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8. Abschnitt
Vom Hubertusburger Frieden bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts
Festlich wurde am 13. März 1763, einem Sonntag, die Friedensfeier in Reichenbach begangen. In der Frühe des Morgens ertönten vom Rathausturm Posaunen, zu deren Klängen das Lied „Gott des Himmels und der Erde“ von einem Chor gesungen wurde. Danach fand in den Kirchen ein allgemeiner Dankgottesdienst statt, an dem der Magistrat und die Ältesten der Bürgerschaft teilnahmen. Hieran schlossen sich Salutschießen der Artillerie und Salvenfeuer der Infanterie, die in der Stadt lag. Sodann erklang in den Kirchen ein feierliches Tedeum.
Der Nachmittag begann mit allgemeiner Festesfröhlichkeit. Eine Kapelle spielte lustige Weisen, die Kanonen und Böller krachten und 400 Grenadiere veranstalteten ein knatterndes Schnellfeuer. Den Abend dieses denkwürdigen Tages beschloss eine allgemeine Illumination der Häuser. Zahllose Lampen und Lichter schmückten die Fenster, in allerlei Aufschriften und Bildnissen gab jeder seiner Freude über den endlich erlangten Frieden und der Verehrung für den ruhmreichen König Ausdruck.
In launiger Weise war das Haus des Bürgermeisters Schultz illuminiert. Eine Abbildung stellte einen Husaren zu Pferd dar, ihm gegenüber stand ein Bauernbursche. Die Inschrift lautete: „Un Bota raus“ und daneben die Antwort: „O nee, mei Herr, es is ja Frieda!“ Ein zweites Bild zeigte junges Landvolk, dem drei Bauernmusikanten zum Tanz aufspielten. Darunter waren folgende lustigen Verse zu lesen:
„Tanzt, tanzt, Ihr Ordonnanza!
Nu derst Ihr nich meh schanza
Und ooch nich meh Wag weisa giehn.
Der Himmel hoot uns Friede verliehn“.
Seiner treuen Gesinnung für Preußen gab ein hiesiger Kaufmann in einem Transparent wie folgt Ausdruck:
„Auf Preußens Glück schenk ich itzt ein:
Gut preußisch sein ist eine Ehre!
Und wenn ich Moguls Schatz verlöre,
So wollt‘ ich doch gut preußisch sein!“
So feierte Reichenbach bis in die Nacht hinein den schwer errungenen Frieden. Pastor Krancher, der Freund des großen Königs, sollte sich nicht lange dieses Friedens freuen. Zwei Tage nach dem Fest schloss er die Augen für immer. So konnte ihn Friedrich II. nicht mehr begrüßen, als er am 21. März durch die Stadt reiste. Die Bürgerschaft bereitete dem großen Kriegshelden einen feierlichen und begeisterten Empfang. Berittene Bürgergarde gab ihm das Geleit, junge Mädchen bildeten Spalier und sangen Huldigungslieder. Ein wenig müde und sorgenvoll sah der König aus, als er der Bürgerschaft seinen Dank aussprach und dann seine Reise durch das Frankensteiner Tor fortsetzte. Ob er angesichts der Wunden des Krieges, die er überall erblickte, der Riesenarbeit gedenken mochte, die seiner in den kommenden Jahren harrte?
Am 4. Juli 1763 erhielt Reichenbach in dem 1. Bataillon des Regiments von Heucking eine ständige Garnison. Als neuer evangelischer Geistlicher wurde am 4. Dezember der Feldprediger Pauly gewählt, dessen feierliche Amtseinführung am 27. August 1764 erfolgte. In dieses Jahr fällt auch die Abtragung der Türme des Breslauer und Frankensteiner Tores, wobei 200 Klafter an Steinen gewonnen und für ebensoviel Taler verkauft wurden. Zwanzig Jahre hatte der Bürgermeister Georg Friedrich Schultz getreulich im Dienste der Stadt gewirkt, als er am 9. September 1765 verstarb. An seine Stelle trat Heinrich Wilhelm Christinecke, der am 22. Januar 1766 sein Amt antrat. Seine Berufung erfolgte durch die preußische Regierung, der die Besetzung aller wichtigen Verwaltungsposten oblag. Hier zeigte sich unter der neuen Herrschaft ein Rückschritt gegenüber der bisherigen Entwicklung der Stadt, die bis dahin einer nahezu vollständigen Selbstverwaltung zugestrebt hatte. Solange ein starker und zielbewusster Wille den aufstrebenden Staat lenkte, mochte diese Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten noch hingenommen werden. In späteren Jahren wirkte sich aber dieses Regierungssystem nicht immer zum Segen der Stadt aus. Wie vordem die Protestanten in der Verwaltung ausgeschaltet worden waren, so traf bald unter preußischer Herrschaft die katholischen Bürger ein ähnliches Geschick. Nach und nach wurden sie von den öffentlichen Ämtern zurückgedrängt. Das war weniger eine Folge der Bekenntniszugehörigkeit, denn in solchen Dingen war kein Fürst dieser Zeit duldsamer als der große Friedrich, sondern staatspolitische Gründe lagen zugrunde; wurden doch noch lange Zeit nach den Schlesischen Kriegen die katholischen Mitbürger als unzuverlässige preußische Untertanen angesehen. Erst die Steinsche Reform schaffte hierin einigen Wandel.
Der Posten des Stadtkämmerers wurde von der Regierung dem Steuereinnehmer Grosse übertragen. Er hatte gleichzeitig auch die Feuersozietätskasse zu führen. Frühzeitig hatte der preußische Herrscher die Versicherung der Gebäude seinen neuen Landeseinwohnern zu einer Pflicht gemacht, indem er im Jahre 1742 die Schlesische Feuersozietät begründete. Am 20. Januar 1767 trat Carl von Russig sein Amt als katholischer Stadtpfarrer an.
Im Jahre 1768 bereiste eine königliche Baukommission die Stadt. Der König löste nach Ordnung der Staatsfinanzen nun sein Versprechen ein, die Schäden der Kriege heilen zu helfen. Schon in den nächsten Jahren begann mit staatlichen Mitteln eine überaus rege Bautätigkeit. Am 12. Juni 1770 wurde der älteste Sohn des Kaufmanns Friedrich Sadebeck geboren und auf die Vornamen Friedrich August Wilhelm getauft. Ihm, der in späteren Jahren ein eifriger Sammler alter Handschriften und Bücher wurde, verdanken wir eine mehrbändige Chronik, die auch für die vorliegende Geschichte der Stadt ein wertvolles Nachschlagewerk war und für die Wiedergabe alter Stadtansichten gute Unterlagen lieferte. Am 27. August begann man mit umfangreichen Instandsetzungsarbeiten am Rathaus und an dessen Turm. Die Uhrzeigertafeln wurden dabei abgenommen. Am 11. Oktober waren die Ausbesserungen beendet, und das neu verschönte Gebäude wurde mit Trompetenschall und Festschmaus eingeweiht.
Große Kälte und Teuerung brachte das Jahr 1771. In den letzten Tagen des März, fegte ein starker Schneesturm durch die Straßen und machte sie ungangbar. Im Mai begann man mit dem Bau des neuen Brau- und Malzhauses auf der Brauerstraße. Es diente als Genossenschafts-Brauerei. Bekanntlich lag auf zahlreichen Stadtgrundstücken die Braugerechtigkeit, die jedem Grundstück nach einem genauen Maß, nach Ganzen, Halben, Vierteln und Achteln zugeteilt war. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit war mit der Sitte des Bierbrauens im eigenen Hause zumeist gebrochen worden. Die brauberechtigten Bürger ließen das Bier vielmehr in jenem Brauhause durch einen Braumeister herstellen und teilten sich alljährlich in den Gewinn. Später blieb von diesem sehr alten Braurecht nur noch die Schankerlaubnis übrig. So ist das alte Braurecht die Ursache dafür, dass noch heute eine große Anzahl von Häusern in der alten Stadt die Schankerlaubnis besitzt, während die Herstellung des beliebten Gerstensaftes bei der fortschreitenden Industrialisierung des Wirtschaftslebens immer mehr in die Hände großer Brauereien übergegangen ist.
