wtorek, 7 października 2025

Reichenbach am Anfang des 19. Jahrhunderts, in → Pastor Thomas Franz Tiede (1762-1824) → "Merkwürdigkeiten Schlesiens" (Reichenbach, 1804)


Reichenbach und seine Umgebungen


Selbst das verwöhnte Auge der Bewohner romantischen Hirschberger Thals verweilt mit Entzücken auf die lieblichen Umgebungen von Reichenbach und mancher von ihnen gestand schon, daß hier eigenthümliche Schönheiten erblickte, die keine mindere Augenlust gewährten, als die Ansicht des colossalischen Riesengebirgs. Dort hat üppige Natur mehr geschwelgt und im höhern Styl gearbeitet; hier herrscht mehr Lieblichkeit und sanftes Colorit. Ohnerachtet ich mich der Vorliebe gegen meinen Wohnort nicht schäme, so ists doch nicht allein, warum ich die gegenwärtige Zeitschrift mit seiner Aufstellung eröffne; sondern gleich der Umstand, daß noch kein Schriftsteller, so sehr die Gegend es auch verdiente, davon Meldung that und kein Künstler sie gezeichnet hat, weil beide zu sehr ins Riesengebirge eilten und ihr Strich selten über Reichenbach gieng. Geschah das ja, so war es in der Eile oder auf der Flucht: auch König Friedrich in seinen Werken sagt nur mit kurzen Worten, „Wir haben hier die schönste Aussicht in Schlesien. Es ist die reizendste Landschaft von der Welt.“ Ausserdem ists natürlich, daß man auch selbst bey Reise in Gedanken; da anfängt, wo man ausgeht; und da in diesen Blättern mehrere romantische Parthien Schlesiens geschildert werden sollen, so will ich mich erst mit den nähern beschäftigen, bevor ich meinen Stab in die Ferne setze.

Ich zeichne diese Schilderung von einer Anhöhe, die hinter den Stadtscheunen liegt, welche man im Vorgrunde des beifolgenden Kupfers erblickt. Der Spatziergang auf den Stadtwällen gewährt fast eben die Aussicht, nur daß man dann die Stadt im Rücken hat. Wer Sinn und Gefühl für die Schönheiten dieses lebendigen Panoramas hat, der versetze sich mit mir im Geist auf den gedachten Standpunct und folge mir, als seinem Cicerone, jetzt mit aufmerksamen Blick.

Unmittelbar vor dir liegt die Stadt, über die du als etwas Unbedeutendes hinwegblicken magst; Thürme und Häuser, wie allenthalben, und weiter nichts besonders. Die Unterschrift des Kupfers giebt über die einzelnen Gegenstände nähere und namentliche Nachweisung. Aber nun hebe deine Augen auf, schaue drüber hin und rings umher! Welch ein ungeheurer amphitheatralischer Halbzirkel von gewaltigen Bergen umschlingt mit einem blauen Kranze, als wär er von Kornblumen geflochten, das vor dir liegende meilenlange hell- und dunkelgrün schattirte, Thal von allen Seiten eine riesenmäßige chinesische Mauer mit unregelmäßig vorspringenden Beugungen. Die zwischen liegende Ebne erscheint geglättet wie eine Meeresfläche und läßt das Auge unbeschränkt.

Die Schönheit dieser Ansicht besteht zunächst in der abgemeßnen auggerechten Entfernung dieses Gebirgscirkels, in dessen Mittelpunct die Stadt auf einem Hügel liegt. Wäre dieser mayestätische Gebirgskranz dir näher, so hätte das Auge weniger freyen Spielraum und die Brust würde von den himmelan strebenden Felsenwänden ängstlich zusammen gepreßt werden; wäre er im Gegentheil entfernter, so würden die Umrisse Erhöhungen und Abstuffungen mit ihrem malerischen weniger zu unterscheiden, die äussersten Gegenstände weniger erkennbar seyn und sich zuletzt, wie Aussichten des flachen Landes, in Nebel und Dämmrung verlieren. Das ist hier gar nicht der Fall, sondern der Gesichtsceiß ist scharf abgeschnitten und zwar nicht von Hügeln, sondern von so hohen Bergen, deren Rücken heut am ersten May noch mit Schnee bedeckt ist. Das Ganze hängt wie ein unermesliches Gemählde im vortheilhaftestem Gesichtspunct vor dir. Dazu kommt noch, daß das Thal mit seiner Fülle von Dörfern sich an den äussersten Gränzen aufwärts zieht, dadurch die entferntesten Gegenstände dem Auge bringt, und daß das Hauptstück in dieser Gränzlinie, das Eulengebirge, just im Mittel deines Gesichtspunkts liegt, als die Masche einer Guirlande, aus welcher die volkreichen Dörfer Langenbielau und Peterswaldau links und rechts nach Reichenbach zu niederhangen.

