sobota, 5 kwietnia 2025

Erich Hasse → "Chronik der Stadt Reichenbach im Eulengebirge" (1929) → Teil 15 von 16 → "Rückblick und Ausblick"

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15. Abschnitt.

Rückblick und Ausblick

Aus dem Jahre 1250 ist uns die erste, geschichtlich sichere Kunde von der deutschen Stadt Reichenbach zuteilgeworden, und sieben Jahrhunderte ihrer Geschichte sind auf diesen Blättern an unsrem geistigen Auge vorübergezogen, ein Spiegelbild deutschen Werdens und Wesens, ein Stück deutscher Vergangenheit. Die Zeit eilt rastlos weiter. Schon trennt uns heute mehr als ein volles Jahrzehnt von dem gewaltigen Erlebnis des Weltkrieges. In 22 Jahren wird man die 700-Jahrfeier Reichenbachs begangen haben, wenn es nicht gar emsiger, neuer Forschung in der Zwischenzeit gelungen ist, das wirkliche Gründungsjahr der Stadt oder wenigstens ein früheres, geschichtliches Datum festzustellen.

Uns, den heute Lebenden und Schaffenden, ist nur eine kurze Spanne des Wirkens gegeben. Die Heimatstadt, der Ort, wo wir unsere Kindheit verbrachten, wo wir später unseres Lebens Inhalt und Erfüllung fanden, wird uns, wie so viele Generationen vorher, überdauern. Neue Geschlechter werden den Platz der vergangenen einnehmen. Neue Aufgaben und Ziele erwarten sie. Für die jetzige und für die kommende Generation ist diese Geschichte der Stadt Reichenbach geschrieben worden, ein vergängliches und unvollkommenes Menschenwerk. Doch wie man am Ende jeden Werkes eine Weile innehält, es noch einmal betrachtet und sodann den Blick in die dunkel ausgebreitete Zukunft lenkt, so soll auch diese Chronik mit einem Rückblick und Ausblick beschlossen sein. Öfter, als es sonst in der vorliegenden Arbeit zur Anwendung kam, müssen dabei zahlenmäßige Angaben den Fluss der Erzählung unterbrechen, Markzeichen am Ende eines langen Weges, den der Leser dieser Stadtgeschichte mit dem Verfasser wanderte.

Groß waren, wie schon an anderer Stelle dargelegt worden ist, die Lücken, die der Weltkrieg und seine Folgen in die Bevölkerung gerissen hatten. Kurz vor dem Kriege zählte Reichenbach nahezu 17 000 Einwohner. Diese Zahl erreichte 1919 ihren Tiefststand mit 15 435 Seelen. Heute ist mit 16 855 Einwohnern der Vorkriegsstand nahezu wieder gewonnen. Hiervon gehören 10 707 Bewohner dem evangelischen und 5100 dem katholischen Bekenntnis an. Außerdem wurden 8350 Angehörige der bekenntnisfreien Richtung, 67 sonstige Christen, 53 Katholisch-Apostolische, 50 Juden und 28 Adventisten gezählt.

Die gegenwärtige politische Zerklüftung des deutschen Volkes spiegelt sich auch in der wahlfähigen Bürgerschaft Reichenbachs getreulich wieder. Bei der letzten Reichstagswahl am 20. Mai 1928 verteilten sich die abgegebenen Stimmen auf die größeren Parteien wie folgt:

 

Sozialdemokratische Partei: 3701

Deutschnationale Volkspartei: 2066

Zentrum: 1573

Deutsche Volkspartei: 706

Kommunistische Partei: 405

Wirtschaftspartei des Mittelstandes: 368

Deutschsoziale Partei: 362

Deutsche Demokratische Partei: 176

 

Rechnet man zu den Parteien der Linken die Sozialdemokraten und Kommunisten, alle übrigen Parteien dagegen zu der allgemeinen, bürgerlichen Richtung der Vorkriegszeit, so ergibt sich, dass den 4106 Stimmen der Linken 5251 Stimmen der Bürgerlichen gegenüberstehen; doch hat sich dieses Bild im Verlaufe der gemeindlichen Wahlen und bei wichtigen Entschließungen der städtischen Körperschaften mehrfach nach der einen oder anderen Seite hin verschoben, so dass gegenwärtig von einer beständigen Mehrheit innerhalb des Stadtparlaments nicht gesprochen werden kann. Wie schon vor Jahrzehnten ist aber auch jetzt die Bevölkerung in überwiegender Zahl liberalen und demokratischen Anschauungen zugeneigt.