Vor der Ernte des Jahres 1771 war die Teuerung so weit fortgeschritten, dass der Preis des Roggens auf das Doppelte gestiegen war. Eine Hungersnot bedrohte die ärmere Bevölkerung. Da ließ Friedrich der Große die staatlichen Magazine öffnen und gab an die Bedürftigen Mehl und Brot zu niedrigen Preisen ab, wobei jedem eine bestimmte Menge zugewiesen wurde. In langen Reihen drängten sich die Hungrigen damals zur Stadtwaage, wo die Ausgabe stattfand, nicht anders als in den Jahren nach dem verloren Weltkrieg. Eine gute Ernte ließ schließlich den Getreidepreis auf seinen alten Satz zurückfallen. Aufsehen erregte ein größerer Gelddiebstahl. Am 5. April 1772 wurden dem griechischen Kaufmann Pauli im Gasthofe „Zum schwarzen Adler“ am Ringe 5300 Floren gestohlen. Der Verdacht lenkte sich auf jüdische Händler, die durch die Stadt gezogen waren. Man setzte ihnen nach und nahm sie gefangen, das Geld wurde aber bei ihnen nicht gefunden. Am 16. September dieses Jahres ließ die katholische Gemeinde auf den Turm des Begräbniskirchleins vor dem Schweidnitzer Tore einen neuen Knopf aufsetzen.
Im Sommer 1773 wurde in Reichenbach das Regiment von Rossier neu aufgestellt. Es stand hier auch einige Zeit in Garnison und kam ein Jahr später nach Silberberg. Die Rekruten dieses Regiments wurden auf der Viehweide am Frankensteiner Tore vereidigt, wobei die Stadtgeistlichen beider christlichen Bekenntnisse Ansprachen hielten. Die Einquartierungslasten waren sehr drückend, denn die Truppenteile waren stets von dem Tross ihrer Weiber und Kinder begleitet und nahmen viele Wohnungen in Anspruch. Wegen dieser Lasten begaben sich gegen Ende des Jahres 1774 zwei Abgeordnete der Bürgerschaft zum Könige nach Berlin, um Erleichterungen zu erbitten. Unter dem Stadtpfarrer von Russig entwickelte sich die katholische Kirchgemeinde wieder kräftig. Im Jahre 1774 standen 45 protestantischen Taufen 61 katholische gegenüber. Trauungen und Sterbefälle hielten sich ungefähr das Gleichgewicht. Am 18. März 1775 wurde die Ausübung der Gerichtsbarkeit auf dem Grund und Boden der Malteserkommende dem Syndikus Streckenbach von der königlichen Kammer übertragen.
Von jeher galt nach den Überlieferungen des Mittelalters der Scharfrichter und dessen Familie als unehrbar. Jeder Umgang mit ihnen war verpönt und wurde als Verstoß gegen die gute Sitte bestraft. Dies musste auch in Reichenbach ein Soldat erfahren, der dem Scharfrichter bei häuslichen Arbeiten gutmütig geholfen hatte. Vor der Staupsäule auf dem Ringe wurde ihm Galgen und Rad auf den Rücken gebrannt, danach kam er drei Jahre auf Festungsarbeit nach Glatz. So geschehen zu Reichenbach am 11. Mai 1775, zu einer Zeit, da große und edle Geister bereits in allen Ländern der kultivierten Welt mit Wort und Schrift gegen die Barbarei eines sterbenden Zeitalters für ein neues, freies Menschentum den Kampf aufgenommen hatten, geschehen zu einer Zeit, da ein feingeistiger und aufgeklärter Herrscher schon seit mehr als 30 Jahren die Scheußlichkeiten der Folter in Preußen abgeschafft hatte! Aber die trägen Herzen der Menschen werden den neuen Ideen ihrer Zeit immer nur unter oftmaligen Hemmungen und Verirrungen nachhinken. Es bedurfte erst einer französischen Revolution, um durch ein Meer von Blut und Unrecht den Völkern den Weg zu einem neuen, besseren Menschentum zu weisen.
Die Volkszählung vom Jahre 1775 ergab 2727 Einwohner, von denen 1237 männlich und 1490 weiblich waren. 564 Personen mit dem Bürgerrecht befanden sich darunter. In den letzten 25 Jahren hatte die Stadt also seinen Zuwachs von etwa 600 Bewohnern erfahren. Die Weberei lebte wieder kräftig auf. Im Jahre 1776 verfertigten 95 Züchnermeister auf 126 Stühlen Barchent, Kanevas und baumwollene Leinwand. Mit der Zunahme des überseeischen Verkehrs breitete sich die Baumwollweberei stärker aus und verdrängte besonders die Kanevasverfertigung immer mehr. Am 22. Juli 1776 fiel über die Stadt ein solch starker Nebel, dass die Sonne nur noch als feuriger Ball und der Mond als blaurote Kugel zu sehen waren. Abergläubische Gemüter befürchteten ein großes Unheil, aber am anderen Tage strahlte die Sonne wieder glühend heiß herab wie zuvor, und der Mond goss sein mildes Silberlicht über Straßen und Dächer, über Gerechte und Ungerechte.
Das Feuerlöschwesen der Stadt war bisher recht dürftig geregelt gewesen. Hier schaffte das neue Feuerlöschgesetz Wandel. Es musste ein besonderer Feuerbürgermeister — heute nennen wir ihn Brandmeister — angestellt werden. Diesen Posten übernahm der Ratsherr Rinke. Im Sommer 1777 wurde schließlich eine Schlauchspritze, die erste dieser Art, in Reichenbach angeschafft. Sie kostete 400 Taler und wurde durch Gnadenfreier Fabrikanten geliefert. Bereits am 13. August trat sie bei einem durch Blitzschlag verursachten Brande erfolgreich in Tätigkeit. In diese Zeit fällt auch die Instandsetzung des katholischen Schulgebäudes, das recht baufällig geworden war. Die Kosten wurden durch freiwillige Spenden und Sammlungen in der Umgegend aufgebracht. Ferner schaffte die Schützengilde zwei neue Fahnen an und erweiterte das Schießhaus vor dem Breslauer Tore. Auf Anordnung der preußischen Regierung blieb dieses Gebäude von Steuern und Einquartierungen befreit.
Als Friedrich II. am 18. August 1777 durch die Stadt reiste, überreichten ihm mehrere Bürger Bittschriften, worin sie die Instandsetzung ihrer schadhaften oder verfallenen Häuser nachsuchten. Es wurde ihnen Hilfe für das folgende Jahr versprochen, aber am 18. Januar 1778 traf die Nachricht ein, dass wegen der drohenden Kriegsgefahr mit Österreich vorläufig aus dem Häuserbau nichts werden könne. Denn indessen hatten sich als Folge des bayerischen Erbfolgestreits drohende Kriegswolken über Preußen zusammengeballt und mit Sorge blickte alles in die nächste Zukunft. Große Bestürzung herrscht, als am 10. März eine Stafette den Mobilmachungsbefehl in die Stadt brachte, der alle beurlaubten Soldaten zu ihren Garnisonen zurückrief. Das bedeutete nichts Anderes, als dass der nun schon 66-jährige König noch einmal zu blutigem Waffengange gegen die Habsburger entschlossen war.