Laß uns jetzt zuerst die Peripherie dieses Gebirgskranzes näher beleuchten. Er umschließt, wie du siehst, das Thal, wie eine runde Mauer, die an den Himmel reicht, einen verhältnißmäßig großen Garten. Links an der äussersten Gränze ragt die Festung Silberberg, wie ein großes Adlernest auf den kahlen Bergen vor. Von dem höchsten Gipfel schimmert die Strohhaube, ein Festungswerk, herab, Ohnerachtet die Entfernung zwey Meilen beträgt, so unterscheidest du doch in dieser Wolkenregion alles ziemlich deutlich und durch gutes Fernrohr erblickt man zu Zeiten bey hellem Wetter die Schildwachten auf den Wällen. In mancherley Gruppirungen zieht sich die mayestätische zirkellienigte Bergkette weiter rechts und reyht sich an das Eulengebirge. Dieses zeichnet sich aus durch seinen langen breiten Kamm, auf welchem die Colonie Eulenburg liegt und worauf einst die österreichische Armee im siebenjährigen Kriege campirte. Weiter rechts senkt sich die geründete Bergmauer in niedrigern Abstuffungen auf die Anhöhen von Burkersdorf und Bögendorf und lehnt sich dann an die Festung Schweidnitz, so daß ihr rechter und linker Endpunct durch zwey wichtige Festungen begränzt ist, welche den Halbcirkel durchschneiden.

Bevor wir weiter gehn mit unsern Blicken, laß uns bemerken, daß der Anblick des vor uns liegenden Panoramas nicht nur majestätisch groß und malerisch schön, sondern auch darum äusserst interessant ist, weil du mit einem Blick, zwey wichtige Festungen, Silberberg und Schweidnitz erkennbar und deutlich, und eben so auch zwey merkwürdige Schlachtfelder, Burkersdorf und am Fischerberge, übersiehst, und das dritte, bey Striegau, in blauer Ferne dämmernd erblickst. Alle drey sprechen mit Hochgefühl das Herz des Patrioten an, denn Preußens Fahnen wehten auf denselben siegreich. Dürfte es noch viele Standpuncte in Schlesien geben, von welchen die Aussicht zu gleicher Zeit eben so lehrreich als reizend ist? Nicht allein die schöne Gegend, sondern auch der wahrhaft classische Boden, den du übersiehst, fesselt das lüsterne Auge.

Laß uns nun weiter gehn und den Blick auf Schweidnitz heften. Wie prangt dort der höchste und schönste Thurm in Schlesien, denn das ist der Jesuiterthurm ohne Widerspruch, wie ein riesenmäßiger Obelisk in der ungeheuren und herrlichen Landschaft, von seinen kleinern Brüdern, die neidisch an ihn hinauf zu schauen scheinen, umgeben. Nicht minder deutlich erblickt die westphälische Friedenskirche zur Heiligen Dreyfaltigkeit, an welcher sich abermals eine sehr fruchtbare Gedankenreyhe anknüpfen läßt und die zu gleicher Zeit dadurch merkwürdig ist, daß sie die zahlreichste Kirchenversammlung in den Preußischen Staaten hat.

Zwischen Schweidnitz und den Striegauer Bergen hat die Gebirgsmauer eine Lücke, gleichsam ein großes Thor, wodurch das Aug in die unermeßliche Ferne blickt. Die durchdämmernden Gegenstände verliehren sich hinter neblichten Flor, aber die drey Striegauer Berge bilden einen sehr malerischen Hintergrund. An ihnen findet das Auge noch in der weiten Entfernung einen labenden Ruhpunct. Dies ist der große Vorzug vor alle Aussichten ins flache Land, selbst von hohen Bergen herab, wo sich der Blick in ungeheuren Weisen mit einer Art von Ängstlichkeit verliert. Man sehnt sich da nach einen bestimmten Gränzpunct vors Auge und findet ihn nirgends. Gleich dem verflatterten Vogel, der seinen Baum, sein Dach zum Aufsitzen und Ausruhen findet, fällt dann zuletzt der matte Blick auf die weite, öde, leere Fläche hin, wo der Himmel auf der Erde zu liegen scheint. Hier ist das alles ganz anders und wie labend und erquickend!

