszufertigen.
Ich bin Euer wohlgeneigter König.
Königsberg, 10. April 1809. Friedrich Wilhelm“
Die Kanone kam
nach Neisse und wurde im September 1809 vom König in Augenschein genommen, worauf noch ein besonderes Belobigungsschreiben
beim Magistrat einging. Die Stein-Hardenbergsche
Reform hatte bereits im Frühjahr
die Wahlen der Stadtverordneten und des Magistrats gebracht. Die neue Städteordnung wurde am 29. Juni 1809 in feierlicher Form eingeführt.
Im folgenden Jahre reiste der König am
3. September durch Reichenbach und wurde von der Einwohnerschaft
freudig bewillkommnet.
Die Seidenraupenzucht hatte keine Erfolge
gezeitigt. Man beschloss deshalb, die Maulbeerpflanzungen
auf den Stadtwällen durch Obstbäume zu ersetzen. Jeder neue Bürger
übernahm die Verpflichtung, dort einen Obstbaum anzupflanzen; viele alte Bürger
taten es freiwillig. Im Jahre 1811
zählte die Stadt 3469 Einwohner,
wovon zwei Drittel evangelisch waren.
Die Propsteikirche zu St. Barbara in
der Frankensteiner Vorstadt wurde am 24. Januar 1811 in feierlicher Form für
immer geschlossen.
Der Feldzug Napoleons I. gegen Russland bescherte der Stadt neue Einquartierung. Am 3. Mai 1812 marschierten 100 französische Soldaten mit 300
Artilleriepferden durch. Am 18. Dezember
trafen unter preußischem Geleit über 500
russische Kriegsgefangene ein, die mangels anderer Sammelquartiere in der Propstei-, Kloster- und Begräbniskirche
untergebracht wurden. Obwohl Fabrikation und Handel in Reichenbach damals sehr daniederlagen, suchte die Einwohnerschaft
das Los der Gefangenen durch Spenden von Geld, Lebensmitteln und Bekleidung
nach Kräften zu verbessern.
Als am 3. März 1813 der Ausruf „An mein Volk“ erging, fand er in Reichenbach freudigen Widerhall. Zahlreich
meldeten sich aus allen Kreisen der Bevölkerung Freiwillige, ihre Ausrüstung
wurde durch Geldsammlungen aufgebracht. Als kurze Zeit später die Landwehr aufgeboten wurde, zeigte sich
erneut die Opferbereitschaft der Reichenbacher
Einwohner. Viele Bürger verließen Familie und Beruf und zogen hinaus in den
Befreiungskampf.
Noch einmal
sollte Reichenbach weltgeschichtliche
Bedeutung erlangen. Mit Stolz wird immer die Stadt auf die in ihren Mauern geschlossenen
Bündnisse zurückblicken können, die zur Befreiung Preußens und Deutschlands
vom Joch des korsischen Eroberers und schließlich zu seinem Sturze führten.
Bald sah die Stadt die großen Staatsmänner der verbündeten Mächte bei sich zu
Gaste. Die bekanntesten Freiheitsdichter verfassten hier ihre begeisternden
Verse und flammenden Streitschriften.
Am 1. Juni wurde das russische
Hauptquartier nach Reichenbach verlegt.
Anfangs bemächtigte sich der Einwohner eine begreifliche Furcht vor den fremden
Kriegsscharen, die in Sitten und Gebräuchen recht wenig mit deutscher Kultur
gemein hatten. Zahlreiche Familien verließen die Stadt vorübergehend und begaben
sich nach Böhmen. Im Ringhause Nr. 148
hatte der russische Oberbefehlshaber Feldmarschall, Barclay de Tolly, Quartier genommen. Nicht weniger als 2400 Köpfe zählte des gewaltigen Heeres
Stab, darunter allein 70 Generäle.
Sie alle wohnten in Reichenbach.
Nahezu 4000 Pferde waren in den
Ställen, Höfen, Gärten und Scheunen untergebracht. Marktplatz und Straßen waren
durch große Düngerhaufen fast unwegsam gemacht. In den verlassenen Wohnungen
hausten die landfremden Soldaten nicht gerade zum Besten. Zwei Tage nach dem am
4. Juni 1813 abgeschlossenen Waffenstillstand traf der russische Kaiser Alexander I. im Schlosse zu Peterswaldau ein. Dort hatte sich vorher
Prinz Wilhelm, der spätere Kaiser Wilhelm I., mit seinem Bruder Carl aufgehalten. In der Folgezeit
wohnte er in dem Lehngut von Schöps
in Reichenbach-Altstadt, dessen Nachkommen
im Jahre 1886 von dem greisen Kaiser
ein huldvolles Handschreiben und ein mit eigener Unterschrift versehenes Bild
als Gedenken an die in den Befreiungskriegen gewährte Gastfreundschaft erhielten.
König Friedrich Wilhelm III. wohnte unweit von
Reichenbach im Schlosse zu Neudorf. Das Haus Nr. 126 war das Absteigequartier des russischen Herrschers,
wenn er zu den Verhandlungen nach Reichenbach
kam. In dem Gebäude des Pastors Tiede
vor dem Tränktore (Trenktore) aber wohnte
der geistige Kopf des Befreiungskampfes, der preußische Staatsminister Freiherr vom Stein. Dort liefen alle
Fäden zu jenem großen, europäischen Bündnisse zusammen, in dessen Netz sich Napoleon I. bald verstricken sollte.
Noch heute gemahnt eine einfache Gedenktafel an dem Hause Pulverstraße Nr. 1 an diese historische Stätte. Hier wurde am 14. Juni der wichtige Vertrag zwischen England und Preußen geschlossen, dem am 15.
Juni der englisch-russische zu Peterswaldau
folgte. Das Bündnis vom 27. Juni krönte
das Werk der preußischen Diplomaten; Österreich trat dem Schutz- und Trutzbündnis der europäischen Mächte bei. Den Vertrag
unterzeichneten die anwesenden Staatsminister Stadion, Kesselrode und der preußische Kanzler Hardenberg, der damals in Nieder-Peilau wohnte. Daneben hielten sich noch in Reichenbach die bekannten Diplomaten Lord Castlereagh, Pozzo di Borgo, Wilhelm von
Humboldt, Schön und Niebuhr auf. Die preußischen Feldherrn Blücher, Gneisenau und Grolman wählten oft die Stadt zum
Quartier. Sie öffnete ihre Tore den Freiheitssängern Ernst Moritz Arndt, Theodor
Körner und Max von Schenkendorf,
die hier längere Zeit beieinander weilten.
Arndt hatte in einem alten, halbverfallenen Häuschen an der Stadtmauer mit Mühe eine
Unterkunft gefunden. Hier dichtete er das „Lug’
ins Leben aus meinen Nachtwächterhäuschen in Reichenbach“. Später fand er
bei dem in der Stadt ansässigen ehemaligen Gesandten Graf Geßler, dem Paten Körners, Aufnahme. Körner suchte hier Heilung
von seiner bei Kitzen erhaltenen Säbelwunde.
Sie wohnten längere Zeit in dem Ringhause
Nr. 19 (früher Nr. 3) beieinander, welches heute das Verlagsgebäude des „Reichenbacher Tageblattes“ ist. Bald
sollte das Zusammenleben der drei begnadeten Dichter zerrissen werden. Gegen Ende des Juli begannen die Feindseligkeiten. Wenige Wochen später empfing Arndt die Nachricht vom Heldentode Körners in dem Gefecht bei Gadebusch am 26. August. Aber er erlebte hier auch noch die Kunde von dem großen
Siege der verbündeten Waffen in der Völkerschlacht
bei Leipzig am 18. Oktober 1813.
Kurz darauf verließ er die Stadt, wo neben anderem auch sein bekanntes Gedicht „Lebenstraum, der Künftigen gemalt zu
Reichenbach im Sommer 1813“ entstanden war.
Mit dem Beginn
des Befreiungskampfes hatte das russische Hauptquartier die Stadt verlassen.
Statt dessen lagen in ihr nun ständig russische Truppen. Sie zeigten vor dem
Eigentum der Bürger leider wenig Achtung und machten an den Häusern und ihrer
Einrichtung viel Schaden. Beispielsweise fielen ihnen auch die städtischen Jahrmarktsbuden zum Opfer,
die sie im Winter als Brennholz verbrauchten. Andererseits bot sich den einheimischen
Handelsleuten jetzt gute Gelegenheit, bei der Beschaffung der
Verpflegungsmittel und Bekleidung für diese Menge von Soldaten ansehnliche
Verdienste zu machen. Die Weber fanden in diesem Jahre wieder ausreichende
Beschäftigung, weil der Bedarf der kriegführenden Mächte an Stoffen jeder Art ständig
stieg. Erst im Sommer 1814 verließen
die letzten Russen die Stadt. Für die
Frauen und Kinder der im Felde weilenden Mitbürger und zur Unterstützung der
Kriegsbeschädigten wurden durch Sammlung unter den Daheimgebliebenen namhafte
Beträge aufgebracht.