Wie jedes andere Gemeinwesen gleicher Art und Größe hat auch die Stadt Reichenbach heute größere kommunale Aufgaben zu erfüllen, als dies in den Zeiten vor dem Kriege der Fall war. Deshalb kann es nicht verwundern, dass die Ausgaben, besonders solche für soziale Zwecke, sich bedeutend vermehrt haben. Da die Stadt nur über unbeträchtlichen eigenen Grundbesitz und ebenso über keine nennenswerten Einnahmequellen ähnlichen Ursprungs verfügt, ist die Tatsache erklärlich, dass die öffentlichen Lasten eine erhebliche Steigerung erfahren haben. Es werden gegenwärtig an steuerlichen Zuschlägen erhoben: 240 Prozent zur Grundvermögensteuer, 740 Prozent zur Steuer vom Gewerbeertrag und 2000 Prozent zur Steuer vom Gewerbekapital. Hierzu treten noch die Zuschläge zur Betriebs- und Zweigstellensteuer mit 148 Prozent vom Gewerbeertrag und 400 Prozent vom Gewerbekapital. Der Gesamthaushaltsplan der Stadt für das Rechnungsjahr 1928/29 schließt in Einnahme und Ausgabe mit 2 900 000 Reichsmark ab. Davon müssen 857 000 Mark durch Steuerzuschläge gedeckt werden. Im Durchschnitt entfallen auf den Kopf der Bevölkerung 51,15 Mark Gemeindesteuern im Jahr. Die Stadt besitzt ein Vermögen von 5 585 000 Mark, denen Schulden in Höhe von 2 583 000 Mark gegenüberstehen, sodass ein Reinvermögen von 3 020 009 Mark verbleibt.

Von den gemeindlichen Ausgaben sind folgende die wichtigsten und größten: Die Unterhaltung des städtischen Schulwesens kostet die stattliche Summe von 353 000 Mark, wovon 230 000 Mark auf die Volksschulen, 86 060 Mark auf das Oberlyzeum und 27 000 Mark auf die Berufs- und Fachschulen, entfallen. Der Verwaltungsapparat der Stadt hat sich gegen die Vorkriegszeit erheblich vermehrt. Die Ausgaben für die Besoldung der städtischen Beamten, Angestellten und Arbeiter einschließlich der Ruhegehälter betragen gegenwärtig 454 000 Mark. Die sächlichen Kosten der Verwaltung belaufen sich auf etwa 40 000 Mark. Für die Unterhaltung der Straßen werden 54 000 Mark benötigt, für ihre Bereinigung 19 000 Mark und für die Beleuchtung 27 000 Mark. Der Betrieb der Kläranlage und Kanalisation verursacht Ausgaben von rund 25 000 Mark.

Erheblich sind auch die Aufwendungen für das gut ausgebildete Polizeiwesen. Sie betragen 122 000 Mark. Für das Feuerlöschwesen werden 12 000 Mark aufgewendet. Zur Unterhaltung und Unterstützung von Einrichtungen zur Pflege von Kunst und Wissenschaft kann die Stadt wegen der ungünstigen Wirtschaftslage gegenwärtig nur etwa 7 300 Mark beitragen, die sich in der Hauptsache auf die Volksbücherei, die Lesehalle und das Heimatmuseum, sowie auf Beihilfen für das Musik- und Theaterwesen verteilen. Verhältnismäßig hoch sind die Ausgaben für Wohlfahrtszwecke. Sie erfordern eine Summe von 182 000 Mark, wovon der größte Teil auf soziale Unterstützungen und Anstalten entfällt. Die Schuldentilgung beansprucht rund 110 000 Mark und weist eine erhebliche Steigerung auf, weil die Stadt das bemerkenswerte Bestreben zeigt, sich von den mehrfach aufgenommenen Anleihen so schnell als möglich frei zu machen. Schließlich müssen noch an Kreissteuern 175 000 Mark von der Stadt geleistet werden.