Itzt wenden wir uns rechts und sehen, was uns im Rücken liegt. Zwischen den Striegauer Bergen und dem uns nah liegendem Zobtenberge mit seinen Kindern erweitert sich abermals Horizont und lockt das Auge ins Unermeßliche hinaus. Ein engerer Durchschnitt liegt dann zwischen dem Zobten und dem kleinern Gebirge, welches den Reichenbacher Kreiß von dem Nimtschen und Frankensteiner scheidet, in dessen Mitte der durch die Schlacht vom 16ten August 1762 berühmte Fischerberg liegt, und das nach Silberberg zu ausläuft, von wo aus wir die Cirkellinie zogen. Das Ganze bildet ein großes hehres Oval mit den erwähnten Durchschnitten rings um uns.

Nach dem wir nun den Umriß in seinen Gränzlienien angedeutet haben, so wenden wir uns zur Anschauung des von ihm eingefaßten malerischen Thals in eben der Ordnung, von der Linken zur Rechten, wie wir den Cirkel beschrieben. Wie reichhaltig an Gegenständen! Wie lebts und webts in diesem Tempe! Man könnte es einen schönen mit mancherley Farben spielenden blau eingefaßten Ring an der Hand des Schöpfers nennen. Schau! Ganz zur Linken am Fuße von Silberberg, wie es dem getäuschtem Auge erscheint, verlieren sich aus den herabsinkenden Anhöhen die letzten Häuser langen Habendorfs in die Ebne. Viertelmeile weiter rechts windet sich das in Fabriken-Welt so bekannte Langenbielau, den Nahmen durch den Anblick beweisend, mit seinen 8000 Einwohnern aus den Bergen heraus und hängt wie eine Häuserschnur auf die Vorstadt nieder. Der lebhafte Verkehr, in welchem die Stadt mit allen diesen Webern und Fabrikanten steht, verbreitet auf jener Landstraße ein reges Leben, ob du dich in der Nähe einer Residenz befändest, und zu Zeiten wimmelt sie von Menschen. Weiter rechts ragen am Abhange des hohen Gebirgs einige Hütten zwischen mancherley Obstbäumen hervor, die im Frühling wie große Levcovienstöcke so schön gegen ihre über sie emporragenden wilden Brüder, die dunklen Fichten, auf dem waldigten Bergrücken abstehen. Dies sind die Steinhäuser. Neben ihnen leuchtet die neue freundliche Wohnung des gräflich von Sandratzkischen Kalkinspectors mit hellerem Licht. Einsam schön liegt sie da, beherrscht eine entzückende Aussicht und gewährt in weiter Ferne einen anspruchlosen, aber äusserst entzückenden Anblick. Unter ihr dampft ein Kalkofen, der wie ein Opferheerd vor dem weiß schimmernden friedlichen Häuschen aufgestellt ist. In der Nachbarschaft, dem unbewaffnetem Auge zwar nicht erkennbar, liegt eine angenehme Parthie, die Rasenbank genannt, welche eine der schönsten Aussichten nach Breslau gewährt und darum fleißig besucht wird. Beynahe in gerader Lienie von dort auf uns herab schlängelt sich die Klinkenbach, die ihren Lauf durch die Erlenkette verräth, welche das Thal senkrecht durchschneidet. Schöne, fruchtbare Wiesen umgeben sie und diese Gesichtslinie ist selten leer von weidenden Heerden. — Siehst du, wie weiter zur Rechten aus dem engen Paß der Felsenwand sich Haus an Haus hervordrängt? Eine lange Kette von Gebäuden, worunter sich so viele durch ihren massiven Bau und rothen Ziegeldächern auszeichnen, zieht sich abermals senkrecht durch das Tal auf Reichenbach zu herab. Dies ist das über eine Meile lange Petserswaldau mit seinen 28 Wassermühlen. In der Mitte prangt das gräflich Stollbergsche Schloß, das mancher fürstlichen Residenz den Vorrang streitig macht. Im edlen und großen Styl erbaut, leuchtet es im ganzen Kreise umher und ist aus allen Puncten desselben sichtbar. Der eine seiner colossalischen Seitenflügel dient der evangelischen Gemeinde von mehr als 3000 Menschen zur Kirche, woraus sich auf den Umfang dieses Prachtgebäudes schließen läßt.