Besonders aber
gedachte man derer, die im Kriege ihr Leben für Deutschlands Freiheit dahingegeben hatten. Die Bürgergarde erließ einen Aufruf zur Errichtung eines Denkmals für die Gefallenen, der so
starken Widerhall fand, dass dieses Erinnerungszeichen bereits am 18. Oktober 1814, dem ersten Jahrestage
der Leipziger Völkerschlacht, feierlich
eingeweiht werden konnte. Es fand seinen Platz auf der Totenschanze neben dem Sadebeckfriedhofe
und trägt die Namen von 18 Söhnen der Stadt
Reichenbach, die als Freiwillige und Landwehrleute den Tod auf dem Felde
der Ehre erlitten hatten.
Als die Rückkehr Napoleons von der Insel Elba einen zweiten Feldzug gegen Frankreich notwendig machte, meldeten sich
am 7. April 1815 wieder zahlreiche
Einwohner zu den Waffen. Schon drei Monate später konnte der Sieg bei Belle Alliance mit einem festlichen
Aufzuge begangen werden, an dem sich das in der Stadt liegende Landsturm-Bataillon beteiligte. Ein
halbes Jahr darauf feierte man den endgültigen Frieden.
Im August 1815 war die Nachricht eingetroffen,
dass Reichenbach als Sitz der Regierungsbehörde für den neugeschaffenen
Gebirgsregierungsbezirk ausersehen
sei. Längere Zeit hatte die Wahl des Ministeriums zwischen Frankenstein und Reichenbach
geschwankt. Nach einer Besichtigung beider Orte durch den Liegnitzer Regierungspräsidenten Kiekhöfel hatte man sich für das Letztere
entschieden, weil es im Mittelpunkt des Industriebezirks lag, und weil man hier
ein geeignetes Gebäude gefunden hatte, das der umfangreichen neuen Behörde
ausreichenden Platz bot.
Es war dies der
Gasthof „Zum Roten Hirsch“ an der
Ringecke der Schweidnitzer Straße. In
der Stadt herrschte über diese Wahl große Freude, die noch vermehrt wurde, als
zu Beginn des Jahres 1816 der Generalstab der Landwehr unter Generalmajor von Stutterheim in der
Stadt sein Quartier aufschlug.
Mit dem 1.
Mai 1816 wurde Reichenbach
Regierungshauptstadt. Am Abend zuvor trat das gesamte Regierungskollegium,
dessen Präsident der Baron von Lüttwitz
wurde, von den staatlichen Behörden, der Bürgerschaft und der Bürgergarde feierlich
willkommen geheißen worden. Der Regierung und dem General von Stutterheim zu Ehren wurde ein Fackelzug mit Musik
veranstaltet, und die Festlichkeit beschloss ein Aufruf vor dem Rathaus, der in
die Worte ausklang: „Es leben alle, die das
Glück haben, unter dem Schutze der königlichen Gebirgs-Regierung zu stehen!“
Dem Präsidenten wurde das Bürgerrecht in einer Urkunde verliehen, deren Siegel
in einer Kapsel aus dem Holz eines am Orte gewachsenen Maulbeerbaumes verwahrt
war. Zu dem neuen Bezirk gehörten die Kreise Reichenbach, Frankenstein, Münsterberg, Nimptsch, Schweidnitz,
Striegau, Jauer, Bolkenhain, Schönau, Hirschberg, Landeshut, Waldenburg, Glatz,
Habelschwerdt und Neurode. Schon nach vier Jahren wurde dieser
Regierungsbezirk aufgelöst. Reichenbach
war nun wieder eine einfache Kreisstadt. Dieser kurzen Zeit einer
Sonderstellung verdanken aber Stadt und Kreis viel Förderung, besonders im Ausbau der Landstraßen, der noch an
anderer Stelle zusammenhängend behandelt werden soll.
Stadtpfarrer Seidel von der katholischen
Kirche war am 12. August 1816 gestorben
und wurde seinem Wunsche gemäß neben dem ihm liebgewordenen Gotteshaus
beerdigt. Er vermachte der Kirche und der Schule eine ansehnliche Stiftung.
Manche
Verbesserung fand jetzt in die neue Regierungshauptstadt Eingang. Im Herbst 1816 wurde die Zahl der Straßenlaternen
von 50 auf das Dreifache vermehrt. Bisher ergoss sich das Regenwasser von den
Dächern durch Holzröhren, die weit in das Straßenbild hineinkamen, mitten auf
die Straße. Alte Häuseransichten geben das eigenartige Bild dieser Art der Wasserableitung
noch gut wieder. Nunmehr wurde verordnet, dass jedes Haus mit blechernen Abflussrohren bis zum
Erdboden hinab versehen sein müsse. In kurzer Zeit waren die langen Holzröhren
verschwunden. Nach alter Sitte waren Selbstmörder an Wegen und Gräben außerhalb
der Ortschaft begraben worden. Auf Antrag des Magistrats fiel im Jahre 1817 diese Bestimmung. Die freiwillig
aus dem Leben Geschiedenen wurden von jetzt ab auf den Friedhöfen bestattet, jedoch
ohne kirchliche Ehren, ein Gebrauch, der sich bis in unsere Zeit erhalten hat.
Das der Stadt gehörige Herrenvorwerk am
Weg nach Güttmannsdorf wurde für 38 000
Taler an den Kaufmann Gründler in
Erbpacht veräußert. An die katholische Kirche wurde am 2. Juli 1817 der Kuratus
Sadiel als Geistlicher berufen. Am 1.
Dezember (1819) starb in hohem Alter der größte Fabrikant Reichenbachs aus damaliger Zeit, Friedrich Sadebeck. Durch zahlreiche und
namhafte Stiftungen und Schenkungen hatte er sich um das Stadtwohl hochverdient
gemacht. Bei der am 5. Dezember abgehaltenen
Leichenfeier in der Kirche sank seine Gattin entseelt an der Bahre nieder.
Beide Ehegatten wurden gemeinsam in der Hauptgruft des Sadebeck-Friedhofes beigesetzt.
In die Zeit der Reichenbacher Regierungstätigkeit fällt
die Inangriffnahme großzügiger Straßenbauten,
die der Stadt ausgezeichnete Verbindungen zu den Ortschaften der Umgebung und den
Anschluss an die Hauptverkehrsstraßen der Provinz brachten. Am 10. Mai 1816 hatte die Regierung den
Ausbau der Straße von Reichenbach
nach Schweidnitz bis zur Kreisgrenze
angeordnet. Er wurde 1818 beendet und
kostete 18 000 Taler. Die hölzerne Peilebrücke in Ernsdorf, die den Zugang
zur Stadt von der Gebirgsseite herstellte, wurde in der gleichen Zeit durch
eine solche aus Steinen ersetzt. Staat, Kreis und Stadt brachten die Kosten von
1750 Talern gemeinsam auf. Der Chausseebau von Reichenbach durch Peilau
bis zur Frankensteiner Kreisgrenze wurde
im Frühjahr 1819 begonnen und 1822 mit einem Kostenaufwand von 22 000 Talern abgeschlossen. Ferner war
der Bau befestigter Straßen von Reichenbach
nach Breslau und nach Nimptsch bis zu
den Kreisgrenzen unter der Gebirgs-Regierung
vorbereitet worden, gelangte jedoch erst in den Jahren von 1824 bis 1832 zur
Ausführung.
Die Volkszählung des Jahres 1820 ergab 3568 Einwohner. Die Stadtschulden, welche 1810 die hohe Summe von 55 000
Talern erreicht hatten, wurden durch sparsame Verwaltung der öffentlichen
Gelder bis zum Jahre 1820 auf 24 500 Taler herabgemindert. Den Bürgerschützen war in dieser Zeit
endlich der Umbau des Schießhauses möglich
geworden. Es wurde am 3. August 1821
feierlich eingeweiht. Am 11. Juni 1822
erschien im Verlage der Regierungsdruckerei von E. D’Oench ein neues Lokalblatt
„Der Wanderer“ mit dem Untertitel „Wochenblatt
zur Erheiterung und Belehrung“. Es bestand 33 Jahre. Am 31. Oktober
fand die Einweihung des neuen evangelischen
Schulhauses statt, das auf dem früheren Armenhausplatze
nahe der Klosterkirche erbaut worden
war. Nach dem Ausbau der Landwege machte sich auch die Pflasterung der Vorstadtstraßen notwendig. Die Straßen in der Frankensteiner und Schweidnitzer Vorstadt sowie der Weg zur Ernsdorfer Peilebrücke wurden für 1900 Taler gepflastert.
War auch der Sinn
der Reichenbacher Einwohnerschaft in
der Hauptstadt auf gewerbliche und Handelstätigkeit eingestellt, so wurden doch
keineswegs die geistigen Interessen vernachlässigt. Davon legen die schwungvollen
Festspiele und Gedichte, die bei geeigneten Anlässen von einheimischen Bürgern
verfasst, später von August Sadebeck
gesammelt wurden und noch heute im Rathaus
verwahrt sind, beredtes Zeugnis ab. Zwar bestanden damals noch keine
eigentlichen Gesangvereine, aber die
Kunst der edlen Frau Musika fand in
den Kirchenchören beider Bekenntnisse
eine eifrige Pflege. So wurde am 3.