Noch einmal entwickelte sich in der Stadt ein bewegtes kriegerisches Leben. Am 4. und 5. April wurden drei Bäckermeister und fünf Gesellen nach Frankenstein und Schweidnitz abgefordert, um in den dortigen Feldbäckereien die Brote für die heranmarschierenden Armeen herzustellen. In den nächsten Tagen wurde in der Stadt die Pferdemusterung für den Kreis vorgenommen. Täglich durcheilten Meldereiter die Straßen. Am 11. April begann man mit der Anlage eines großen Proviantmagazines. Sämtliche freien Böden und Kammern wurden belegt und in die städtischen Scheunen große Mengen Stroh eingebracht. Sogar die Propsteikirche und das Begräbniskirchlein mussten als Stapelplätze für das Heu dienen, aber alle diese Räume reichten für die große Menge noch nicht aus, sodass auf der Viehweide neben dem Schießhaus ein mächtiges Strohmagazin angelegt werden musste.
Am 28. April traf, vom Hauptquartier in Schönwalde kommend, der Alte Fritz im Reisewagen in der Stadt ein und stieg im Hahnschen Hause am Ringe ab. Nach kurzer Rast ritt er mit seinem Stabe zum Schweidnitzer Tore hinaus, um vor der Stadt die heranmarschierenden Garderegimenter zu erwarten, die auf der Schweidnitzer Landstraße einrücken sollten. Das Gardekorps war aber noch nicht zur Stelle, deshalb besichtigte der König zunächst die Magazine. Inzwischen zog das Regiment von Braun in die Stadt und nahm auf dem Marktplatz Aufstellung. Schließlich meldete man das Heranrücken der erwarteten Regimenter.
Friedrich II. ritt abermals zur Stadt hinaus. In Eilmärschen befanden sich die Truppen inzwischen im Anmarsch. An der Straßenmühle erwartete sie der König. Stundenlang harrte er auf seinem Schimmel aus und ließ das Gardekorps an sich vorbeidefilieren. Im Rücken schon ein wenig von der Gicht gekrümmt, in der Faust den Krückstock, blitzte sein scharfes Auge über die endlosen Reihen, aus denen ihn das Antlitz so manches Waffengefährten von Kolin und Prag, Torgau und Leuthen aus guten und schlechten Tagen, grüßte. Und es war noch derselbe Jubel, der dem alternden Kriegshelden aus den Marschkolonnen entgegenhallte, wie einst nach den glorreichen Siegen der drei Schlesischen Kriege. Dann setzte sich Friedrich selbst an die Spitze der Regimenter und unter klingendem Spiel zogen sie in die Stadt hinein. Hier legten das 1. und 2. Gardebataillon im Hause des Königs die Fahnen nieder und bezogen bei der Bürgerschaft Quartier. Der übrige Teil des Korps verteilte sich auf die Umgegend. In Hebendorf und am Steinwege war eine Brigade Artillerie untergebracht. Inmitten seiner Generalität speiste der König sodann im Hahnschen Hause und reiste am folgenden Tage nach Schönwalde zurück.
Die nächsten Wochen gingen mit Truppenbewegungen dahin. Die Einquartierungslasten wurden sehr drückend, denn eine gewaltige Armee stand längs der schlesischen Grenze mit Gewehr bei Fuß, bereit, die Wortgefechte der Diplomaten mit Pulver und Blei zu beenden. Der Ring glich einem Kriegsarsenal. In dichten Reihen waren Kanonen und Pulverwagen aufgefahren, als sich am 15. Juni ein schweres Gewitter über der Stadt entlud. Ein Blitz fuhr in den Turm der Stadtpfarrkirche, glücklicherweise ohne zu zünden. Alles, selbst die schlachterprobten Soldaten, schwebte in Furcht, betete und sang geistliche Lieder. Erst gegen Abend wich das Unwetter über die Berge.
Am 26. Juni kam plötzlich der Befehl an die einquartierten Gardebataillone, scharf zu laden. Alles glaubte an einen Losbruch der Feindseligkeiten, aber es blieb ein blinder Alarm, und hieran änderte sich auch nichts, als am 4. Juli das Reservekorps durchmarschierte und näher an die böhmische Grenze rückte. Ein zweites Gewitter tobte am 19. Juli über der Stadt. Der Blitz schlug in den Rathausturm ein und zerstörte einige Balken. Die hohe Diplomatie logierte sich am 7. August in Reichenbachs Mauern ein. Im „Roten Hirsch“ wohnte der Kriegsminister Reichsgraf von Finkenstein, während der nachmals durch den Reichenbacher Kongress bekannt gewordene Außenminister Freiherr von Hertzberg bei der Kaufmannswitwe Blasgude zu Gast weilte. Am 12. August reisten sie zu Verhandlungen nach Braunau weiter. Diese zerschlugen sich jedoch, und die Diplomaten berührten die Stadt nochmals auf der Rückreise nach Berlin.
Der preußische König wurde des Ränkespiels der österreichischen Verhändler allmählich müde. Er befahl der Armee in Oberschlesien den Einmarsch in die Ländereien um Troppau und Jägerndorf. Teile der Armee setzten sich in dieser Richtung in Bewegung. Am 23. September zog Prinz Karl von Braunschweig mit 10 000 Mann durch Reichenbach. Ihm folgte am 16. Oktober Prinz Friedrich mit einem weiteren Korps. Zwei Tage später berührte der Alte Fritz die Stadt auf der Durchreise nach Neisse. Das Königsschießen fiel in diesem und dem folgenden Jahre wegen der Kriegsgefahr aus. Die ersparten Mittel wurden zum Schießhausbau bereitgestellt.
Es war am 6. Februar 1779, als Friedrich der Große zum letzten Mal inmitten seiner Armee in Reichenbachs Mauern weilte. Er selbst wohnte, wie schon einmal während der Schlesischen Kriege, im katholischen Pfarrhause, dessen Pfarrer von Russig sein besonderes Wohlwollen genoss. In des Königs Gefolge befanden sich zahlreiche Offiziere der hannoveranischen und dänischen Armee, ferner der Thronfolger Prinz Friedrich Wilhelm, der im Klinkenhaus wohnte.
Tags darauf drangen österreichische Soldatentrupps plündernd über das Hausdorfer Kreuz bis nach Ober-Peterswaldau vor. Sie wurden rasch vertrieben. Am 17. Februar verließ der Alte Fritz mit der Armee die Stadt und zog nach Silberberg. Reichenbach sollte seinen König nicht mehr wiedersehen.
„Ich werde an Euch denken, wenn der Friede zustande gebracht sein wird“, war sein Trost an die Bürgerschaft beim Scheiden. Und der Alte Fritz hielt sein Wort. In dem folgenden Jahr begann auf Staatskosten ein großzügiger Häuserbau, mit dem sich der König ein Denkmal in Stein gesetzt hat, von dem noch heute der „Schwarze Adler“ an der Ecke des früheren Gasthofes gleichen Namens am Ringe sichtbares Zeugnis ablegt.
Während des Frühjahrs lagen die Truppen untätig in ihren Quartieren. Ein Teil half den Bürgern bei den häuslichen Arbeiten, ein anderer bei der Feldbestellung. Endlich kam es am 10. Mai zum Waffenstillstand mit Österreich und am 22. Mai traf in der Stadt die ersehnte Friedenskunde ein. Jedermann war froh, und die Friedensfeier wurde am 30. Mai mit Musik und Böllerschießen festlich begangen. In den Sommermonaten erfuhr die katholische Stadtpfarrkirche eine gründliche Ausbesserung im Innern. Wohltäter stifteten bei dieser Gelegenheit einen Kreuzweg.