Dicht hinter Peterswaldau hat die Felsenmauer abermals einen Riß. Aus demselben schimmern zwischen Bergwänden hinter dünnen Gesträuch einige Strohdächer vor. Dies ist der Anfang, wenn du willst, das Ende von dem langgedehnten Steinseifersdorf, das sich wie ein lateinisches „S“ in die Berge hinaufwindet und dessen niederste Bewohner oft jahrelang nicht zu den obersten kommen. Nun schließt die Bergmauer sich wieder. Weiter rechts zieht sich vom Fuß derselben Peiskersdorf in die Fläche herab. Unter ihm die Colonie Stollbergsdorf eine gedoppelte Horizontallienie. Nach der Schnur abgemessen stellt sich in gleicher Höhe und in gleich weiter Entfernung von einander Haus an Haus mit abgeteilten Zwischenräumen unsern Augen dar. Hinter Stollbergsdorf ragt deutlich erkennbar aus dem Schweidnitzer Kreise das lange Leutmansdorf mit seinen beiden Kirchen herauf. Weiter hin am Fuße des Gebirgs verlieren sich zur Seite hin mehrere Dörfer in neblichter Dämmrung.

Itzt verfolgen wir mit unsern Blicken einen andern Strich, der uns auf das Gebirge zugewandt, noch näher in die Augen springt. Zu unsern Fußen liegt an der Klinkenbach die Stadt. Sie ist der Knoten eines langen Fadens, der von Ober-Peilau anfängt, und an welchem, wie an einer Perlenschnur, Gnadenfrey, Nieder-Peilau, Reichenbach, Klinkenhaus, Ernsdorf, Neudorf, Faulbrück, Gräditz, Kreisau, Esdorf, Schwenkfeld und Jacobsdorf bey Schweidnitz hängen. Diese Länge beträgt über vier Meilen, und willst du der Sonderbarkeit wegen diesen Weg nicht auf der gewöhnlichen Poststraße machen, so wirst du die ganze Reise über keine Viertelstunde lang ausser Häusern kommen. Diese lange Dorfreihe zieht sich an den beiden Ufern des Peilau-Bachs hin; und zum Theil merkt man nicht, wo das eine Dorf sich anfängt und wo das andre aufhört, so genau greift alles in einander. Um das Ganze zu versinnlichen, bemerke ich noch, daß die jetzt beschriebne Dorfreihe längst der Peilau-Bach eine Horizontallienie dem Gebirge gegenüber bildet und den Halbcirkel oder vielmehr das Oval durchschneidet. Die Dörfer Langenbielau, Peterswaldau, Peiskersdorf und Leutmansdorf lehnen sich perpendiculär auf die Dorfbasis an dem Peilaubach in schräger Richtung herab. Wenn man noch bedenkt, daß jene perpendiculairen Dörfer, welche sich mit ihrem Fuß auf die lange Dorf-Basis stützen, ihre Bewohner nach Tausenden zahlen (Peiskersdorf ausgenommen), so kann man sich eine Vorstellung machen, was für eine Gruppe das Ganze bildet! Was man sonst nur auf einer Landkarte oder von hohen Bergen übersieht, erblickt der Reichenbacher auf seinem gewöhnlichen Spatziergange um die Stadt.

Über Schweidnitz hinaus ruhet nun der Blick auf dem blauen Hintergrunde der Striegauer Berge. Desto deutlicher leuchtet aber alles wieder in dem engern Gesichtskreise, den zur rechten Seite das Zobtengebirge beschränkt. Längst den Vorbergen desselben zieht sich auf der Anhöhe Pfaffendorf hin. Malerischer noch präsentirt sich am Abhange des Költschberges die aus dem Gebüsch hervorspringende Probstey. Die Aussicht von derselben, die den weiten und doch so scharf durch das Gebirge abgeschnittnen Gesichtskreiß beherrscht, übersteigt allen Ausdruck. Probstey selbst scheint der glänzende Knopf einer abermaligen Dorfkette zu seyn, die von den ähnlichen Dörfern Költschen, Hennersdorf und Dreyßighuben gebildet wird, welche in unzertrennter Linie aneinander hängen und sich allmählig aufwärts ziehen. In unserm Rücken erblicken wir noch das nahe Bertholdsdorf mit seinem freundlichem Weinberge und Güttmansdorf, hinter welchem der waldigte Rücken des Vorgebirgs den Horizont begränzt.