Dezember 1822 unter Leitung des Rektors
Purschke eine wohlgelungene Aufführung der Haydnschen „Schöpfung“ veranstaltet.
Im Juni 1823 war die städtische Sparkasse eingerichtet
worden, die sich bei dem regen Gewerbefleiß bald eines großen Zuspruchs
erfreute. Brandstiftung legte zehn Stadtscheunen am 30. Juni in Asche. Pastor
Tiede starb am 22. März 1824. An
seine Stelle trat Pastor Weinhold,
der bereits im Jahre zuvor am 7. August
die Antrittspredigt gehalten hatte. In das Jahr 1824 fällt schließlich noch die Einrichtung des neuen Armen- und Krankenhauses auf der Rudelsgasse für das die Mittel nach mehr
als drei Jahrzehnten endlich aufgebracht worden waren. Bald sollten der
öffentlichen Wohlfahrtspflege durch große Stiftungen von privater Seite die
Wege in vorbildlicher Weise geebnet werden. Schon im August des vorgenannten Jahres war dem Magistrat der Stiftungsbrief
des Kaufmanns Fraeger (Fräger) über
das von ihm errichtete Waisenhaus
zugegangen. Am 16. Mai 1825 wurde es
eröffnet. Vom 11. April desselben
Jahres rührt ferner die Stiftung des Kaufmanns Göhlig (Göhlich) zur Ausstattung tugendhafter armer Bürgerstöchter
her. Über diese beiden Wohltäter der Armen soll noch an anderer Stelle die Rede
sein.
Die Pforte neben
dem Tränktore (Trenktore) war bis zum Jahre 1824
nur bei Feuergefahr geöffnet worden. Nach dem Fortfall der Mahl- und Schlachtsteuer wurde sie dem freien Verkehr übergeben. Die
Einfuhrbeschränkungen gegenüber den benachbarten Staaten fielen. Immer stärker
trat der Freihandel in den Vordergrund. Dies sollte sich bald auf den Haupterwerbszweig
der Stadt, die Webwarenverfertigung und deren Ausfuhr, außerordentlich ungünstig
auswirken. Englische Erzeugnisse
überschwemmten den Markt und drückten auf die Preise, denn die englische Textilindustrie arbeitete
bereits durchgängig mit Maschinen.
Die Einfuhr von Maschinengarn machte
viele Spinner brotlos. Der Warenabsatz der heimischen Fabrikanten stockte, die
Löhne fielen beständig. Hunger und Elend in schlimmster Form hielten in den
Weberdörfern ihren Einzug und auch in der Stadt fanden die Notleidenden kaum
noch dürftigsten Lebensunterhalt.
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Stadtplan von David Brauner aus dem Jahre 1798; der Plan gibt das Stadtbild vor
dem Bau der evangelischen Pfarrkirche
wieder
|
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Ältestes
erhaltenes Stadtsiegel aus dem Jahre 1337 |
Zu einer großzügigen
Umstellung ihrer Betriebe fehlten den Fabrikanten die Mittel. Staatliche Hilfe
blieb aus. Um dem größten Elend zu steuern, ließ man auf Vorrat arbeiten, ohne
dem Übel damit wirksam und dauernd abhelfen zu können. Versuche, die verarmte
Bevölkerung einem anderen Berufe zuzuführen, scheiterten an dem passiven
Widerstand der Weber, die lieber darbten, als dass sie ihre verfallenen
Häuschen und ihre veralteten Webstühle verlassen hätten. Langsam, aber
unabwendbar steuerte die Entwicklung der Dinge dem Unheil entgegen. Die Hungernden
nährten sich nach zeitgenössischen Berichten von Hundefleisch und Schweinekartoffeln,
ja sogar von gefallenem Vieh. Es
begann eine wahrhaft trostlose Zeit, über die selbst manche andere, günstige
Wendung im Werdegange der Stadt nicht hinwegtäuschen konnte.
Im Jahre 1826 brachte eine gute Ernte wenigstens
niedrige Brotpreise. Göttin Fortuna
lächelte der Stadt, als der erste Hauptgewinn der Preußischen Lotterie in diesem Jahre nach Reichenbach fiel. Infolge der eingetretenen Gewerbefreiheit belebte sich der Handel jeder Art. Der Topfmarkt musste deshalb vom Ringe auf den Platz links neben dem Breslauer Tore verlegt werden. Zu diesem
Zwecke wurde der stehengebliebene Teil der Totenschanze
neben dem Kriegerdenkmal von 1815
eingeebnet. Der Westgiebel des früheren Augustinerklosters,
der nach der Anbringung eines niedrigeren Dachstuhls stehengeblieben war,
musste wegen Einsturzgefahr schon im Jahre 1820
niedergelegt werden. In das Jahr 1826
fällt noch die Anlage des jüdischen Friedhofes
vor der Stadt zwischen dem Frankensteiner
und Breslauer Tore.
Mit starker Kälte
und gewaltigen Schneestürmen begann das Jahr 1827. Im Frühjahr trat durch die Schneeschmelze Hochwasser ein und
riss die Mühlwehre fort. Ein
eigenartiges Schauspiel bot am 17. Juni
der Artist Kürschner aus Berlin. Er unternahm, angetan mit einem
schweren eisernen Harnisch, einen Schnelllauf von dem Gasthof „Zur Sonne“ bis auf den Windmühlenberg neben der Hohen Schanze, legte diese Strecke viermal
zurück und benötigte hierzu 48 Minuten.
Infolge der ständigen Arbeitslosigkeit in der Textilindustrie wurden jetzt wieder
die Webergesellen zur Militärpflicht
herangezogen. Hiergegen sträubten sich die ausgemusterten jungen Leute aus Langenbielau. Am Gestellungstage, dem 22. September, trafen sie in geschlossenem
Zuge in Reichenbach zur Musterung ein, geführt von einem jungen
Burschen, der verbotswidrig eine Tabakspfeife rauchte. Als die Polizeibeamten
ihn verhaften wollten, kam es zu einem Tumult. Man befreite den Verhafteten mit
Gewalt und misshandelte die Polizisten. Die zusammengerufene Bürgerwehr schritt hiergegen ein,
bemächtigte sich der Rädelsführer und unterdrückte den Aufruhr.
Großfeuer
vernichtete am 23. August 1828
sämtliche Wohn- und Wirtschaftsgebäude des Dittrichschen
Stadtgutes an der Langenbielauer
Straße. Der städtische Marstall
und die Rossmühle auf dem Klosterplan wurden wegen Baufälligkeit
abgebrochen. Das folgende Jahr brachte im
März und August wieder Hochwasser, das großen Schaden auf den Feldern vor
der Stadt anrichtete. Der Ratsherr
Felgenhauer wurde am 13. August 1829
anlässlich seines 50-jährigen Bürgerjubiläums
zum Ehrenbürger der Stadt ernannt.
Vom einfachen Lohgerber hatte sich dieser
Mann zu einer geachteten Stellung emporgeschwungen und für das Wohl der Stadt
viel getan. Die durch die neue Städteordnung veränderten kommunalen
Verhältnisse brachten die auffallende Tatsache, dass sich in diesen Jahren
viele Bürger der Wahl in öffentliche Ehrenämter entzogen und statt dessen
lieber ein Drittel mehr Steuern zahlten. Trotz der gedrückten Lage auf dem
Webwarenmarkt blieb in den hier geschilderten Jahren die Bevölkerungszahl
ständig im Steigen. Im Jahre 1830
zählte man 4352 Einwohner. Gegen 1820 bedeutet das einen Zuwachs von 800 Köpfen. Nach der Verbesserung der
Landstraßen erhielt Reichenbach jetzt
auch seine regelmäßige Postverbindung
nach Schweidnitz, Breslau, Berlin und
über das Gebirge nach Böhmen. Die Postlinie wurde am 1. März 1831 eröffnet und ging an
jedem Dienstag und Freitag durch die Stadt. Die asiatische Cholera bedrohte bereits im Jahre 1831 die Stadt. Es wurden sofort Vorsichtsmaßregeln ergriffen.
Trotzdem erkrankte im August ein
Militärinvalide an der Seuche und verstarb bald. Immer weiter verbreitete sich
die schreckliche Krankheit und forderte insgesamt 143 Todesopfer. Im gleichen Jahre brannte durch Flugfeuer das Türmchen der Begräbniskirche nieder, die
herabstürzende Glocke zertrümmerte das Gewölbe, und der Bau stürzte in sich zusammen.
Die dicht daneben stehende evangelische
Kirche und Schule konnten mit
Mühe vor dem Wüten des Feuers geschützt werden, das in einer zu Ernsdorf gehörigen Wirtschaft vor dem Schweidnitzer
Tore ausgebrochen war.