Über die Handhabung des Brauwesens waren unter den Brauberechtigten Unstimmigkeiten entstanden. In den letzten 40 Jahren hatte der Magistrat die Anstellung der Braumeister vorgenommen. Die königliche Kammer entschied am 16. Oktober, dass dieses Recht nach dem Braureglement den Brauberechtigten allein zustünde.
Nun begann in Reichenbach der Bau der in den Kriegen zerstörten oder verfallenen Häuser, deren im Ganzen 41 auf Staatskosten errichtet wurden. In den Jahren 1780/84 wurden erbaut: am Ringe 3, an der Karlsgasse und Tränkstraße (Trenkstraße) je 1, an der Breslauer-, Brauer-, Kloster- und Kirchstraße sowie an der Rudelsgasse je 3, an der Friedrichstraße 5, an der Schweidnitzer Straße 6 und an der Frankensteiner Straße 13 Häuser. Sie alle besaßen nur ein Stockwerk. Im Gebäude des heutigen Finanzamts, dem früheren Gasthof „Zum schwarzen Adler“, findet sich am Treppenaufgang noch eine schlichte Tafel, deren Inschrift verkündet: „Gracia magni Friderici II. sto aquila ego nigra tibi viatori requiescenti“ (übersetzt: „Durch die Gnade des großen Friedrich II. stehe ich da, der schwarze Adler, für Dich, den ruhenden Wanderer“).
Am 1. Mai 1781 verließ der Erzpriester von Russig seine Kirchgemeinde. Auf Verwendung des ihm wohlgesinnten Königs war er an die einträgliche Pfarrei in Patschkau berufen worden. Seine Stelle wurde dem Pfarrer Fromm aus dem Kreuzherrnstift St. Matthias zu Breslau übertragen. Feueralarm schreckte am 12. August die Bürger aus dem Schlaf. In einem Hause am Ringe war durch Unvorsichtigkeit eines Soldaten Feuer entstanden, das auf die Nachbargebäude, so auch auf den „Roten Hirsch“ übergriff. Es gelang schließlich, des Brandes Herr zu werden und ein Weitergreifen zu verhindern. Ohne große Ereignisse gingen die nächsten Jahre dahin. Die Webwarenfabrikation blühte kräftig auf. Eine Anordnung des Königs hatte die Orte des Webereidistrikts im Eulengebirge, unter ihnen auch die Stadt, von dem Kantonalsystem ausgenommen. Kein Reichenbacher Bürger war zum Heeresdienst verpflichtet. Auf jede Weise war die preußische Regierung bestrebt, Handel und Gewerbe zu fördern und die Textilindustrie leistungsfähig zu machen. Leider brachte der Sommer 1782 große Hitze ins Land. Da die Windmühlen stillstanden, musste das Mehl teilweise von auswärtigen Wassermühlen bezogen werden.
Im Januar 1783 starb der Malteserkommendator von Falkenhayn. Sein Nachfolger wurde der ehemalige Kapitän im Regiment von Braun, Ritter von Holly. Er war der letzte in der langen Reihe der städtischen Kommendatoren. Ein Soldat, der am 7. Juli gegen den Obersten von Owen mit dem Bajonett vorging, wurde von hier nach Glatz geschafft und dort hingerichtet.
Eine Zählung im Jahre 1784 ergab 436 Häuser in der Stadt, darunter 32 öffentliche Gebäude. Davon waren auf dem Ringe und in den vier Hauptstraßen die meisten massiv gebaut und teilweise schon mit Flachwerk gedeckt. In den Nebenstraßen befanden sich dagegen zahlreiche Wohngebäude in wesentlich schlechterem Bauzustande. Wüste Stellen gab es nur wenige. Die vorhandenen wurden als Ställe oder Schuppen benutzt. 2866 Einwohner wurden gezählt. Von den vorhandenen 22 Zünften war die der Züchner bei Weitem die stärkste. Sie zählte 118 Meister, die auf 140 Stühlen arbeiteten. Barchent und baumwollene Leinwand waren die wichtigsten Erzeugnisse, deren Menge aber schon damals hinter der Produktion der Fabrikdörfer Langenbielau und Peterswaldau zurückstand. Bäcker, Schuhmacher und Fleischer bildeten die drei nächstgrößten Innungen. Auf 205 Grundstücken ruhte das Braurecht. Das Brauhaus belieferte auch die ländliche Umgebung mit erheblichen Mengen Bieres. Die steuerlichen und sonstigen Einnahmen der Stadtkämmereikasse betrugen jährlich 5400 Taler.
Mit großer und anhaltender Kälte begann das Jahr 1785. Vom 18. Dezember des Vorjahres bis Mitte April war ununterbrochen Eisbahn, und alt und jung huldigte in dieser Zeit dem Eislauf auf den damals noch hölzernen Schlittschuhen. Als am 15. April Schneeschmelze eintrat, gab es ein Hochwasser, das die Vorwerke mehrere Tage von der Stadt abschnitt und die Brückenstege wegriss.
In panischem Schrecken eilte in der Nacht zum 27. Februar 1786 die Bürgerschaft aus den warmen Betten, als wenige Minuten nach 4 Uhr morgens ein Erdbeben die Häuser erzittern ließ und die Möbel ins Wanken brachte. Sogar das Gebälk mancher Häuser krachte und knackte. Der Erdstoß hatte die Richtung von Süden nach Norden und wurde im südöstlichen Stadtteil am stärksten wahrgenommen.
Pastor Pauly war am 28. Juni plötzlich gestorben. Bis zum Ende des Oktober blieb die Stelle unbesetzt. Ebenso schied der katholische Stadtpfarrer Fromm nach kurzem Wirken von Reichenbach. An seine Stelle rückte der Kaplan Galler. Hochwasser kam am 19. August über die Stadt, gleichsam als wollte das entfesselte Element Vorbote der Trauerkunde sein, die eine reitende Stafette an diesem Tage in die Stadt brachte: die Nachricht von dem am 17. August erfolgten Ableben des großen preußischen Königs. Tiefe und aufrichtige Trauer herrschte in allen Häusern. Die Geschäfte wurden sogleich geschlossen, denn jeder fühlte den Ernst dieser Botschaft, und bange Fragen um die Zukunft bewegten die Gemüter. Am Vormittage des 20. August formierte sich das in der Stadt liegende Bataillon auf dem Ringe, dumpfer Trommelwirbel ertönte, und die Glocken läuteten. Die Tore wurden geschlossen, und die Truppen leisteten dem neuen König Friedrich Wilhelm II. den Fahneneid.
Die Totenfeier für den unvergesslichen Monarchen fand in Reichenbach am 17. September statt. Unter Vorantritt des Magistrats und des Offizierskorps fand in beiden Kirchen ein Trauergottesdienst statt. Der für diesen Tag angesetzte Jahrmarkt wurde verschoben. Kurze Zeit später traf von Berlin die Nachricht ein, dass der große Friedrich noch vor seinem Tode bestimmt hatte, für den Bau einer massiven evangelischen Kirche in Reichenbach eine ansehnliche Summe bereit zu stellen. Die bei seinem Einzuge in die Stadt im Jahre 1741 gegebene Zusicherung war damit eingelöst. Unter seinem Nachfolger gelangte eine Teilsumme des bewilligten Betrages, und zwar in Höhe von 2133 Talern als Grundstock für das aufzubringende Baukapital zur Überweisung an die Kirchgemeinde. Wegen des Restes wurde diese mit Rücksicht auf die bevorstehenden kriegerischen Verwicklungen auf spätere Zeit vertröstet.
Dafür hatte die Stadt schon am 7. Oktober 1786 die Freude, den neuen Herrscher in ihren Mauern begrüßen zu können. Es wurde ihm ein festlicher Empfang bereitet. Die Einwohnerschaft, voran die Bürgergarde mit fliegenden Fahnen und mit Schärpen, zog ihm vor das Schweidnitzer Tor entgegen und bildete bis auf den Ring Spalier. Dort überreichte ihm eine Schar weißgekleideter Mädchen auf einem roten Atlaskissen ein Huldigungsgedicht. Der König dankte freundlich und reiste dann weiter.