Dies ist die Fülle des reichhaltigen Thals, das ich einer umständlichern Darstellung würdig finde. Auch ein schwaches Aug erkennt alle angegebnen Gegenstände sehr deutlich, und mit dem Sehrohr bewaffnet erscheinen noch eine Menge anderer Dörfer und Gegenstände. Aber auch ohne Perspektiv erblickt man zwey Festungen und über 20 Dorfschaften. Und welche Dörfer! Mehrere derselben, besonders Langen-Bielau und Peterswaldau, sind bedeutender, wie mittelmäßige Städte durch Menschenzahl und ihre Fabrikate. Das Alles, durchschnitten mit Wiesen, Teichen, Gehölzen und Obstbäumen contrastirt gegen die dunklen Wälder des Gebirgskranzes rings umher so malerisch schön, daß man des Anblicks nicht satt wird, wenn man es auch tausend und aber tausendmal gesehen hat. Die guten Klosterbrüder, welche in Italien einer deutschen Prinzeßin ihre entzückenden Aussichten mit der Bemerkung zeigten, daß sie sich bis zum Überdruß satt daran gesehen hätten, erregen kein gutes Vorurtheil für ihren offnen Sinn und ihre Empfänglichkeit gegen die himmlischen Schönheiten der Natur. Auch das herrliche Meisterstück der Kunst, selbst die medicenische Venus, spricht allenfalls zuletzt das Herz nicht mehr an, denn es bleibt immer dasselbe und man erblickt es einmal wie das andre. Hier nicht also; dies Meisterstück der Schöpfung erscheint täglich neu und wenn auch nicht in veränderter Gestalt, doch in wechselnder Schattirung. Je nachdem die Luft hell oder trübe, der Himmel heiter oder wolkigt, die Sonne im Morgen, Mittag oder Abend steht, wandelt sich auch das Farbenspiel des ungeheuren Gemähldes. Bald liegt der Gipfel des Eulengebirgs in den Wolken, bald erhellt die Sonne nur einzelne Puncte der Bergwand, bald dampft streckenweise der Nebel oder der Feuerrauch der Holzmeyer empor; bald, so wie heut, blühen die Bäume in der Nähe, und Schneestriche glänzen noch von den Bergrücken; wer könnte bey diesen täglichen, oft stündlichen Wechsel des Anblicks ermüden! Oft scheint der Mond auf einer Bergspitze zu liegen oder blitzschwangre Wetterwolken lagern sich längst der Gebirgs-Kette, und wir sehen dem Ungewitter und den schlängelnden Blitzen aus der Ferne ungestört zu. Über Reichenbach selbst geht zehn Gewittern kaum eines hinweg, weil sie meistentheils an dem Gebirgskranz einen natürlichen Ableiter finden, dem sie in seiner Richtung von Abend gegen morgen oder umgekehrt folgen. Dies schöne, große Schauspiel erscheint also fast täglich neu, und sichert uns dadurch vor Verleiden und Überdruß. Wahrlich! Diesem Thal fehlt nur noch Eins, um es zu dem gepriesensten und besungensten von der Welt zu machen — ein schiffbarer Fluß voll Flaggen und Wimpeln, oder ein Genfersee. Doch auch ohnedem wird, jeder, der es näher betrachtet, das Urtheil Königs Friedrich, in seinem Briefe an Jordan aus dem Lager vor Reichenbach unterschrieben: „Wir haben hier die die schönste Aussicht in Schlesien. Es ist die reizendste Landschaft von der Welt.“


 

Quelle:

Tiede, Thomas Franz (1762-1824)„Merkwürdigkeiten Schlesiens“
(Reichenbach 1804, S. 2 bis 15)


Texterkennung und geringfügige typografische Überarbeitungen:

Marcin Perliński (2025)

 

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 Archaische Rechtschreibung gänzlich beibehalten!



 

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