Das Jahr 1832 wäre der rechte Zeitpunkt zu einer
Feier des fünfhundertjährigen Jubiläums
der Braugerechtigkeit gewesen, die der Herzog
Bolko 1332 der Stadt verliehen
hatte. Aus den Vorbereitungen hierzu entwickelte sich aber bald ein hitziger und
witziger Streit über die Güte des Bieres, das der städtische Braumeister Rother herstellte. Aus der
Bürgerschaft wurde ihm durch den „Wanderer“
der Vorschlag gemacht, dem Jubeljahr dadurch Rechnung zu tragen, dass er ein
Bier braue, das alle guten Eigenschaften früherer Zeiten besäße. Es wurde daran
erinnert, dass ehedem das als Meisterstück gebraute Bier so dickflüssig und ölig
sein musste, dass derjenige, der sich auf einen mit dem Getränk begossenen Schemel
setze, an diesem klebenblieb und gezwungen war, seine Hose im Stich zu lassen
oder die also befestigte Sitzgelegenheit mit sich herumzutragen. Meister Rother verstand den humorvollen Wink
nicht, denn sein Bier blieb auch im Jubiläumsjahr dünn und ohne Gehalt, sodass
ein anderer Spötter die leichte Bekömmlichkeit lobend hervorhob, die jede
Blutstockung verhindere. Ein richtiger Bierkrieg aber entbrannte, als in der
Zeitung der Spottvers zu lesen war:
„Der alten
Deutschen Riesenkraft
Entstand aus
ihrem Gerstensaft;
Ein jeder war ein
Held.
Was sind dagegen
wir?
Das lehret unser
Bier! — “
Es bildeten sich
Parteien für und wider Meister Rothers Gebräu, und beiden gaben hinwiederum die
Alkoholgegner Unrecht, die ihren Standpunkt in folgender launigen Erklärung
kundtaten:
„Zur Zeit der
deutschen Riesenkraft —
Wer kannte da den
Gerstensaft?!
Rein, Wurzeln und
ein reiner Quell,
Die Haut bedeckt
mit Büffelfell,
Auch eine Keule
in der Faust,
Das Haar
verworren und zerzaust,
Und furchtbar war
der wilde Bart —
Das war der Alten
Lebensart.
Wirst Da nun so
wie diese leben,
Wird Gott Dir Riesenkräfte
geben.“
So ging die unblutige
Fehde noch eine ganze Weile, und darüber vergaß man, das halbtausendjährige Jubiläum
des heimischen Gerstensaftes zu feiern.
Auch sonst
brachte das Jahr 1832 wenig
Erfreuliches. Das Sinken der Preise aus dem Webwarenmarkt führte zu
wiederholten Herabsetzungen der Löhne. Unter der allgemeinen Not litten
besonders die Handweber in den kleineren Dörfern. Im benachbarten Dreißighuben rotteten sich die Weber
zusammen, um mit Gewalt eine Änderung ihrer misslichen Lage zu erzwingen. Der
Aufstand konnte noch einmal im Keime unterdrückt werden. Leider hatte die
Regierung für alle Bittgesuche und Vorstellungen der Bevölkerung taube Ohren,
und die Wirtschaftsverhältnisse steuerten jetzt unaufhaltsam einer Katastrophe entgegen.
Ein orkanartiger Sturm richtete am 18.
Dezember 1833 in der Stadt viel Schaden an. Er warf vom Turm der
katholischen Pfarrkirche die Spitze
mit dem goldenen Stern herab und deckte mehrere Häuser vollständig ab.
Der 6. Januar 1834 ist für die Reichenbacher Protestanten bedeutsam
durch den Beitritt der evangelischen Einwohner aus dem benachbarten Ernsdorf und aus dem Gute Klinkenhaus zu dem Kirchengemeindeverband der Stadt. Seit 90 Jahren hatten die Evangelischen
dieser beiden Gemeindebezirke die Kirche gastweise besucht und ihre Toten waren
seither auf dem kirchlichen Friedhof in der Stadt begraben worden. Nach der
jetzt erfolgten Vereinigung erwarben sie gleiche Rechte an Kirche und Kirchhof,
aber kaum jemand dachte wohl damals daran, dass Ernsdorf, dereinst auch in der gemeindlichen Verwaltung mit der mauerumwehrten
Stadt, zu einer Einheit verschmelzen sollte.
Dem milden Winter
folgte ein heißer Sommer, sodass die Peile
fast austrocknete und die Wassermühlen lange Zeit stillstanden. Von dem regen Musikleben
der Stadt legte ein am 24. April
veranstaltetes Vokal- und Instrumentalkonzert
Zeugnis ab, das sich starken Besuche erfreute. Theateraufführungen auswärtiger
Schauspielertrupps gewährten den Einwohnern häufige Zerstreuung. In der Stadt
selbst bestanden zu damaliger Zeit außerdem zwei Theatervereine. Der eine hieß „Harmonie“,
der andere gehörte der sogenannten Ressourcen-Gesellschaft
an, die lange Zeit der Mittelpunkt des geselligen Lebens in Reichenbach war.
Das Postamt, das
in der ersten Zeit in der Frankensteiner Straße
untergebracht war, verlegte aus Verkehrsrücksichten am 2. Juni 1835 seine Räume in das Eckhaus an der Schweidnitzer Straße, dessen Platz heute der Gasthof „Zur Stadt Berlin“ einnimmt. Fürstlicher
Besitz wurde der Stadt am 14. und 31. August dieses Jahres zuteil, als Prinz Adalbert von Preußen und Erzherzog Franz Karl von Österreich hier
durchreisten. Mit dem Bau der großen, schnurgeraden Straße nach Peterswaldau war schon im Vorjahre
begonnen worden. Sie wurde im Jahre 1836
fertiggestellt. Zahlreiche erwerbslose Weber fanden dabei einen wenn auch
kargen Lohn, denn die Wirtschaftsverhältnisse hatten sich trotz aller Bemühungen
der Fabrikanten, auf der Frankfurter und
Leipziger Messe stärkeren Warenabsatz zu erzielen, nicht gebessert. Im
benachbarten Langenbielau hatte der Fabrikant Hilbert unweit der Hospitalmühle eine große Färberei angelegt. Die Abwässer wurden
durch das Rotwasser der Peile
zugeleitet und verunreinigten sie so stark, dass das Wasser zum Bleichen und
Waschen nicht verwendet werden konnte. Zudem verbreitete sich an warmen Tagen
ständig ein übler Geruch auf den längs der Peile
liegenden Grundstücken. Auf Beschwerde der Bürgerschaft und auf Anordnung des Landrats musste Hilbert im Jahre 1835
eine Kläranlage einrichten und durfte
aus dieser die Abwässer dem Rotwasser
erst nach Abfangen des Bodensatzes zuleiten. Mit der Vergrößerung der industriellen
Werke verschlimmerte sich der Übelstand in späteren Jahrzehnten immer mehr,
sodass von dem einst vielgenannten Fischreichtum der Peile bald nichts mehr übrigblieb. Die jetzige Mohrenapotheke wurde im gleichen Jahr vom Ringe auf die Breslauer
Straße verlegt. Bei einem Brande in der Breslauer
Vorstadt in der Nacht zum 5. Juli
1836 hatte der Seifensiedergeselle Franz
Wagner ein sechsjähriges Mädchen, das man schon verloren gab, aus den Flammen
gerettet. Seine opferfreudige Tat wurde später durch die Verleihung der Rettungsmedaille belohnt. Zu der
unfreundlichen Witterung dieses Jahres gesellte sich am 5. August ein furchtbarer Hagelschlag, der binnen weniger Minuten
die Ernte fast völlig vernichtete. Vom 1.
Oktober 1836 ab verkehrte täglich eine Personenpost zwischen Reichenbach und Breslau, die zehn Reisende befördern konnte. Ferner bestanden Postverbindungen mit Neisse, Schweidnitz und Liegnitz. Seit dem 1. Januar 1837 erhielt die Stadt auch regelmäßige Postbeförderung von und nach Langenbielau und Gnadenfrei. In die übrigen Orte der Umgebung gingen Postboten nach Bedarf ab. Im Laufe des Sommers
wurde die Postverbindung noch weiter ausgebaut. Nach Peterswaldau gingen die Boten viermal wöchentlich und bereisten
dabei auch die benachbarten Orte im Gebirge. Der Grund zu dieser für damalige
Verhältnisse sehr häufigen Postbeförderung waren die immer reger werdenden
Handelsbeziehungen der heimischen Webwarenindustrie, die einen regelmäßigen und
raschen Austausch des Briefwechsels bedingten. Auch das dicht benachbarte Ernsdorf stand in täglicher Postverbindung
mit der Stadt. Am 23. Juli 1837 wurde
dem Konsistorialrat Wunster, der zu Reichenbach am 7. Januar 1764 geboren worden war, das Ehrenbürgerrecht verliehen. Wunster
war geistlicher Erzieher des nachmaligen Kaisers
Wilhelm I. gewesen und wohnte später in Breslau.
Die Cholera forderte in dieser Zeit wieder zahlreiche Opfer. In der Stadt
erkrankten daran nicht weniger als 125
Personen, von denen 46 starben.
Das Jahr 1838 verlief ohne bedeutsame Ereignisse.