Bei der am 15. Oktober in Breslau angesetzten Huldigung war die Stadt durch den Bürgermeister Christinecke, den Ratsherrn Rinke und den Syndikus Streckenbach vertreten. Soviel man von dem Nachfolger des großen Friedrich erwartet hatte, so wenig erfüllten sich diese Hoffnungen. Die Geschichtsschreibung urteilte später über ihn, dass er träge und liederlich gewesen sei und Preußen in der Entwicklung, die Friedrich II. angebahnt hatte, um ein großes Stück zurückgeworfen habe.
Die evangelische Pfarrgemeinde wählte den bisherigen zweiten Pastor Siegert zum ersten Geistlichen. Als zweiter Seelsorger wurde gegen Ende des Jahres der Pastor Tiede aus Steinseifersdorf berufen. Da das evangelische Bethaus den Ansprüchen schon seit Längerem nicht mehr genügte, erwies sich der Neubau einer Kirche als dringend notwendig. Ein eifriger Förderer dieser Sache war der seit 1782 in Reichenbach wohnhafte Steuereinnehmer und Kirchenrat Krüger. Er erwirkte ein zweites königliches Gnadengeschenk für den Baufonds, und auf seine Anregung kam es unter dem Vorsitz des Justizrats Struve aus Schweidnitz zur Wahl des künftigen Bauplatzes. Es entfielen auf den Klosterplan 172, auf den Burgplatz 62, den Judenplan 15 und auf einen Platz vor dem Breslauer Tore 6 Stimmen. Zu einer Einigung konnte man nicht kommen, und es vergingen noch mehrere Jahre, bis der Bauplan festere Gestalt gewann.
Im Jahre 1787 verlegte das Bataillon von Heucking seinen Standort von Reichenbach nach Glatz. Dafür traf das neu aufgestellte Bataillon grüner Füsiliere von Schmidthenner in der Stadt als Besatzung ein. Am 18. August dieses Jahres reiste König Friedrich Wilhelm II. erneut durch Reichenbach nach der Festung Silberberg.
Der Kaufmann Friedrich Sadebeck hatte inzwischen durch Fleiß und Eröffnung neuer Handelsverbindungen sein Geschäft beträchtlich erweitert und ein ansehnliches Vermögen erworben. Schon im Jahre 1774 hatte er vor dem Tränktore (Trenktore) eine Lederfabrik eingerichtet. Drei Jahre später nahm er vor dem Frankensteiner Tore das Lehngut in Bewirtschaftung. In der Nähe dieses Gutes erbaute er dann im Jahre 1787 eine Bleichanstalt, der er 1796 die Walke und 1798 das Hängehaus angliederte. Zuvor war noch im Jahre 1781 das Sadebecksche Stammhaus neu ausgebaut worden, das an der Ringecke der Breslauer Straße lag. Der große Festsaal sollte wenige Jahre später historische Bedeutung erlangen.
Das Dach der katholischen Stadtpfarrkirche benötigte dringend eine durchgreifende Instandsetzung. Da die Kirchgemeinde leistungsschwach war, wurde am 23. April 1788 die Erhebung einer besonderen Steuerumlage für die gesamte Bürgerschaft ausgeschieden, und gleichzeitig kamen beide christlichen Bekenntnisse dahin überein, sich auch künftig gegenseitig bei Bauarbeiten an den kirchlichen Gebäuden zu unterstützen. Die Protestanten halfen bei der Dachausbesserung mit, und die Katholiken fanden später beim Neubau der evangelischen Kirche Gelegenheit, dies zu vergelten. Noch vor dem Herbst war das neue Dach des katholischen Gotteshauses errichtet und mit Ziegeln eingedeckt, und am 12. September erfolgte die feierliche Aufsetzung des Knopfes und Malteserkreuzes auf das Dachtürmchen. Grimmige Kälte und wütendes Schneetreiben herrschten am Weihnachtstage, begleitet von einem lange anhaltenden Gewitter, sodass sich niemand auf die Straße wagte und mehrere Personen außerhalb der Stadt erfroren. Das Königsschießen fiel in diesem Jahre wegen der schlechten Wirtschaftsverhältnisse aus.
Pastor Siegert war zu Beginn des Jahres 1789 gestorben. An seiner Stelle wurde der Pastor Fuller aus Langenbielau gewählt und am 11. Oktober ins Amt feierlich eingesetzt. Beim Königsschießen gab der Schneidermeister Sieg den besten Schuss ab, ging aber der Königswürde verlustig, da sich herausstellte, dass er anstatt der zugelassenen drei Schüsse deren vier abgegeben hatte. König wurde der Schlossermeister Kuhnke.
Die kriegerischen Verwicklungen im Orient, wo Österreich und Russland im Kampfe mit der Türkei lagen, zogen in dieser Zeit immer weitere Kreise. Die übrigen Mächte, im Besonderen England und Holland, fürchteten für das europäische Gleichgewicht und trachteten, die Machtpläne der Habsburger zu durchkreuzen. Friedrich Wilhelm II. glaubte, nun die Gelegenheit gefunden zu haben, Preußens Ansprüche auf Gebietserweiterung in die Tat umzusetzen. Er schloss mit England und Holland Bündnisse und verließ damit schon am Anfang den von Friedrich dem Großen eingeschlagenen Weg, der das gleiche Ziel mit Hilfe des deutschen Fürstenbundes anstrebte, während es jetzt sein Nachfolger mit Unterstützung außerdeutscher Mächte zu erreichen suchte. Der König wurde in diesem Vorhaben durch seinen Minister Graf von Hertzberg bestärkt, der schon unter Friedrich II. die Außenpolitik Preußens geleitet hatte.
Der gewählte Zeitpunkt war nicht ungünstig. Der große Friedrich würde wahrscheinlich kurz entschlossen seine Bedingungen gestellt und ihnen notfalls mit seiner starken Armee den gehörigen Nachdruck verliehen haben. Friedrich Wilhelm II. und sein Minister gingen den Weg der Konferenzen. Sie schlossen außer mit England und Holland auch noch mit Polen und der Türkei Bündnisse ab. Es wurde vereinbart, dass Preußen für sein Eingreifen in die orientalischen Händel von den Polen die Ländereien von Danzig, Thorn, Posen und Kalisch, von Schweden den von diesen noch innegehaltenen Teil von Pommern erhalten sollte. Eine solche Veränderung der Landkarte war aber den Engländern unerwünscht. Die Verhandlungen zogen sich hin, ohne dass Österreich sich den preußischen Vorschlägen geneigt zeigte. Nun endlich entschloss sich Friedrich Wilhelm II., die Armee in Schlesien zusammenzuziehen und durch eine Kriegsdrohung das Haus Habsburg gefügiger zu machen. Während dieser Zeit starb der österreichische Kaiser Joseph II. Sein Nachfolger Leopold II. erkannte die Gefahr und befürchtete, dass sich die in Böhmen und Mähren unter Feldmarschall von Laudon stehende kaiserliche Armee gegen die starke preußische nicht werde behaupten können. Er machte dem preußischen König den Vorschlag, die Streitfrage auf einer Friedenskonferenz beizulegen, und Friedrich Wilhelm II. ging auf Anraten Hertzbergs darauf ein. Als Ort für diese Zusammenkunft wurde Reichenbach bestimmt.