Gegenüber diesen Ausgaben sind die eigenen Einnahmequellen Reichenbachs verhältnismäßig beschränkt. Sie bestehen in erster Reihe aus den Überschüssen der Sparkasse, der Betriebswerke und aus der Nutznießung der Grundstücke. Hierzu treten die gesetzlichen Anteile der Stadt aus der Reichseinkommensteuer und Körperschaftssteuer. Die hier geschilderten Verhältnisse zwingen die Stadtverwaltung gegenwärtig zu größter Sparsamkeit und zur Beschränkung auf die allernotwendigsten Ausgaben. Im Vergleich zu mancher anderen Provinzstadt kann Reichenbach trotz seines auf Wohlhabenheit hindeutenden Namens nicht als reich bezeichnet werden, denn seine finanzielle Lage ist angespannt und, wie dies allgemein im deutschen Vaterlande zur Zeiterscheinung geworden ist, die wirtschaftliche Not und die Unsicherheit der Lebensbedingungen lasten schwer auf jedermann. Auf dem Gewerbefleiß ihrer Bürger, auf der Betriebsamkeit und auf dem Warenabsatz ihrer Industrie beruht in erster Reihe auch die finanzielle Zukunft der ganzen Stadt.

Von dieser Zukunft wird es abhängen, ob alle Bedürfnisse und Probleme, die in einem so großen Gemeinwesen, wie es eine Stadt von nahezu 17 000 Einwohnern darstellt, aus der Entwicklung der Zeit sich zu Aufgaben und Zielen formen, einst ihre Verwirklichung finden können. Ohne diese Frage erschöpfend zu behandeln, seien einige der wichtigsten und für das Volkswohl bedeutendsten Probleme am Schlusse dieser Chronik kurz gestreift.

Da ist mit an erster Stelle die Schaffung einer kürzeren Bahnverbindung nach Breslau und zum Neuroder Kohlengebiet zu nennen. Der Plan einer Bahnlinie von Neurode durch das Eulengebirge über Reichenbach nach Heidersdorf mit dem Anschluss an die schon bestehende Strecke Gnadenfrei—Breslau ist schon Jahrzehnte alt. Seine Verwirklichung ist trotz heißer Bemühungen bisher an der Höhe der Kosten gescheitert. Möge die Zeit nicht mehr allzu fern sein, in der die Stadt diese langersehnte Verkehrsverbindung erhält! Nicht minder dringlich sind in den letzten Jahren eine Verbesserung der Abwasserklärung und die Regulierung der Peile geworden. Die Klagen über die Verschmutzung des Wassers durch die Fabrikabwässer sind leider durchaus berechtigt. Wirksame Hilfe wird nur eine Regulierung des Flusses bringen, die gleichzeitig einen ausreichenden Hochwasserschutz gewährt. Erfreulicherweise sind Vorarbeiten zur Eindeichung eines Teiles der Peile im Stadtgebiet bereits im Gange. Auch mit der Aufstellung eines Regulierungsplanes ist inzwischen begonnen worden. In der langgestreckten Niederstadt sind die Wegeverhältnisse gegen früher zwar wesentlich verbessert worden, sie lassen aber auf den Nebenstraßen und den Quergassen noch manchen Wunsch offen. Umso erfreulicher ist das Bild im Straßennetz des zur Niederstadt gehörigen neuen Wohnviertels in der Schweidnitzer Vorstadt. Um ein Vielfaches hat sich heute der Verkehr in der Stadt gesteigert. Reihenweise hasten die Kraftfahrzeuge und Fuhrwerke täglich auf dem Ringe, unablässig strömen Menschen und Verkehrsmittel durch die längst zu schmal gewordenen Hauptstraßen der Innenstadt. Nicht lange mehr kann es dauern, da wird der lebhafte Durchgangsverkehr zur Schaffung ausreichender Umgehungsstraßen zwingen, welche die innere Stadt von diesem Verkehr entlasten. Viel ist von der Stadt bereits für die Förderung der Leibesübungen getan worden. Zur Zeit versagt das Gebot der Sparsamkeit den Ausbau des Spiel- und Sportplatzes in eine größere Stadionanlage, wie sie die benachbarte Landgemeinde Peterswaldau schon besitzt. Es bleibt die Hoffnung, dass auch für diese Aufgabe bald die Zeit und die Mittel da sein werden, um eine würdige und ausreichende Übungs- und Erziehungsstätte für die heranwachsende Jugend zu schaffen, die einer weitschauenden Fürsorge auf diesem, die Volksgesundheit fördernden Gebiet mehr als je zuvor bedarf. Und zum Schlusse dieser Zukunftswünsche sei schließlich noch ein Problem erwähnt, das in der Öffentlichkeit bisher nur selten erörtert worden ist; denn die Not unserer Tage, das sei gern zugegeben, ist gegenwärtig nicht dazu angetan, auf eine baldige Verwirklichung hoffen zu dürfen. Dennoch sei es ausgesprochen: Der Bau einer zweckvollen, allen Bürgern Reichenbachs dienenden Stadthalle gehört zu den hier berührten Zukunftsaufgaben. Wie sich einst deutsche Siedler zum Bau der ersten Stadthalle, unseres heutigen, altehrwürdigen Rathauses, entschlossen, so wird sich unser Stadtparlament dereinst, wenn die Zeiten sich gebessert haben, für die Errichtung eines gemeindlichen Versammlungshauses entschließen müssen. Unser Jahrhundert steht im Zeichen der Gemeinschaftsarbeit und des Gemeinschaftslebens, allem gegenwärtigen inneren Hader zum Trotz. Über den Einzelnen hinaus wachsen die Ideen, Wünsche und Bestrebungen der Gesamtheit. Nicht bloß rauschende Feste führen die Massen zusammen. Auch der innere Drang und das Ringen nach Erkenntnis und Wissen und nach den Segnungen edler Kunst bilden heute größere Gemeinschaften als je zuvor. Ihnen allen, den Wissensdurstigen, den Kunstfreunden und schließlich auch den Festesfrohen ein würdiges, ideales Heim zu geben, wird Aufgabe des öffentlichen Gemeinwesens sein. Schon haben andere, gleich große Orte diesen Weg mit gutem Erfolge beschritten. Möge auch Reichenbach in nicht allzu ferner Zeit eine solche Halle sein eigen nennen!