Der Warenabsatz hatte sich in der letzten Zeit etwas gebessert. Es wurde den
Fabrikanten möglich, ihre Weber wieder einigermaßen ausreichend zu beschäftigen,
jedoch waren für beide Teile die Verdienstmöglichkeiten bei dem starken Wettbewerbe
des Auslandes recht gering. Für das Elend der armen Bevölkerung spricht eine außergewöhnlich
große Zahl zumeist geringfügiger Eigentumsvergehen, die aus dieser Zeit
berichtet werden. Erwähnenswert ist die Auffindung eines gemauerten Wasserkanals bei Schachtarbeiten auf dem Grundstück
neben der ehemaligen Rossmühle am Klosterplan. Seit sich der Arzt Dr. Knop mit der homöopathischen Heilweise
befasste, trieb die Nachahmungssucht auf diesem Gebiet seltsame Blüten in der
Stadt. Ein Bäckermeister auf der Breslauer
Straße verkaufte homöopathische
Brezeln und wer ein Freund einer guten Tabakspfeife war, konnte bei dem Kaufmann Liebich homöopathischen Kanaster erstehen. Daneben suchte ein
Quacksalber namens Herrmann solche
Leute, die ihr gutes Geld zum Schlechten tun wollten, um ein Perpetuum mobile in Gestalt einer Uhr zu
erwerben. Sogar den Turm der katholischen Kirche wollte der tüchtige
Erfinder mit einer solchen Uhr ausstatten. Da er nicht genügend Dumme fand,
richtete er von Berlin aus an die Adresse des „Wanderers“ eine Zuschrift, in der er bittere Klage über die
Einfalt der Reichenbacher führte;
aber diese behielten lieber ihr gutes Geld und überließen es dem Erfinder, in
einer anderen Stadt zahlungsfähige Interessenten für ein Perpetuum mobile zu finden.
In den hier
geschilderten Jahren hatte sich die Bautätigkeit wieder belebt. Mehrere
Fabrikanten vergrößerten ihre Gebäude. Das Postamt
wurde abermals verlegt, diesmal in ein Haus auf dem Ringe. Zwischen den Häusern „Unter
den Bauden“ wurde durch Einziehung mehrerer alter Fleischbänke ein Durchgang geschaffen. Die Schützenfeste
in dieser Zeit erfreuten sich großer Beteiligung aus allen Kreisen der
Bevölkerung. Neben dem vom Kaufmann
Kellner gestifteten Schützenstern hatte August
Sadebeck der Schützengilde aus
dem Familienschatze ein goldenes
Medaillon geschenkt, das eine künstlerisch herausgearbeitete Ansicht der
Stadt zeigte.
Im Frühjahr 1840 wurden die Postverbindungen mit Langenbielau und Peterswaldau erheblich verbessert. Beide Orte erhielten eine Postexpedition und es verkehrte dorthin
eine sechssitzige Personenpost. Das Schützenfest war gerade in vollem Gange,
als am 10. Juni die Nachricht von dem
Ableben König Friedrich Wilhelms III.
eintraf. Das Fest wurde abgebrochen und erst am 27. Juli zu Ende geführt, wobei gleichzeitig die Feier des fünfzigjährigen Jubiläums des in Reichenbach geschlossenen Friedensvertrages stattfand. Am 15. Oktober erfolgte in Berlin die Huldigung für den neuen
Herrscher, König Friedrich Wilhelm IV.,
wobei Reichenbach durch den Kaufmann Kellner vertreten war. Der Tag
selbst wurde in der Stadt festlich gefeiert. Die Einwohnerzahl war im letzten
Jahrzehnt sehr gestiegen. Im Jahre 1831
waren 4438 Bewohner gezählt worden, 1840 betrug ihre Zahl bereits 5101, wovon 3185 evangelisch, 1857
katholisch und 59 jüdisch waren. Die weibliche
Bevölkerung überwog die männliche um mehr als 250 Köpfe. Es waren 437
Wohngebäude, 40 Fabriken, Mühlen und Magazine,
338 Ställe und Scheunen und 25 öffentliche Gebäude des Staates und
der Gemeinde, ungerechnet 4 Kirchen
und 1 Synagoge vorhanden. Der damalige
Bürgermeister Scholtz bekleidete
dieses Amt seit einer langen Reihe von Jahren. Seine großen Verdienste um das
Stadtwohl fanden ihre Anerkennung durch die Verleihung des Roten Adlerordens IV. Klasse. Landrat des Kreises war von Prittwitz und Gaffron in Hennersdorf.
Auf die
Organisation des Schützenwesens soll
hier ein kurzer Rückblick getan werden. Aus der im Jahre 1811 gebildeten Bürgergarde
war 1812 die Bürger-Schützen-Kompagnie entstanden, die damals bereits 61 uniformierte und 81 nicht uniformierte Schützen zählte. Jeder Reichenbacher Bürger war verpflichtet, der Bürgergarde bis zu seinem 60.
Lebensjahr anzugehören und dort die nötigen Dienste zu tun. Hierzu gehörten
insbesondere Wachen und Transporte. Diese Bürgergarde
war in drei Kompagnien eingeteilt und zählte bei der Aufstellung 490 Mann, von denen 119 uniformiert waren. Am 15.
Oktober 1840 wurde dann noch eine besondere Grenadierkompagnie gegründet. Das gesamte Schützenwesen war nach militärischem
Muster organisiert. Die Schützenkompagnie trug damals grüne Uniformröcke mit
Gardelitzen und roten Achselklappen und einen Hut mit linksseitig
aufgeschlagener Krempe. Den Hut schmückte ein Federbusch, der bei den Offizieren weiß, bei den Oberjägern schwarz-weiß, bei der Musikkapelle rot und bei den übrigen Schützen schwarz gefärbt war.
Die Ausrüstung bestand aus der kurzen Büchse, einem Hirschfänger und schwarzem
Lederzeug. Im Jahre 1864 wich diese schmucke
Uniform der grauen Joppe mit grünem Besatz und Jägerhut. Die Kompagniefahne war
grün. Zu ihr musste früher jeder junge Bürger schwören, wenn er öffentlichen
Dienst zu verrichten hatte. Außer dieser Kompagnie bestanden noch zwei weitere
Bürgerkompagnien, deren Mitglieder durch Schärpen unterschieden waren. So
führte die zweite Kompagnie eine weiße Fahne und orangenfarbene Schärpen und
die dritte Kompagnie eine rote Fahne und blaue Schärpen. Im Jahre 1840 wurde diesen drei Einheiten nun die
bereits oben genannte Grenadierkompagnie ungegliedert. Sie trug blaue
Waffenröcke mit gelben Kragen und Achselklappen, Bärenmützen, Gewehre mit
Bajonett und Säbel an weißem Lederzeug. Ihre Fahne war lichtgelb. Diese Ausrüstung
glich sich im Jahre 1864 derjenigen
der Schützenkompagnie an. Seit 1885
ist auch die Uniformierung der aus der früheren Bürgergarde hervorgegangen Schützengilde
eine einheitliche. Die Mitglieder aller Kompagnien sind untereinander durch
eine Sterbekasse verbunden. Im Besitze
der Schwert- und Grenadierkompagnie
befanden sich zwei große Zelte, die alljährlich während des Königsschießens zu Pfingsten aufgebaut wurden.
Der seit Längerem
geplante Neubau des Schießhauses
wurde nun in die Tat umgesetzt. Aber trotz Veräußerung des Königszwingers zwischen der Breslauer
und Schweidnitzer Straße und
Verpachtung der sogenannten kleinen Viehweide längs der Bertholdsorfer Straße reichten die Mittel nicht hin, und so übernahm
schließlich die Stadt den Schießhausbau,
wofür die Schützengilde einen
jährlichen Zins von 6 Talern zahlen
musste, der im Jahre 1887 auf 10 Taler erhöht wurde.
Der Absatz der
Webwaren war in den letzten Jahren wieder erheblich zurückgegangen. Die Lage
der Weberbevölkerung hatte sich weiterhin verschlechtert. Wiederholt hatten der
Landrat und die städtische Behörde wegen des offenbaren Notstandes eindringliche
Vorstellungen bei der Regierung
erhoben. Als der Oberpräsident Dr. von
Merckel am 29. Juli 1841 die
Stadt und den Industriebezirk bereiste, hatte er Gelegenheit, sich an Ort und
Stelle von dieser allgemeinen Notlage zu überzeugen, die Fabrikanten und
Arbeiter in gleicher Weise traf. Nichtsdestoweniger sandte er später schön
gefärbte Berichte nach Berlin, sodass
in den folgenden Jahren alle Bitten der Industrie um staatliche Unterstützung
ergebnislos blieben, bis die blutigen Ereignisse von 1844 auch den Regierungsstellen die Augen öffneten, freilich zu
spät.
Der 22. September 1841 war ein doppelter
Festtag. Am Vortag traf der Weihbischof
von Kalussek aus Breslau in Reichenbach ein und wurde von der Kirchgemeinde
und dem Magistrat festlich begrüßt.