In den Sommermonaten des Jahres 1790 sah die Stadt bald ein geschäftiges diplomatisches Treiben in ihren Mauern. Am 18. Juni traf Graf von Hertzberg in Begleitung anderer preußischer Verhändler ein. Ihnen folgten am 26. Juni die österreichischen Abgesandten, Fürst Heinrich XIV. von Reuß und Baron von Spielmann, und kurz danach der englische Gesandte Sir Edwart und der holländische Bevollmächtigte Baron b. Rheeden. Am 3. Juli kam schließlich noch Fürst Jablonowsky als Vertreter der Polnischen Republik an. Die Vorverhandlungen zwischen Preußen und Österreich begannen schon am 27. Juni, verliefen aber ohne Ergebnis. Die Konferenzen wurden danach unter Hinzuziehung der übrigen Gesandten fortgesetzt. Versammlungsort war der Festsaal des Sadebeckschen Hauses. Inzwischen fanden fast täglich Truppendurchmärsche durch Reichenbach statt. Der König selbst hatte sein Hauptquartier in Schönwalde aufgeschlagen und überließ die Führung der Verhandlungen seinem Minister. Die ständigen Einquartierungen und Lieferungen brachten der Einwohnerschaft viel Plage. Die hohe Diplomatie kam über nutzlose Vorschläge und Gegenvorschläge nicht hinaus, da jeder Staat stets nur seinen Vorteil suchte. So verstrich ein ganzer Monat, ohne dass die Verhandlungen auch nur einen Schritt vorwärtsgekommen waren. Schon fürchtete man, dass der Ausdruck der Feindseligkeiten unvermeidlich sei, da lenkte Österreich auf Vermittlung Englands schließlich ein.
In der Konferenz am 27. Juli 1790 nahm Österreich die preußischen Vorschläge an. Leopold II. erklärte sich bereit, mit der Türkei Frieden zu schließen und auf jede Gebietserweiterung in dieser Richtung zu verzichten. England und Preußen übernahmen die Bürgschaft für die Innehaltung dieser Verpflichtung. Der ganze Erfolg dieses Vertrages, den die Weltgeschichte als „Friedenskonferenz zu Reichenbach“ bezeichnet, glich dem des Hornberger Schießens: es kam keinem der Beteiligten etwas Greifbares heraus. Die Konferenz war nur ein Scheinerfolg der preußischen Diplomatie. Mit der Unterzeichnung des Reichenbacher Vertrages begrub Hertzberg seine so stolz aufgebauten Pläne. Österreich hatte Preußen überlistet. Das Haus Habsburg gewann noch einmal die Oberherrschaft über die innerdeutschen Verhältnisse, da der deutsche Fürstenbund sich von der schwankenden, unentschlossenen preußischen Staatsführung kein Heil versprach.
Dies alles lehrte aber erst die Zukunft. Der Scheinerfolg, besonders aber die Erhaltung des bedrohten Friedens, erfüllte damals die Einwohnerschaft der Stadt Reichenbach, in deren Mauern der Vertrag geschlossen war, mit Jubel und Stolz. Der Minister Graf von Hertzberg wurde von der Bürgerschaft stürmisch gefeiert. In dem Huldigungsgedicht, das dem Diplomaten bei der Festfeier am 8. August 1790 unter Glockengeläut und Dankliedern überreicht wurde, ist die historische Bedeutung für die Stadt wie folgt zum Ausdruck gebracht:
„Du lebst heut unter uns. Dir weih’
der treue Bürger sich. Zogst Du nicht aus dem Staube
den Namen Reichenbach? — Nun nicht mehr unbekannt,
Nicht der Vergessenheit zum Raube
Nennt ihn die Nachwelt, trägt ihn über Meer und Land!“
Eine Illumination beschloss den festlichen Tag. Später wurde auch noch eine Denkmünze zur Erinnerung an den Kongress zu Reichenbach geschlagen. Der Kongress-Saal wurde von der Familie Sadebeck und deren Besitznachfolgern als historische Stätte in seinem damaligen Zustande bis in unsere Zeit erhalten. Der prächtige Saal bildet noch heute eine Sehenswürdigkeit des Hauses Ring Nr. 51.
Die nächsten Wochen vergingen mit dem Abmarsch der Armee in ihre Garnisonorte. Das Dragonerregiment von Schmettau verließ als letzter Truppenteil am 7. Oktober die Stadt. Nun kehrte das Getriebe des Alltags allmählich wieder in ihre Mauern zurück. Im Dezember 1790 versammelten sich die Müllermeister aus dem Kreise im Gasthof „Zum schwarzen Adler“ und beschlossen die Erfindung einer besonderen Innung. Am 15. März 1791 hielten 75 Meister ihr erstes Quartal ab. In der Nacht vom 13. zum 14. Januar dieses Jahres wurde vor der Hauptwache auf dem Ringe ein neuer Galgen aufgerichtet. Der Name seines Erbauers wurde geheim gehalten, ein Zeichen, dass die neuzeitlichen Anschauungen des Humanismus in der Bevölkerung langsam Boden gewannen, sodass es der Behörde geboten erschien, die Erneuerung dieses mittelalterlichen Strafwerkzeugs ohne Aufsehen vorzunehmen. Am 24. Juni hatte ein Soldat des in der Stadt einquartierten Bataillons Schulz eine alte Frau im Jähzorn erschlagen. Er wurde am 30. August durch den Reichenbacher Scharfrichter Schreiner geköpft und danach aufs Rad geflochten. Im Frühjahr hatte man Versuche mit Seidenraupenzucht durch Anpflanzung von Maulbeersträuchern aufgenommen. Der Erfolg befriedigte jedoch auf die Dauer nicht. Die evangelische Gemeinde feierte am 20. Juni ihr fünfzigjähriges Wiederbestehen. Pastor Tiede hielt die Festrede. Erwähnenswert aus diesem Jahre sind noch Bernsteinfunde, die in der Grube der städtischen Ziegelei vor dem Frankensteiner Tore gemacht wurden. Ebenso fand man bei Vertiefung des kleinen Teiches an der Viehweide in der gleichen Vorstadt eine eigenartig geformte Meermuschel, deren gewundene Spitzen ein Kreuz bildeten. Das seltene Stück wurde zu einem Tintenfass für das Rathaus verarbeitet.
Im Jahre 1792 wandte man der Verbesserung der Armenpflege die besondere Sorge zu. In dem städtischen Marstall am Klosterplan wurde ein Armenasyl eingerichtet, über dessen Verwaltung ein Ratsherr die Aufsicht ausübte. Die Schützengilde führte eine einheitliche Uniformierung ein und schaffte die bei ihren Festzügen bisher üblich gewesenen Maskeraden und Weibertänze ab. Den Bemühungen der evangelischen Kirchgemeinde war es im Oktober 1793 endlich gelungen, den Bau des neuen Gotteshauses in Fluss zu bringen. Ein besonderes Verdienst erwarb sich der Bürger Christian Böhme, auf dessen Gesuch von der königlichen Kammer am 6. November zwei Kommissare zur Wahl des Bauplatzes eintrafen. Sie fiel auf den Burgplatz am Schweidnitzer Tore. Daraufhin traf am 23. Januar 1795 die Genehmigung zum Bau der Kirche mit Turm und Geläut ein, von den Protestanten mit Jubel begrüßt. Die Burggebäude und der Platz wurden nun durch die Kirchgemeinde für 4000 Taler von dem Besitzer von Falkenhayn in Neusalz gekauft. Am 26. März erfolgte die Übergabe.