Wir sind am Ende unserer langen Wanderung. Jahr um Jahr, Jahrzehnt um Jahrzehnt, Jahrhundert um Jahrhundert ist die Geschichte der Stadt Reichenbach an uns vorübergezogen. Von deutschen Siedlern erbaut als Sinnbild deutschen Geistes und Wesens, deutschen Fleißes und Gemeinsinns, grüßen uns noch heute die schmalen Giebel der alten Innenstadt, die verwitterten Stadtmauern und der hochragende Bau der Kirche zu Sankt Georg. Die Stürme der Hussitenscharen und die Verwüstungen des dreißigjährigen Glaubenskampfes, Seuchen und Kriegssterben brachten die Stadt mehrmals an den Rand des Verderbens. Sie sah die siegreichen Fahnen des großen Preußenkönigs, erlebte den gewaltigen Befreiungskampf gegen den Korsen, gab ihre Söhne in den Kriegen um die Einheit Deutschlands dahin und opferte von Neuem im großen Schicksalsringen unseres Volkes gegen die ganze Welt. Sie sah ihren Wohlstand wachsen in der Blütezeit der Handweberei und erlebte ihren Verfall, aber auch ein erneutes Aufblühen im Zeitalter der Maschinen und Fabriken. Längst wuchsen ihre weit gedehnten Vorstädte über die hohen Wälle hinaus. Anmutig ist auch heute noch das Bild der Stadt, wenn der Wanderer von den nahen Bergen in die Ebene hinabsteigt und sich ihren Mauern nähert.

Ihn grüßt sie, die alte deutsche Stadt Reichenbach, mit ihren himmelan strebenden Türmen, mit dem Grün ihrer Gärten und Bäume, mit dem freundlichen Rot ihrer Dächer und mit ihren reichen, geschichtlichen Erinnerungen, indessen in den Werkanlagen und Geschäftshäusern viele Tausend fleißige Hände unablässig mitschaffen am Aufstieg unserer schönen Heimat und unseres hart geprüften Vaterlandes.

 

Die Hohe Eule grüßt dich,
Uns Vater Zobten winkt,
indes in deinen Mauern
Der Arbeit Lied erklingt.

Jahrhundert um Jahrhundert
Sahst du vorüberzieh'n,
Ob Kriegssturm dich umbrauste,
Ob Friedenssonne schien.

Fest standen deine Türme
In Freud' und Ungemach,
Gott segne deine Zukunft:
Glückauf, mein Reichenbach!

 

Rekonstruktion und Anpassung an neue Rechtschreibregeln: Marcin Perliński (2025)

 

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