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Blick vom Ring
auf die evangelische Pfarrkirche, links der „Schwarze Adler“, rechts der „Rote
Hirsch“, Ansicht aus dem Jahre 1802
|
Gleichzeitig
verbreitete sich die Kunde, dass König
Friedrich Wilhelm IV. auf der Durchreise in der Stadt kurzen Aufenthalt
nehmen würde. Alsbald wurden die Häuser beflaggt, die Bürgergarde und die Bürgerschaft bildeten Spalier. Vor dem Sadebeckschen Hause wurde nachmittags um 5 Uhr der König mit seinem Gefolge vom Landrat und den städtischen Behörden unter Glockengeläut begrüßt. Während sich der
König vom Reisewagen aus mit ihnen leutselig unterhielt, brach krachend eine
der auf dem Ringe aufgestellten
Jahrmarktbuden zusammen, auf denen die schaulustige Volksmenge Platz genommen
hatte. Der König sprang sofort aus dem Wagen und eilte zu der Unfallstelle. Es
ergab sich, dass außer dem Militärinvaliden Klamet
niemand verletzt worden war, und auch dieser hatte keinen größeren Schaden
genommen. Friedrich Wilhelm stiftete
ein namhaftes Schmerzensgeld und meinte, er habe noch niemand so geschickt
fallen gesehen. Später äußerte er dann in seiner witzigen Art: „Die Reichenbacher haben recht besondere »Einfälle«
beim Empfang ihres Königs“.
Als er tags
darauf von Camenz durch Reichenbach zurückreiste, erkundigte er
sich nach dem Befinden des Verunglückten. Über die Stadt selbst äußerte sich
der König sehr zufriedenstellend und erklärte wiederholt, dass so nett und freundlich
wie Reichenbach keine andere sei.
Längere Zeit unterhielt sich der Landesfürst
auch mit dem anwesenden Weihbischof,
der zum Empfange erschienen war.
Der Winter des
Jahres 1841 war sehr milde. Noch zu Weihnachten
blühten verschiedentlich in den Gärten die Blumen. Erst zu Beginn des neuen
Jahres setzte strenge Kälte ein, und in diesen Tagen verlor die Stadt einen
ihrer größten Wohltäter. Am 24. Januar
1842 starb der Kaufmann Johann
Friedrich Fraeger (Fräger), der Stifter des evangelischen Waisenhauses. Im Geschäft seines Vaters groß geworden
hatte er nach dessen Tode im Jahre 1821
die Fabrikation wollener und leinener Waren weitergeführt und das vorhandene
Vermögen noch beträchtlich vergrößert. Als dann im Jahre 1824 auch seine Mutter starb, war er Alleinerbe. Da er Nachkommen
nicht besaß, errichtete der edle Menschenfreund bald danach jene große, mildtätige
Stiftung, die noch heute neben der
nach ihm benannten Straße seinen Namen führt und segensreich wirkt. Fraeger (Fräger) eröffnete die erste Waisenanstalt am 16. Mai 1825 mit zwölf evangelischen Waisenknaben in dem ererbten Familienhause
auf dem Ringe, das heute die Niederlassung
der Deutschen Bank beherbergt. Im Jahre
1827 bestimmte er, dass die Einkünfte
aus seinem in der Breslauer Vorstadt
gelegenen Gut der Wohltätigkeitsanstalt zufließen sollten. Testamentarisch
setzte er dann das Waisenhaus zum Universalerben seines etwa 150 000 Taler betragenden Vermögens ein.
Damit war die finanzielle Zukunft der Stiftung endgültig gesichert. Diese wurde
von einem eigenen Kuratorium
verwaltet, dessen Zusammensetzung der Stifter besonders festgelegt hatte. Nach Fraegers (Frägers) Tode wurden seinem
Wunsche gemäß auch Mädchen in die Anstalt aufgenommen. Aber nicht nur diesem
einen Zwecke diente des hochherzigen Mannes Sorge. Im Jahre 1829 gedachte er auch der katholischen
Waisen durch ein Stiftungskapital von
4300 Talern. Ferner setzte er ein Legat von 6000 Talern aus, dessen Zinsen verschämten Armen zufallen sollten.
Daneben bedachte er noch die evangelische und katholische Kirche und Schule
sowie die städtische Armenkasse mit
namhaften Zuwendungen. Fraegers (Frägers)
Ruhestätte befindet sich in der Familiengruft
auf dem Sadebeck-Friedhofe. Mit der neueren Entwicklung der Stadt bleibt sein
wohltätiges Wirken aufs Engste verknüpft. Als man ihn zu Grabe trug, war die
Trauer in der Stadtbevölkerung allgemein. Auch der Staat hat seine Verdienste
durch Verleihung des Roten Adlerordens
III. und IV. Klasse anerkannt. Bis zum Jahre 1859 verblieb die Waisenanstalt
in dem Hause am Ringe. Dann siedelte
sie in den stattlichen Bau auf der Schweidnitzer
Straße über, in dem sie sich noch heute befindet.
Die evangelische Kirchgemeinde konnte am 30. September 1842 ihr hundertjähriges
ungestörtes Bestehen in feierlicher Weise und unter reger Beteiligung aller
seither zum Kirchspiel gehörigen Gemeinden begehen. Bei dieser Gelegenheit
schenkte der Kaufmann Göhlig (Göhlich)
der Kirche das von Bithorn gemalte Altarbild.
Am 20. Oktober dieses Jahres hielt
der neue Stadtpfarrer Rinke seinen
festlichen Einzug in das katholische Gotteshaus.
Als am 26. März 1843 die Breslauer Postkutsche in der Stadt eintraf, fiel es auf, dass
anstelle des Postillions einer der Passagiere hoch oben auf dem Kutscherbock saß.
Bald klärte es sich zur allgemeinen Erheiterung auf, dass der biedere
Postillion ein Gläschen über den Durst getrunken hatte, unterwegs sanft
eingeschlafen und vor Bertholdsdorf
von seinem lustigen Sitz heruntergefallen war, wobei er sich einigen Schaden
getan hatte. Ein wolkenbruchartiges Gewitter am 13. Juni brachte plötzliches Hochwasser, das in die Uferhäuser
eindrang, den beweglichen Hausrat fortspülte und auch sonst viel Schaden anrichtete.
Immer schwieriger
gestalte sich die Lage in der Webwarenindustrie. Die verschiedenen Messen der
letzten Jahre hatten nur einen unbefriedigenden Absatz der Erzeugnisse gebracht.
Die Frankfurter Messe von 1843 wies so gut wie keinen Umsatz auf. Ständig
vergrößerte sich die Zahl der arbeitslosen Handweber. Wer noch Arbeit hatte,
konnte nur kümmerlichen Lohn finden. Eine Art von Hungertyphus griff in den Weberfamilien um sich. Diebstähle nahmen
in bedenklicher Weise zu. Da und dort kam es unter den Notleidenden zu heimlichen
Zusammenkünften, die für die Zukunft nichts Gutes verhießen.
Alle Anträge und
Bittgesuche der Fabrikanten und der örtlichen Behörden blieben ergebnislos.
Man wollte weder beim Oberpräsidenten
in Breslau noch bei dem Ministerium in Berlin an einen solchen Notstand
und an eine öffentliche Gefahr glauben und ließ den Dingen ihren Lauf. Im Jahre
1844 kam dann das Unausbleibliche: ein
ausgehungertes Volk erhob über Nacht die Fahne des Aufruhrs und richtete die
seit Jahren und Jahrzehnten still genährte Wut gegen die Fabrikanten, die der Wirtschaftskrise in gleicher Weise machtlos
gegenüberstanden wie ihre brotlosen Arbeiter.
Mit Beginn des
Jahres 1844 errichtete A. E. Pape in der Stadt eine neue
Buchdruckerei, die er bald erheblich erweiterte, sodass in seinem Verlage im
folgenden Jahre eine neue Zeitung erscheinen konnte, das heutige „Reichenbacher Tageblatt“.
Wirtschaftliche
Not und elterlicher Widerspruch waren die Ursache zu einer Liebestragödie, von
der sich am 4. März die Kunde in der
Stadt verbreitete. Der Färbereigehilfe Fellgiebel
erschoss seine Geliebte Christiane Aberle,
die sich bräutlich geschmückt hatte, und dann sich selbst. Bald sollte sich über
viele andere Familien in Stadt und Kreis Trauer hereinbrechen. Vergeblich
hatten sich Menschenfreunde aus allen Ständen der Bevölkerung um eine Linderung
der Webernot bemüht. Allenthalben wurden mildtätige Sammlungen veranstaltet, um
wenigstens dem größten Elend zu steuern, denn der Winter war sehr streng und
dauerte bis in den April hinein. Die
letzte Frankfurter Messe ließ eine
Besserung des Warenabsatzes erwarten, aber dieser Umschwung kam bereits zu
spät.