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Der Kongress-Saal von 1790, Stammhaus der
Familie Sadebeck, Ring Nr. 51 |
Bald darauf ging man an den Abbruch. Es blieb nur das große Wohnhaus stehen, in dem man später die evangelische Schule einrichtete. Am 8. Juni begann man, einen Teil der Totenschanze abzutragen, auf dem der neue Kirchhof angelegt wurde. Die Erdarbeiten erfolgten durch freiwillige Handdienste der Eingepfarrten aus Stadt und Land. An manchen Tagen waren bis zu 150 Menschen dabei beschäftigt. Auch viele katholische Einwohner der Stadt halfen bereitwillig mit, sodass die Arbeit nach vier Wochen beendet war. Die feierliche Grundsteinlegung wurde am 25. September vorgenommen. Der Grundstein befindet sich unter dem Altar. Am gleichen Tage erfolgte die Einweihung des Friedhofes. Der Herbst verging mit der Anfuhr des Baumaterials. 300 000 Ziegel wurden zu diesem Zwecke herangeschafft. Bis zum Ende des Oktober waren die Grundmauern ein gutes Stück hochgebracht, dann zwang der eintretende Frost zur Einstellung des Baues. Im Sommer des Jahres 1796 waren die Maurerarbeiten soweit gediehen, dass am 28. September mit der Hebung des Dachgerüstes begonnen werden konnte. Die Dachkrone wurde am 20. Oktober feierlich aufgesetzt. Daran schloss sich die vorläufige Eindeckung des Baues für den kommenden Winter. Im Jahre 1797 sollte endlich das stattliche Gotteshaus, dessen Bauformen auf Vorentwürfe von Langhans, dem Schöpfer des Brandenburger Tores, zurückzuführen sind, seiner Vollendung entgegengehen. Am 14. Juli wurde das Gebälk zum Kirchturm gehoben. Stürme erschwerten die Arbeit sehr, dennoch konnte schon am 9. August die Helmstange eingesetzt werden. Die Aufbringung von Knopf, Fahne und Stern erfolgte unter kirchlichen Feierlichkeiten am 29. August. Der Aufzug der drei Glocken war schon am 17. Juli geschehen. Die größte Glocke wiegt über 33 Zentner. Alle drei Glocken sind mit sinnreichen, frommen Sprüchen versehen. Sie läuteten bereits am 18. Juli beim Begräbnis des katholischen Schuhmachers Schwenderling zum ersten Mal. Der gesamte Bau kostete 53 113 Taler. Die Bauausführung lag in der bewährten Hand des Freiburger Kirchenbaumeisters Gärtner. Die feierliche Einweihung des Gotteshauses erfolgte am 26. September 1797 unter Anteilnahme der gesamten Bevölkerung. Von nun an gaben die etwa gleich hohen Türme der beiden großen Pfarrkirchen zusammen mit dem mitten zwischen ihnen aufragenden gedrungenen Rathausturm der Silhouette der Stadt ein neues, eindrucksvolles Gepräge.
Aus den Jahren des Kirchenbaues, der hier zusammenhängend geschildert wurde, sind noch einige wichtigere Ereignisse nachzutragen. Im Jahre 1794 hatte die Schützengilde beschlossen, die Linden vor dem Schießhause zu beseitigen, den gegenüberliegenden Kretscham anzukaufen und von der Stadt aus eine Promenade bis dahin anzulegen. Der Reichenbacher Stadtkommandant und der Magistrat erhoben jedoch gegen diesen Plan Einwände, sodass er unausgeführt blieb. Um die Mittel für die städtische Armenpflege zu verstärken, verpachtete die Stadt im Jahre 1796 Teile der Viehweide vor dem Frankensteiner Tore, die später durch Verkauf endgültig in fremde Hand überging. Es entstanden die heute in diesem Stadtteil noch vorhandenen Kräutereien. Den Schützen lag nach altem Recht die Pflicht ob, die Rekrutentransporte auszuführen. Im Jahre 1797 entwischte ihnen hierbei ein Rekrut. Die Folgen waren recht schlimm. Es entstanden für diesen Deserteur solche Kosten, dass die Barmittel zur Abhaltung des Königsschießens fehlten und es in diesem Jahre ausfallen musste. Die neue evangelische Schule neben der Kirche wurde am 26. Oktober 1798 feierlich eingeweiht. Die Einwohnerzahl war am Ende dieses Jahres auf 3143 gestiegen. Unter den mehr als 400 Gebäuden der Stadt waren 34 öffentliche. Außerdem wurden im städtischen Anteil von Ernsdorf 95 Feuerstellen gezählt. Bürgermeister Christinecke starb am 17. April 1799, und an seiner Stelle wurde sein bisheriger Stellvertreter, namens Schlegel, berufen. Der Lederhändler Felgenhauer hatte im Jahre 1794 auf seinem Ringhause am Eingang zur Klosterstraße eine Sternwarte errichten lassen, und am 17. Mai 1799 beobachtete der Astronom von Lindener auf ihr den Vorübergang des Merkur vor der Sonnenscheibe. Die Sternwarte bestand nach einer Schilderung in den Schlesischen Provinzblättern vom Jahre 1802 aus einem turmartigen Aufbau, dessen vier Fenster genau nach den Himmelsrichtungen zeigten. In der Mitte der Decke befand sich eine große Schiffsrose mit den 64 Windrichtungen, an der sich ein beweglicher Zeiger befand. Dieser war durch eine sinnreiche Vorrichtung mit dem Wetterglas über dem Dache in Verbindung gebracht und zeigte so jede kleinste Veränderung an. Die Ausrüstung dieses Observatoriums bestand aus einem Teleskop mit dreizölligem Objektiv, aus einem Quadranten, einem Sextanten, einer Himmels- und einer Erdkugel und aus sonstigen kleineren astronomischen Geräten. Felgenhauer, der sich durch eigenen Fleiß vom einfachen Lohgerber zu einem angesehenen Lederkaufmann emporarbeitete, hatte sich durch Selbstunterricht beachtliche astronomische Kenntnisse angeeignet.
Im Jahre 1797 war Friedrich Wilhelm III. auf Preußens Thron gelangt. Wie seine beiden Vorgänger stattete auch er der Stadt seinen Besuch ab. Am 20. August 1800 reiste er mit seinem Bruder Prinz Heinrich durch Reichenbach zu dem bei Neisse stattfindenden Manöver und wurde feierlich in der Stadt empfangen. Am nächsten Tage folgte ihm in einem besonderen Reisewagen seine Gemahlin, die Königin Luise. Die Bürgerschaft bildete ihr Spalier, eine Musikapelle schmetterte Begrüßungsweisen und der Magistrat bewillkommnete die junge Herrscherin ehrerbietig. Zwölf weißgekleidete Mädchen überreichten ein Huldigungsgedicht und sangen es mit Musikbegleitung.
Hier, an der Wende zu dem neuen Jahrhundert der Maschine, verlohnt sich ein Rückblick auf die Entwicklung der heimatlichen Webwarenherstellung in den verflossenen Jahrzehnten. Der erste Reichenbacher Industrielle von größerem Ruf war zu Anfang des 18. Jahrhunderts der Kaufmann Benjamin Arlt gewesen. Er beschäftigte zahlreiche Hausweber in der Stadt und in den Dörfern des Kreises. Sein Sohn, Johann Arlt, der im Jahre 1734 die Firma übernahm, vergrößerte das Geschäft, besonders aber die Ausfuhr der Erzeugnisse bedeutend. Im Jahre 1716 führte er die Herstellung der sogenannten Zeugmacherwaren ein und stellte auch die ersten Kalander auf. Diesem Verfahren schlossen sich bald die übrigen Fabrikanten an.