Wenn auch der Aufstand der Weber sich in der Hauptsache
in den Nachbarorten Peterswaldau und Langenbielau, also vor den Toren Reichenbachs abgespielt hat, so ist er
doch in seiner politischen und wirtschaftlichen Bedeutung mit dem Namen des Reichenbacher Textilbezirks so eng
verknüpft, dass eine kurz zusammengefasste Schilderung in der Stadtgeschichte nicht
gut fehlen darf, wenn das Bild des Werdeganges dieses Haupterwerbszweiges der
Stadt ein vollständiges bleiben soll. In dem Drama „Die Weber“ hat Deutschlands
gegenwärtig größter Dichter, der Schlesier
Gerhart Hauptmann, diese Webernot über die Grenzen des Vaterlandes hinaus
bekannt gemacht. Noch heute erleben wir in seinem Schauspiel oder beim Lesen
des Werkes mit Erschütterung und tiefem Mitgefühl die Leiden der hungernden und
verzweifelten Handweber in unserer engsten Heimat mit. Und wenn wir bei einer
Wanderfahrt in die lieblichen Täler des Eulengebirges
noch da und dort einem verhutzelten altersgekrümmten Greis begegnen, der sich
vor seinem winzigen Häuschen am Bergrand im Scheine der strahlenden Mittagssonne
ein wenig wärmt, dann gleiten unsere Gedanken wohl manchmal zurück zu jenen
Ereignissen des Jahres 1844.
Es war zu Beginn
des Monats Juni, als sich in
abgelegenen Seitentälern des Gebirges da und dort Trupps hungernder Handweber, alte und junge, Meister und Gesellen, zusammenfanden und miteinander geheime Verabredungen
führten. Abends erklang dann in jenen Tagen aus den ärmlichen Hütten hin und
wieder ein seltsames Lied. Es hieß im Volksmunde „Das Blutgericht“ und wurde nach der Melodie des bekannten
Volksliedes „Es liegt ein Schloss in
Österreich“ gesungen. Niemand kannte seinen Verfasser. Handschriftlich und
in ungelenken Zügen waren seine Strophen auf lose Blätter gekritzelt und in den
Weberdörfern verbreitet worden. Noch heute sind einige wenige Originalexemplare
davon vorhanden, als heimatkundliche Seltenheit wohlbehütet und sensationshungrigen
Fremden unzugänglich.
So reifte in Rede
und Lied eine Gärung unter den Webern heran, die am 4. Juli gänzlich unerwartet zu offener Gewalt führte.
Zeitgenössische Berichte meldeten über die Ereignisse das Folgende:
Ein Fabrikant in Peterswaldau hatte die Löhne der Handweber erneut herabsetzen lassen,
weil bei der fortdauernden Absatzstockung eine Firma die andere in Löhnen und
Preisen zu unterbieten gezwungen war. Am 4.
Juni begaben sich daraufhin die bei jenem Fabrikanten beschäftigten
Handweber auf Vereinbarung in geschlossenem Zuge zu dessen Wohnung und forderten
einen besseren Lohn. Ihrem Verlangen wurde nicht entsprochen. Inzwischen hatte
sich die Menge der versammelten Weber rasch vergrößert, und offen erklang nun
das bereits erwähnte „Blutgericht“.
Die Ortspolizei blieb diesem unvorhergesehenen
Aufruhr gegenüber machtlos. Steinwürfe auf die Fenster des Fabrikanten
eröffneten die Gewalttätigkeiten. Die Fabrikgebäude wurden erstürmt, in blinder
Wut zerstörte die Menge sämtliche Einrichtungen, zertrümmerte Webstühle und
Möbel und schleppte die Waren fort. Man warf sie in den Dorfbach oder teilte sich
in den Raub. Der Fabrikant war indessen mit seiner Familie unerkannt nach Reichenbach geflüchtet und auf die Kunde
von dem Aufstand wurde militärische Hilfe aus Schweidnitz erbeten, die sich sofort in Marsch setzte. Indessen
fuhr die aufrührerische Menge, der sich, wie immer bei solchen Gelegenheiten,
auch unbeteiligte, übel berüchtigte Elemente angeschlossen hatten, mit ihrem Zerstörungswerk
bis tief in die Nacht hinein fort. Als es in den Räumen der Gebäude nichts mehr
zu zerstören gab, wurden am Morgen des 5.
Juni sogar die Dächer abgedeckt. Es fiel kein überflüssiges Wort dabei,
jeder trachtete in stummem, lange verhaltenem Grimm danach, den Schaden in unsinniger
Weise zu vergrößern. Am Vormittag zog der immer größer gewordene Menschenhaufen
mit einer roten Fahne nach Langenbielau.
Als mittags das Militär in Peterswaldau
eintraf, fand es nur noch die trostlosen Trümmer und da und dort ein paar
zurückgebliebene Zerstörer an, von denen einer durch einen Bajonettstich schwer
verletzt wurde. Die im Ort verbliebene Bevölkerung sah den Schutzmaßnahmen der
Truppen zu, ohne eine Hand zu rühren. Aus den Augen der Weber und ihrer Angehörigen
aber blickte den Soldaten Hass und verhaltener Ingrimm, nichts Gutes verheißend,
entgegen. Nach Zurücklassung eines Schutzkommandos marschierten die Truppen
hierauf nach Langenbielau weiter. Dort
hatten die Aufrührer ihr Zerstörungswerk bereits fortgesetzt, an dem sich auch
die ortsansässigen Weber beteiligten. Vergeblich versuchte man, die Aufständischen
durch Geldgeschenke zu beschwichtigen. Drei große Fabriken waren ihnen schon
zum Opfer gefallen, als das Militär einrückte. Die Aufforderung des Militärbefehlshabers,
von weiteren Gewaltmaßnahmen abzulassen, blieb unbeachtet. Der gemessene Befehl
zum Auseinandergehen stieß auf stummen Widerstand. Als die Truppen mit geladenem
Gewehr die Menge abzudrängen versuchten, brach der offene Aufruhr los. Ein
Steinhagel beantwortete den Angriff des Militärs, das sich vor der Übermacht
zurückziehen musste. Nunmehr gab der kommandierende Hauptmann den Befehl, in Anschlag
zu gehen, und drohte mit dem Gebrauch der Feuerwaffe. Es trat eine beklemmende
Stille ein, ohne dass die Menge ihre bedrohliche Haltung aufgab. In diesem
Augenblick fiel aus einem der geplünderten Gebäude ein Schuss. Es hat sich nicht
ermitteln lassen, ob der Täter zu den revoltierenden Webern gehörte, aber die
Antwort der Truppen war eine Salve, die mitten in die dichtgedrängte Menge
einschlug und mehr als vierzig Personen
zu Boden streckte. Zeitgenössische Berichterstattung meldet, dass ein Teil des
Militärs in die Luft geschossen habe. Es sollen dies Soldaten gewesen sein, die
in der Gegend längs der schlesischen
Berge beheimatet waren und die Not der Weber kannten, während die übrigen
Truppen in die Menge gezielt hatten. Dreizehn
Personen wurden getötet, viele andere teilweise sehr schwer verletzt, wovon
später noch einzelne starben. Zu den Erschossenen gehörten auch solche, die nur
als müßige Zuschauer teilweise in größerer Entfernung, den Geschehnissen
beigewohnt hatten. Das Militär musste in dem nun entstehenden Getümmel zunächst den
Rückzug antreten. In den sich hieran schließenden Straßenkämpfen, die schließlich mit einer allgemeinen Flucht der Weber
in die schützenden Bergwälder endeten, wurden noch mehrere Aufständische, aber
auch einige Soldaten verwundet. Bis zum Abend waren mehr als 70 Verdächtige ergriffen. Sie wurden
später nach Schweidnitz abgeführt.
In Reichenbach, wo die erste Kunde von dem
Aufruhr schon am Nachmittag des 4. Juni
eintraf, übernahm sofort die Bürgergarde
die Bewachung der Stadt, deren Tore geschlossen wurden, um jeden Zuzug auswärtiger
Weber zu verhindern. Es kam hier auch zu keiner Ausschreitung.
Am 6. Juni trafen dann noch Truppenteile
zweier anderer Infanterieregimenter, eine Batterie und zwei Schwadronen
Kavallerie ein, die in der Stadt sowie in Langenbielau
und Peterswaldau den Ortsschutz
übernahmen. An die Aufständischen wurde ein Aufruf erlassen, wieder friedlich
in ihre Wohnungen zurückzukehren. Am gleichen Tage traf auch noch der Oberpräsident von Merckel ein, der sich
an Ort und Stelle von der Zerstörung überzeugte und später für die Unruhen zur Verantwortung
gezogen wurde. Ähnliche Tumulte waren zu gleicher Zeit in Friedersdorf und Leutmannsdorf
ausgebrochen, jedoch kam es nicht zu gleichem Blutvergießen. Jener Truppenteil,
der in Langenbielau auf die Weber
befehlsmäßig gefeuert hatte, war im
Reichenbacher Textilbezirk noch lange Zeit überall missachtet. Nur mit
Widerwillen gab man ihm Quartier, und um jede weitere Missstimmung zu
vermeiden, ersetzte man diese Truppen später durch ein anderes Regiment.
Hart waren die
Strafen, die das in Schweidnitz
zusammengetretene Ausnahmegericht über die ermittelten Aufrührer verhängte. 35 Langenbielauer wurden zu ein- bis neunjährigem Zuchthaus und Festungsstrafe,
teilweise mit 30 Peitschenhieben
verurteilt. Ebenso erhielten Peterswaldauer
Gefängnis- und mehrjährige Zuchthausstrafen sowie bis zu 30 Peitschenhieben.