Ebensolcher Unternehmungsgeist beseelte den bereits erwähnten Kaufmann Friedrich Sadebeck. Es ist der Bedeutung dieses namhaftesten aller Reichenbacher Industriellen angemessen, wenn sein Lebensweck an dieser Stelle kurz umrissen wird. Als Sohn eines in der Stadt ansässig gewordenen Weißgerbers verfügte Friedrich Sadebeck anfangs nur über ein bescheidenes Vermögen, besaß aber einen vortrefflichen Blick für die Zeitbedürfnisse und einen mit Klugheit gepaarten Unternehmungsgeist. Er betrieb anfangs den damals ertragreichen Tauschhandel in der Fachsprache meist Rasch-Handel genannt. Wie Arlt strebte auch Sadebeck die Großausfuhr in andere europäische Staaten an. Im Jahre 1770 reiste er nach Wien, wo er Leder gegen Juchte, Röte und Tran eintauschte. Ein Jahr später eröffnete ihm eine mit dem griechischen Handelsherrn Liotto Poliso angeknüpfte Geschäftsverbindung neue Bezugsquellen für echt türkisch-rote Garne und türkische Baumwolle. Mit Hilfe seines griechischen Geschäftsfreundes brachte er die Einfuhr der mazedonischen Baumwolle, ihre Verarbeitung und den Versand der Fertigwaren fast ausschließlich in seine Hand. Er vermehrte die eigene Fabrikation der sogenannten Cottonade Gall (halb baumwollenes, halb leinenes, rot und blau gestreiftes Zeug), wofür er besonders in Polen ein so einträgliches Absatzgebiet fand, dass die Reichenbacher Züchner den Bedarf nicht befriedigen konnten. Rasch verbreitete sich die Herstellung dieser Zeuge weit über das Reichenbacher Gebiet hinaus. Im Jahre 1788 wurden 80 000 Stück davon gewebt. Seine Ausgeber kamen aus der Grafschaft Glatz, vom Bistumslande, von Ohlau, Nimptsch und Strehlen her. Seit 1798 spannen auch die polnischen Soldaten in Warschau für ihn. Für die eingeführte Baumwolle und das ausländische Garn erwirkte er sich Zollfreiheit. Bis zu 7600 Menschen arbeiteten zeitweilig für das mächtige Unternehmen dieses einzelnen Mannes. In seinen Betrieben wurde bereits die neu aufgekommene Steinkohle verwendet. Daneben wurden von den Reichenbacher Textilfabrikanten noch hergestellt: allerlei Tuche, Barchent, Züchen, Kattun, rohe, gebleichte und gedruckte Leinwand, halbseidene Tücher und in geringen Mengen auch noch Kanevas. So vollzog Sadebeck innerhalb weniger Jahre den Sieg der Baumwolle über die Flachsfaser und die Schafswolle und lenkte damit den ganzen Industriezweig gewissermaßen in neue Bahnen.
Einen Höhepunkt erreichte die Produktion dieser Waren im Jahre 1793 mit 177 465 Stück im Werte von 998 590 Talern, wovon auf die Ausfuhr ins Ausland 84 066 Stück entfielen. Der Staatskasse flossen an Zoll dafür 298 652 Taler zu. In den folgenden Jahren ging der Absatz und dementsprechend die Erzeugung infolge der unruhigen außenpolitischen Verhältnisse zurück. Im Jahre 1800 wurden 137 297 Stück im Werte von 961 060 Talern hergestellt, 69 474 Stück ausgeführt und an Zöllen 272 808 Taler der Staatskasse eingebracht. Es war kein Wunder, dass die Regierung diese rasch aufgeblühte Industrie, welche die Staatsfinanzen so beträchtlich stärkte und den Wohlstand des Landes hob, nach Kräften begünstigte. Zu den wichtigsten Vorrechten des Reichenbacher Fabrikationsgebietes gehörte die bereits erwähnte Befreiung vom Kantonalsystem.
Welchen Umfang die Betriebe Friedrich Sadebecks angenommen hatten, geht am besten daraus hervor, dass er im Jahre 1800 allein im Reichenbacher Gebiet auf 860 Webstühlen 1500 Arbeiter beschäftigen konnte. Die übrigen städtischen Kaufleute unterhielten zusammen 530 Stühle mit 1264 Webern. Bei einer solchen Menge von Arbeitskräften, deren Erwerbsmöglichkeiten von einem glatten und ständig steigenden Warenabsatz in stärkstem Maße abhängig waren, musste sich bei den damals noch gänzlich fehlenden sozialen Einrichtungen jede ungünstige Wendung auf dem Textilmarkt rasch in härtester Form und in einem Ausmaß auswirken, dem Fabrikanten wie öffentliche Fürsorge nicht gewachsen sein konnten. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts blieben schwere, wirtschaftliche Erschütterungen dem Reichenbacher Webereidistrikt nicht erspart. Die in den Napoleonischen Kriegen eingetretene Geldentwertung in Verbindung mit der Kontinentalspeere verschlechterte auch das Riesenunternehmen Sadebecks auf das Schwerste. Das neue Maschinenzeitalter machte dann der alten Haus- und Handweberei, auf der sich das Werk des großen Industriellen noch aufbaute, vollends den Garaus. Mangelnder Verdienst, als Folge Hunger und Verelendung der Weberbevölkerung, führte wenige Jahrzehnte später, erst vereinzelt, dann immer häufiger, zu Unruhen und schließlich zu dem durch Geschichte und Literatur weltbekannt gewordenen Weberaufstand von anno 1844.
Vorerst, an der Wende des 18. und 19. Jahrhunderts, waren noch keine Vorzeichen hiervon zu verspüren. Und als sich mit dem 31. Dezember 1800 der letzte Tag dieses geschichtlich so ereignisreichen Zeitabschnittes zum Ende neigte, erstrahlten Kirchen, Häuser und Hütten in festlichem Lichterglanz. Feierlich erklangen geistliche Abschiedslieder, deren schönste hier wiedergegeben sei:
Des scheidenden Jahrhunderts heil’ge Abschiedsstunde
Schlägt bald an unser horchend Ohr;
Zu Dir, Allgütiger, steigt jetzt aus unserem Munde
Des Dankes Lobgesang empor.
Für Deine Vaterhuld, für Deines Reichtums Segen
Sei Dir des Staubes Dank geweiht;
O, führe sicher auf des Lebens Dornenwegen
Uns durch die kurze Prüfungszeit.
Und wenn wir einst aus diesem armen Erdenleben
Zu Dir hinüber schlummernd ge’hn,
So lasse Deine Vaterhand uns sanft umschweben,
So lass uns fröhlich aufersteh’n
Als die Turmuhr Mitternacht verkündete, ließen sämtliche Glocken beider Kirchen ihre ehernen Stimmen erschallen und in andächtigem Gebet gedachte jeder der Vergangenheit und der Zukunft. Dann füllten sich Marktplatz und Straßen mit festlich und fröhlich gestimmten Menschen, Gesundheiten wurden ausgebracht, schmetternde Musik begrüßte das neue Jahrhundert, und als die Morgensonne ihre ersten Strahlen herniedersandte, erklang vom Turm der katholischen Stadtpfarrkirche das Lied:
Sei feierlich gegrüßt, Du erste Morgensonne,
Im neuen Zeitlauf hold und hehr;
Es ströme neuer Segen, neue Lebenswonne
Auf uns aus Deinem Feuermeer.
So wie dereinst am großen Auferstehungsmorgen
Freu’n heute wir uns Deines Lichts;
O Du, von dem die Sonnen ihren Glanz erborgen,
Du zogst die Welten aus dem Nichts.
Unendlicher! Du, den Äonen nicht erreichen,
Du Herr der Zeit und Ewigkeit,
Vor dem Jahrhunderte dem Augenblicke gleichen —
Dir, Dir sei unser Dank geweiht.
Dein Hauch beseelte uns zu diesem Erdenleben,
Du ließest diesen Tag uns seh’n,
Uns wird dereinst ein unvergänglich Licht umschweben,
Wenn wir zum Urquell übegeh’n.
So feierte Reichenbach den Übergang in das neue Jahrhundert.
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