Die Truppen,
unter dem Befehl des Generalmajors von
Staff stehend, verblieben mehrere Monate in dem bedrohten Gebiet.
Nur langsam
kehrten Ruhe und Ordnung in die einst friedlichen Weberorte zurück. Mühsam
erholten sich die betroffenen Firmen von den Schäden der Zerstörung, zumal staatliche
Hilfe nur unzureichend gewährt wurde. Die Arbeitslosigkeit war zudem noch durch
die Vernichtung zahlreicher Maschinenwebstühle gesteigert worden. Zur Behebung
der größten Not begann man mit dem Ausbau der Gebirgsstraßen und gab damit einem
Teil der Bevölkerung Arbeit. „Hungerstraßen“
nannte sie der Volksmund, jedoch gehen die Meinungen darüber auseinander, ob
diese Bezeichnung auf die damaligen Hungerjahre im Allgemeinen oder auf die Hungerlöhne
hindeuten sollte, die bei diesen Straßenbauten gezahlt wurden.
Auch in anderer
Hinsicht brachte das Jahr 1844 für
die Stadt mancherlei Bedeutsames. Wiederholt waren bei Neubauten heidnische Aschenkrüge und Urnen ausgegraben
worden. In diesem Jahre wurden reichhaltige Funde unweit des Windmühlenberges vor dem Tränktore (Trenktore) gemacht. Bei
Schachtarbeiten in der Nähe des Gasthofes „Zum
grünen Berge“, der jetzigen Tivoli-Gaststätte,
förderte man Bernstein zutage. Das Füsilierbataillon des 22. Regiments, in
der Weberbevölkerung durch sein Vorgehen beim Langenbielauer Aufstand unbeliebt
geworden, wurde am 29. August durch
ein Bataillon des 11. Regiments
abgelöst, das längere Zeit in Reichenbach
einquartiert blieb.
Gegen Ende dieses
denkwürdigen Jahres fasste in der Stadt eine religiöse Bewegung Platz. Ihr geistiger
Urheber war der katholische Priester Johannes
Ronge, der durch seine Streitschrift über den Heiligen Rock zu Trier lebhafte Erörterungen unter den Anhängern
beider christlichen Bekenntnisse auslöste. Am 15. Mai 1845 kam es nach viel unerquicklichem Wortstreit in öffentlichen
Versammlungen zur Bildung einer christlich-katholischen
Gemeinde, die mehr als 100 Mitglieder
zählte und ihren Gottesdienst in der hierzu überlassenen evangelischen Kirche abhielt. Später wurde ihr die Benutzung der
Kirche wieder untersagt, worauf die kirchlichen Versammlungen teils im Freien, teils
in der evangelischen Schule
stattfanden. Die Bewegung hielt sich einige Zeit, doch verlor sie in den Wirren
der Revolution von 1848 bald an
Bedeutung.
Am 2. September 1845 erschien in der Buchdruckerei von Alexander Pape eine
neue Zeitung unter dem Titel „Sammlung bunter
Steine aus dem Gebiete des Wissenswerten Nützlichen und Angenehmen“. Sie war
eine Wochenschrift. Aus ihr ist später das „Reichenbacher
Wochenblatt“ unser heutiges „Tageblatt“
hervorgegangen.
Die Seifensiederwitwe
Bergmann hatte der evangelischen Gemeinde im Testament 3000 Taler zur Errichtung eines neuen Friedhofes vermacht. Nach anfänglichen
Schwierigkeiten waren die Arbeiten hierzu schließlich so weit gediehen, dass der
Kirchhof am 25. September 1845 eingeweiht werden konnte. Der hinter dem Hotel „Zur goldenen Sonne“ gelegene
Gottesacker ist heute bereits wieder geschlossen. In der Nacht zum
Weihnachtstage wurde ein großer Diebstahl verübt. Aus der evangelischen Kirchen- und Schulkasse wurden von einem
entlassenen Sträfling über 10 000 Taler
an Wertpapieren und Bargeld gestohlen. Der Dieb wurde ermittelt. Die Kirchengemeinde erhielt diese
Wertpapiere später ersetzt, es blieb aber ein Verlust von 1200 Talern in barer Münze zu beklagen.
Am 7. März 1846 wurde der erste öffentliche Leichenwagen in Gebrauch genommen, den der Kaufmann Kellner der Einwohnerschaft
gegen Entgelt zur Verfügung stellte. Der 15.
Juni dieses Jahres ist der Todestag des Rittergutsbesitzers August Sadebeck, dessen Namen mit dem
Wohle der Stadt, ganz besonders aber mit der Erforschung ihrer Geschichte aufs
Engste verknüpft ist. In jahrzehntelanger, mühseliger Arbeit schuf Sadebeck die erste vollständige Chronik
der Stadt und des Kreises, die für alle späteren Arbeiten, und so auch für die
vorliegende, ein unersetzliches Nachschlagewerk bildete und mehrere handschriftlich
hergestellte Bände füllt, die mit zahlreichen Bildern geschmückt sind. Die
Stadt darf sich glücklich schätzen, im Besitz dieser wertvollen Manuskripte
sowie der übrigen geschichtlichen Quellen zu sein, die Sadebeck sammelte und der Stadtverwaltung
vermachte. Seine Chronik reicht bis zum Jahre 1848 und ist von einem anderen Ratsmitgliede bis 1853 weitergeführt worden. Vielseitig war
das Lebenswerk August Sadebecks. Er
ist auch der Begründer der Kolonie Sadebeckshöh,
die heute mit der Gemeinde Schobergrund
vereinigt ist. Ferner hat er sich um die Einführung und Züchtung der Immortellen in Schlesien ein bleibendes Verdienst erworben. Güte und Milde, Bürgersinn
und Begeisterungsfreude für alles Schöne sprechen aus dem Antlitz dieses edlen
Mannes, das uns in einem alten, im Archiv der Stadt verwahrten Lichtbild
erhalten geblieben ist. Sadebeck ruht
in der Gruft seiner Familie.
König Friedrich Wilhelm IV. reiste am 20. September 1846 durch Reichenbach und labte sich bei dieser
Gelegenheit aus dem gleichen Glase, aus dem 46
Jahre zuvor seine Mutter, die Königin
Luise, getrunken hatte.
Während die beiden
letzten hier geschilderten Jahre eine leichte Besserung der Arbeitsverhältnisse
in der Webwarenfabrikation zeitigten, wurde 1847
ein ausgesprochenes Hungerjahr. Die Lebensmittel verteuerten sich, lohnende
Arbeit war kaum zu finden. Am 15. Februar
kam es zu einer Zusammenrottung der Reichenbacher
und Ernsdorfer Webergesellen, die von
den Fabrikanten höheren Lohn
forderten. Tätliche Ausschreitungen konnten in der Stadt von dem eingerichteten
Schutzdienst unterdrückt werden,
dagegen ereigneten sich solche wiederum in Langenbielau
und Peterswaldau. Man steuerte, so
gut es ging, der allgemeinen Not durch mildtätige Sammlungen und verbilligten Verkauf
von Brot und Kartoffeln. Vielleicht steht mit dem allgemeinen Notstand in
Verbindung, dass in diesem Jahre außergewöhnlich viel Schadenfeuer eintraten,
deren Ursache fast stets Brandstiftung war. Von den Bränden in der Stadt ist derjenige
des Schießhauskretschams in der Nacht
zum 13. März erwähnenswert. Ein
Hochwasser am 8. Juli brachte ein
Haus am Klinkenwehr zum Einsturz.
Das Fallen eines
Meteors wurde am 14. Juli, morgens
zwischen 4 und 5 Uhr, beobachtet. Am
südwestlichen Himmel erschien eine Feuerkugel von der mehrfarbige Strahlenbündel
ausgingen. Die Erscheinung wurde von einem rasselnden Getöse begleitet, das
einem Trommelwirbel ähnelte. Es war dies der bekannte Braunauer Meteorfall.
Es schien, als wollte
die seltene Naturerscheinung das Kommen unerwarteter Umwälzungen vorauskünden,
die im nächsten Jahre über ganz Deutschland hereinbrechen sollten.
Bereits
wiederholt war aus den Reihen der Bürgerschaft und durch die Presse die Öffentlichkeit
der Stadtverordnetensitzungen gefordert worden. Die Stadtverwaltung entsprach diesem
Verlangen, aber nicht, weil kein ausreichender Raum für Zuhörer vorhanden war.
Sie sicherte dagegen zu, die Verhandlungen in den örtlichen Zeitungen zu veröffentlichen.
Aber auch das unterblieb, sodass es an lebhaften Ermunterungen hierzu nicht
fehlte. Die arme Bevölkerung litt immer noch größte Not, der durch mildtätige
Sammlungen nur unzureichend gesteuert werden konnte. Vorläufig richtete sich
die Unzufriedenheit dieses Bevölkerungsteils nur gegen ihre Brotgeber. Bald sollten
die politischen Geschehnisse dieser Strömung eine andere Richtung geben.
Rekonstruktion und Anpassung an neue Rechtschreibregeln: Marcin Perliński (2025)